Istanbul, Türkei (Weltexpress). Was war denn das? Ein versuchter und offensichtlich doch hilfloser Staatsstreich von Tausenden Soldaten startete gestern am Abend in der Türkei und war über ein Dutzend Stunden später als plumper Putsch gescheitert. Auf der Strecke bleiben an die 300 Tote, darunter über 100 Putschisten. Verletzt worden seien laut Ministerpräsident Binali Yildirim von Erdogans Gnaden 1440 Menschen. Ein paar Tausend Offiziere und Soldaten wurden bereits inhaftiert. In der Türkei beginnt nach dem Putschversuch von Militärs der Gegenputsch von Erdogan und seinen Islamisten von der AKP.
Erdogan und die Islamisten fangen an, die restlichen Oppositionellen gegen ihn und seine Islamisten-Partei ihrer Ämter und Posten zu entheben mit der irren Begründung, sie seien Mittäter. Die ersten Kritiker schmoren bereits in den Knästen.
Noch während des Putsches wurde dem Prediger Fethulla Gülen, ein in die USA geflüchteter Weggefährten Erdogans, die Schuld in die Schuhe geschoben. Doch dass er hinter den putschenden Offizieren und Soldaten steckt, das mag kein Kenner der Türkei ernsthaft glauben. Vermutlich ist an dem auch in Istanbul, Ankara und anderswo in Anatolien immer lauter werdenden Vorwurf, Erdogan selbst stecke hinter dem Putsch, um seine Macht und Herrschaft nicht nur zu festigen, sondern auszubauen, auch nichts dran.
Dass der Staatsstreich „ein Geschenk Gottes“ sei, wie Sultan Erdogan heute bei seiner Ankunft am Istanbuler Atatürk-Flughafen sagte, wobei er zugleich die Auslieferung des Imams Gülen von den USA forderte, das hingegen lässt Böses erahnen. Der Putsch gibt ihm und den Seinen „die Gelegenheit, die Streitkräfte zu säubern“. Auf einmal sind nicht nur die Putschisten sondern alle Erdogan-Gegner das, was ihm Demonstranten auf der Straße immer waren: „Terroristen“.
Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu teilte wenige Stunden später bereits mit, dass „2745 Richter abgesetzt“ worden seien und „fünf Mitglieder des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte in Ankara vom Dienst entbunden worden“ seien. Mehrere Medien berichten übereinstimmend, dass auch der Verfassungsrichter Alparslan Altan im Gefängnis sei. Mit Militär und Justiz werden die letzten Gegengewichte zu den Islamisten von diesen geschliffen.
Wundern muss man sich nicht, dass die Stimmen derer lauter werden, die es bedauern, dass die Putschisten nicht gewonnen haben. Man muss auch kein Prophet sein, um schreiben zu können, dass die Säkularen, Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten, Gewerkschaftler, Kurden und alle anderen, die anders sind und anders sein wollen als die Islamisten, vom Regen in die Traufe kommen.
Wenn sich bewahrheiten sollte, dass die Putschisten die letzten Kemalisten im Militär waren, dann erlischt mit deren derzeitiger Liquidierung der letzte Funken Hoffnung für eine Demokratisierung und Liberalisierung der Türkei.
Alle, so scheint es, reden auch hierzulande davon, dass ein Militärputsch etwas Schlechtes sei. Wir sagen, dass er auch gut sein kann. Wie immer kommt es auf die Sache an, für die man kämpft. Der Putsch deutscher Offiziere und Soldaten gegen das Hitler-Regime und die Faschisten von der NSdAP war richtig und wichtig. Nach der letzten Säuberung bei der Wehrmacht nach dem gescheiterten Attentat auf den Führer war der letzte Ofen für Widerstand aus.
Widerstand gegen Erdogan und die Islamisten von der AKP kann jetzt nur noch von außen kommen. Wer und wo aber sind die Befreier?