In der Tageszeitung „junge Welt“ (jungewelt.de, 19.02.2014) kommentiert Chefredakteur Arnold Schölzel unter dem Titel „Tote einkalkuliert“ die „Gewalt in Kiew“ mit den Worten: „Seit Beginn der Proteste im November 2013 stehen an der Spitze der Bewegung Gruppen, die erklärtermaßen zu jeder Gewaltanwendung bereit sind. Sie stellen sich in die Tradition der faschistischen Ukrainischen Armee der Aufständischen (UPA), die im und nach dem Zweiten Weltkrieg für Zehntausende Morde an Polen, Juden und sowjetischen Soldaten verantwortlich war. Sie und die sogenannte Zivilgesellschaft ehren seit Jahren in der Westukraine Bandenchef Stepan Bandera durch Denkmäler und Namensverleihungen. Sie bekennen sich zu jedem rassistischem Dreck – den Westen und seine Propagandaführer ficht das nicht an, im Gegenteil.“
Klitschko in der Ukraine politisch K.o.
Viele Zeitungen und Zeitschriften off- und online sprechen von Anführern der „Euromaidan“ genannten Protestbewegung, welche die Proteste und Demonstrationen zur Revolte und Revolution eskalieren. Immer wieder fällt der Name des Boxers Vitali Klitschko, dessen Rolle vor allem in bundesdeutschen Medien hochgeschrieben wurde und wird. Heute setzte Spiegel-Online (spiegel.de, 20.02.2014) diesem Hochschreiben ein Ende. Unter der Überschrift „Marina Weisband auf dem Maidan: "Kaum einer nimmt Klitschko ernst" wird ein Interview mit der in Kiew geborenen deutschen Piraten-Politikerin veröffentlicht, in dem sie behauptet, dass „es zwei große Fraktionen gebe: „Da sind die Oppositionsparteien und da ist die unabhängige Bürgerbewegung, die zunächst gar mit dem Motto "Maidan ohne Politik" aufgetreten ist. Von denen glauben die meisten, die Oppositionsparteien würden sich genauso korrupt wie die jetzige Regierung verhalten, kämen sie an die Macht. Spiegel-Online: Welche Rolle spielt Vitali Klitschko? Weisband: Klitschkos Rolle wird in Deutschland sehr überschätzt. Die Oppositionsparteien sind Teil des Euromaidans, aber nicht die Speerspitze. Klitschko wird als Figur kaum ernst genommen. Ich selbst habe niemanden getroffen, der von ihm begeistert war. Er spricht kaum ukrainisch, sagt bei seinen Auftritten nur wenige Sätze. Die Leute sind gegen Korruption auf der Straße und nicht für oder gegen eine Partei. Das ist zumindest mein Eindruck von vor Ort.“
Viktor Janukowitsch im Ringen gegen die Revolte
Die Auffassung von Weisband wurde im WELTEXPRESS bereits im November/Dezember 2013 vertreten. Neu ist jedoch, dass aus Protesten gegen Klüngel und Korruption in Kiew, das aus Protesten gegen eine autoritäre Regierung diese aus dem Ruder Richtung Revolte und Revolution laufen. Massen an Menschen in dem Vielvölkerstaat Ukraine begehren auf, stehen auf, protestieren und widersetzen sich den Herrschenden, dem Staatspräsidenten Wiktor Janukowytsch, der einen polnischen Vater aus Litauern und eine russische Mutter hat. Janukowytsch könnte als Kosmopolit gelten, als echter Osteuropäer, spricht er doch auch mehrere Sprachen. Sein Lebensweg begann übrigens im Oblast Donezk.
