Das war Ende der Sechziger und Anfang der 70er Jahre und der Name Charlotte Moorman gehört einfach dazu. Sie nämlich, eine Cellistin, spielte 1967 in New York bei einer Aktion zusammen mit Paik bis zur Hüfte entkleidet, was zum Einschreiten der Polizei und ihrer Verhaftung führte, der beste Weg in der schon beginnenden Medienwelt weltweit berühmt zu werden. Von daher ist diese Ausstellung, die man rasch noch im MUMOK in Wien besuchen kann, im besten Sinn eine kunsthistorische Ausstellung, weil sie den Blick weitet, woher wir, was Gegenwartskunst angeht, kommen und eine Antwort geben muß, ob damit auch der Weg von morgen vorgezeichnet sei.
Betritt man die Ausstellung, findet man erst einmal die Wände mit großgerasterten Fototapeten vor. Wohin der Blick fällt, Schwarz und Weiß. Das ist schon einmal optisch ein Erinnerungsgefühl, denn in diesen Farben dachte man damals gewisserweise und allein das „Klavier“, ein wichtiges Requisit, auf das wir noch kommen, ist in diesen Farben uns auch in der Vorstellung präsent und die Farben Schwarz und Weiß waren ebenso Grundlage der späteren Videoarbeiten. Schnell entdeckt man, daß die auf Wandhöhe und –breite vergrößerten und vergröberten Fotos von Kunstausstellungen und Kunstaktionen, was damals ein und dasselbe sein sollte, in sich auf Augenhöhe eine Reihe von zusammengehörigen Fotografien zeigen, von denen eine ausgewählt dem Ganzen Rahmen und Ort gibt. Unter denen entdeckt man dann das Foto in klein, was ebenfalls eine eigene ästhetische Erfahrung ist, das Kleine im Großen zu finden, mit den Unterschieden der Wirkung auf einen.
Hier schauen wir auf „Objets sonores im Keller“, wo die Ausstellung, auf die diese Bezug nimmt, zu finden war und es fällt nicht nur die selbstbewußte Frau auf, sondern vor allem ihre Zigaretten in den Fingern, eine Geste, die sich auf anderen Fotos wiederholt, mitten zwischen den Kunstobjekten in Ausstellungen und uns heute so fremd anmutet, ebenso fremd wie in den schönen alten Filmen, wo die Hauptbeziehung zwischen Mann und Frau das Rauchen und das sich gegenseitig die Zigaretteanstecken zu sein scheint. Damals fiel einem das auch als Nichtraucher nicht auf, weil es üblich war. Heute sieht man es deutlich, ja überdeutlich.
Nach Wien war der 1932 in Südkorea geborene Nam June Paik, der Anfang 2006 in den USA starb, das erste Mal 1956 gekommen und es war seine erste europäische Station. Wien lag nahe, denn er hatte in Tokio mit einer Arbeit über Schönberg seinen Bachelor of Arts erworben. Nach Tokio war er gekommen, weil seine sehr wohlhabende Familie zu Beginn des Koreakrieges nach Tokio floh, wobei Japan eigentlich der Erzfeind der Koreaner war. Paik studierte dort also westliche Ästhetik und spezialisierte sich auf Musik und Kunst. Von Wien aus, ging er dann nach München weiter und studierte dort und in Freiburg Musikgeschichte. Wichtig dann von 1958 bis 1963 seine Zusammenarbeit mit Karlheinz Stockhausen im Kölner WDR-Studio für elektronische Musik. Und die wiederum ist ohne Rückbezug auf den amerikanischen Altmeister John Cage kaum denkbar, dem er schon in seiner Komposition “Etude for Piano Forte“ 1960 die Krawatte abschnitt. Im Umkreis von Stockhausen wurde Paik dann zum Aktionskünstler. Zu diesen Aktionen gehörte die Konzentration auf das Geräusch, sei es durch das Zertrümmern von Klavieren herbeigeführt oder durch Mischung von Alltagsgeräuschen mit klassischer Musik, wobei das Tonband eine wichtige Funktion der Reproduktion übernahm und für Paik auch dies ein Schritt war zur Medialisierung seines Schaffens, so daß man ihn heute fast als den Erfinder, zumindest den Vater der Medienkunst bezeichnen darf. 1964 übersiedelte er in die USA, kam aber für eine Professur zurück nach Düsseldorf, dennoch blieb Amerika Lebensmittelpunkt.
Die Wiener Ausstellung stellt seine experimentellen Aktionen vor, die Nam June Paik selbst in seiner Sammlung bewahrte. Dabei geht es um den Nachvollzug der Erstaustellung, die der Avantgardegalerist Rolf Jährling in der Wupptertaler Galerie Parnaß dem Künstler möglich gemacht hatte, in dem vom Keller bis hinauf auf drei Etagen sich die von Paik bevorzugten Medien und Materialien ein Stelldichein gaben. Schallplatten- und Toninstallationen, ein Raum mit präparierten Klavieren, dadaistische Objekte, wie eine Dada-Puppe in der Badewanne, ein Raum mit Spiegelfolien oder Zenobjekte, aber auch damals der Kopf eines frisch geschlachteten Stieres zum Entre. Dabei war der Zuschauer miteinbezogen in die Aktion, denn er konnte mit Hilfe von 12 dafür eingerichteten Fernsehgeräten Manipulationen am laufenden Programm vornehmen und so vom passiven Betrachter zum mitmachenden Akteur werden. Josef Beuys war einer der prominentesten Besucher, der ein Klavier zertrümmern half.
Die Wiener Ausstellung „Music for all Senses“ will also den Charakter der damaligen Ausstellung „Exposition of Music“ wiedergeben. Das gelingt zum großen Teil, wenn man sich bei den dargestellten Objekten wie den zertrümmerten und im Vollzug der Zertrümmerung Töne von sich gebenden Klavieren auf die Wiedergabe des damaligen beschränkt. Aber schon der Stierkopf macht das Historische an dieser Ausstellung deutlich. Heute hätte ein frischgeschlachteter Kopf keine Funktion, würde die Tierschützer zu Recht auf den Plan rufen. Die Vorstellung, daß nun Besucher dieser Ausstellung sich der Objekte annehmen täten und mit ihnen Aktionen vollzögen, so wie sie Paik einst provozierte, liegt so fern und wäre ja auch verboten, daß man sich mental schon in einer Zwischenwelt befindet, auf Bildern und akustisch etwas wahrzunehmen, was heute genauso wenig zu realisieren war wie damals, es sei denn man erklärte es zu einer Kunstaktion und machte mit den Trümmern eine Kunstausstellung.
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Ausstellung: bis 17. Mai
Katalog: Nam June Paik. Exposition of Musik 1963 revisited , hrgs. Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien/Verlag Walther König Köln 2009. Der Katalog ist insofern sehr hilfreich, weil er in Schriftform – Beweggründe der Künstler, Reaktionen des Publikums, Artikel der die Aktionen begleitenden Journalisten – wiedergibt, wie die Welt und Umwelt diese Versuche aufnahm.