Wikipedia (wikipedia.de, 20.02.2014) teilt mit: „Die Ukrainer stellen in allen Regionen mit Ausnahme der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol den größten Teil der Bevölkerung. In diesen beiden Regionen sind die Russen die bei weitem bedeutendste Volksgruppe, weitere Gebiete mit hohem russischem Bevölkerungsanteil von 39,0 % bzw. 38,2 % (Volkszählung von 2001) sind die Oblaste Luhansk und Donezk im Südosten der Ukraine.“
Vor allem in den „russischen Regionen“ ist Ruhe und Alltäglichkeit angesagt. In Kleinrussland, dem nördlichen Teil der Ukraine, herrscht relative Ruhe. Auch in Neurussland, dem südlichen Teil der Ukraine, ist wenig Widerstand, wenig Protest auszumachen. In Weißrussland, das mit Alexander Lukaschenko einen autoritärer Staat verkörpert, ist von Seiten der Opposition wenig zu vernehmen.
Das Oblast Donezk im Südosten der Ukraine ist nicht nur Heimat von Janukowitsch sondern auch politischer Rückhalt für ihn und seine „Partei der Regionen“. Interessant ist auch folgende Wikipedia-Passage: „Bei der Neuwahl des Staatspräsidenten Anfang 2010 setzte sich Wiktor Janukowytsch in der Stichwahl am 7. Februar 2010 mit 48,8 Prozent der Stimmen gegen Julia Timoschenko durch. Der bisherige Amtsinhaber Viktor Juschtschenko war bereits im ersten Wahlgang ausgeschieden. Seine Konkurrentin Tymoschenko zog ihre zunächst eingereichte Klage gegen das Wahlergebnis, das sie als Resultat von Manipulationen ansieht, wegen des absehbaren Scheiterns vor Gericht zurück. Am 25. Februar wurde Wiktor Janukowytsch als vierter Präsident der postsowjetischen Ukraine vereidigt. Nach seinem Amtsantritt im Februar 2010 erklärte Janukowytsch, die Ukraine wolle ein blockfreies Land sein und verstehe sich als „eine Brücke zwischen Russland und der EU“. Einer NATO-Mitgliedschaft erteilte er eine klare Absage.
Nicht EU- und NATO-Mitgliedschaft
Diese entscheidende Aussage und das entsprechende Handeln von Janukowytsch, trug ihm Feinde in den EU-Hauptstädten, vor allem in Paris und Berlin und bei den EU-Politikern und -Bürokraten in Brüssel ein. Und es trug im Feinde vor allem in den NATO-Hauptstädten Washington, London, Paris und Berlin aber auch im NATO-Hauptquartier in Brüssel ein. Vor allem in Berlin bemühte man sich, aus dem „deutschen Boxer“ Vitali Klitschko den „ukrainischen Politiker“ Vitali Klitschko zu basteln, der nach dem Willen Berlins in Kiew das Zepter in die Hand nehmen möge. Ein illusorisches Unterfangen, denn das Zündeln der EU- und NATO-Staaten in der Ukraine hat vor allem Nationalisten und Rechte nach vorne, nach oben gebracht, während Klitschko als lächerliche Randfigur längst vor dem Spiegel-Interview mit Weisband entzaubert wurde (WELTEXPRESS berichtete).
Wer die Ukraine, den größten Flächenstaat in Europa und Gründungsmitglied der GUS, von Moskau entfremdet, der entblößt Russlands größte und offene Flanke. Militärisch wäre Russland ohne die Ukraine als Bündnis- und Militärpartner im Ernstfall nicht mehr zu verteidigen.
Vor diesem Hintergrund von geopolitischen Interessen von USA, EU und NATO erscheinen die Menschen vom „Euromaidan“ als nützliche Idioten, die am 21. November 2013 in Marsch gesetzt wurden, nachdem das ukrainische Kabinett den Assoziierungsprozess mit der EU aussetze und erklärte, stattdessen den Handel mit Russland ausbauen zu wollen. Anders gesagt: Die gewählte Regierung der Ukraine regiert. Die Opposition opponiert, doch aus Protest ist Widerstand geworden.
Ukraine – zwischen Revolte und Revolution
Seit in Kiew Schüsse fallen und Tote zu beklagen sind, wundert es wenig, dass Präsident Wiktor Janukowytsch sich kürzlich in einer Erklärung an die ukrainische Bevölkerung wandte und vor einem Bürgerkrieg und dem Zerfall des Landes warnte. Vor allem im Westen der Ukraine sagen sich Beamte, Polizisten, Sicherheitskräfte los. Diese Entwicklung erinnert sehr an den Anfang vom Ende Jugoslawiens. Der Vorwurf gegen Teile der Opposition, sie versuchten einen Staatsstreich, ist nicht von der Hand zu weisen.
Wunderlich ist, das Janukowytsch Oppositionellen scheinbar immer noch die Hand reicht. Er ruft zu Gesprächen, zu Verhandlungen auf. Er entließ nicht nur die Regierung unter Ministerpräsident Mikola Asarow am 28. Januar 2014, derzeit führt Serhij Arbusow die Regierungsgeschäfte kommissarisch, sondern erließ auch eine Amnestie für festgenommene „Demonstranten“. Trotzdem eskalierten Oppositionelle die Lage in Kiew gegen Janukowytsch und dessen Partei der Regionen, die im Parlament namens Werchowna Rada über 185 der 450 Sitze verfügt. Der parlamentarische Arm des „Euromaidan“ sind die Allukrainische Vereinigung Vaterland der inhaftierten Julia Tymoschenko (103 Sitze), die UDAR (zu Deutsch: Schlag) von Viktor Klitschko (40 Sitze) und die rechtsradikale Swoboda (32 Sitze).
Bei Zusammenstößen zwischen radikalen Regierungsgegnern der drei Oppositionsparteien, darunter der rechtsradikalen Swoboda, sowie weiteren rechten und vor allem rechtsradikalen und rechtsextremistischen außerparlamentarischen Gruppen, und Sicherheitskräften wurden Dutzende Zivilisten und Polizisten getötet. In vielen Meldungen und Berichten ist von mehr als 1000 Verletzten die Rede.
Die Regierungsgegner fordern nun eine Rückkehr zur Verfassung von 2004, die dem Parlament und der Regierung mehr Vollmachten eingeräumt hatte. Doch weder im Parlament noch auf den Straßen der Ukraine hat sie dafür eine Mehrheit. Doch die Opposition wird immer radikaler und eskaliert die Lage von der Revolte zur Revolution. Ausgang ungewiss?
Russland kann sich den Verlust der Ukraine nicht leisten, denn dann wäre Russland nur noch eine Regionalmacht und keine imperiale Macht mehr. Deutschland aber braucht Russland als starken Partner an seiner Ostseite, wie Frankreich als starken Partner an seiner Westseite. Berlin muß seine Rolle als Vasall der USA nicht nur dringend überdenken sondern sie beenden und damit aufhören, Öl ins Feuer zu gießen, dass vor allem die USA in der Ukraine entfachten und für das die Rede des Republikaners McCain an die Rechten vom Maidan wie ein Sinnbild steht. McCain rief: "Ukrainisches Volk! Das ist euer Moment!" und hetzte den "Euromaidan" auf, stachelte zur Revolte an! Zugleich ist die autoritäre Regierung der Ukraine, die Korruption und der Klüngel zwischen Politik und Wirtschaft, der den Staat als den des Kapitals entlarvt, zu kritisieren. Keine Frage. Die Zivilgesellschaft ist zu stärken, Demokratie muß gewagt werden.
Für Deutschland aber ist eine Achse Berlin – Moskau so wichtig wie eine Achse Paris – Berlin, wenn wir Frieden in Freiheit wollen. Dem "Fuck the EU" der US-Vizeaußenministerin Victoria Nuland sollten wir Europäer vom Atlantik bis zum Ural, aus Paris, Berlin und Moskau ein "Fuck the USA" entgegensetzen. Die wild gewordene Supermacht USA muss gezügelt und im Zaum gehalten werden. Ohne ein echtes Europa, ohne eine Achse Paris – Berlin – Moskau wird das kaum gelingen. Eine Zerschlagung der Ukraine wie einst mit Jugoslawien können wir nicht wollen, eine Eingliederung der Ukraine in die NATO können wir nicht wollen. Wir müssen die OSZE stärken, nicht die NATO.
Mit Material von junge Welt, RIA Novosti, Spiegel-Online, Wikipedia