Umso mehr bin ich enttäuscht darüber, dass mir die Verwirklichung meines Anliegens durch die staatlichen Organe verwehrt wurde. Trotz dieser Enttäuschung werden auch in Zukunft Bilder in unseren Räumen zu sehen sein und wir werden die Möglichkeit haben, darüber zu sprechen. Und ich bin nicht nur enttäuscht, sondern nehme an dieser Stelle deutlich wahr, in welch beschnittener Situation ich lebe.“
Am Abend des 17. September 1983 hielt eine junge Frau in Magdeburg in ihrer eigenen Altbauwohnung diese Rede vor Gästen einer Ausstellung, für deren Eröffnung unter anderem Cornelia Schleime, Helmut Biedermann, Lutz Rathenow, Adolf Endler, Helge Leiberg und Sascha Anderson ihre Teilnahme zugesagt hatten. Doch „den Organen“ der Schwermaschinenbaustadt ging die „illegale“ Privat-Galerie der Familie Ingrid und Dietrich Bahß, die von 1981 bis zu diesem Tag 14 Ausstellungen in einem Zimmer ihrer Wohnung gezeigt hatten, gehörig gegen den Strich. Operativpläne wurden entwickelt, Verleumdungen verfasst und nie abgesendet, ermittelt, belauscht und bespitzelt. Das Ehepaar Bahß beging in den Augen der Staatssicherheit nicht nur Straftaten der politischen Untergrundtätigkeit und landesverräterischen Nachrichtenübermittlung (Einladungen an Diplomaten der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin), sondern wurde darüber hinaus aus dem westlichen Ausland zu oppositionellen Aktionen und zur Spionage angeleitet. Die „Liquidierungspläne“ des MfS wurden durch Einschüchterung, Gesprächsvorladungen und offenen Ausreisangeboten schließlich erfolgreich umgesetzt. Familie Bahß verließ Ende 1983 entnervt ihre Heimat in Richtung Köln. Die Galerie Bahß war Geschichte.
„Kunst im Korridor“ heißt das vierhundertseitige, mit Interviews, Abbildungen und Zeittabellen bereicherte Produkt einer unglaublichen Fleißarbeit (allein 60 Seiten dienen dem Überblick über sämtliche Galerien von 1949-1990). Die Kunst-Historikerin Yvonne Fiedler, Jahrgang 1976, recherchierte nicht nur umfassend die Geschichte von 43 privaten Galerien in der DDR, sie las meterweise Stasi-Akten zu den heute absurd und brutal wie menschenverachtend wirkenden Verhinderungsmethoden einer Überwachungsindustrie mit Vollzugsgewalt. Jedes kreative Pflänzchen, das irgendwo aus den Ritzen des sozialistischen Alltags kroch, sollte aufgespürt und ausgerissen werden. Zum Glück klappte das nicht immer.
Yvonne Fiedler ist es gelungen, die Fakten der Galerie-Geschichten und ihrer grausamen Bekämpfungsprotokolle den Stimmen der eigentlichen Akteure mindestens gleichwertig gegenüber zu stellen. Sie hat die damaligen (oder bis heute aktiven) Galeristen beinahe vollzählig aufgespürt und interviewt, sich Material und Einladungskarten zeigen lassen, die Beweggründe hinterfragt und Unklarheiten als unklar benannt. Überzeugend und glaubwürdig zeichnet sie so ein komplexes Bild einer teilweise erst durch die Eingriffe des MfS ausgeformten Kunst-und Galerieszene, von kunstbegeisterten Menschen aller Altersstufen, von Widerstand und Lebensfreude. Es gab Galerien im Flur (Erfurt), in Abrisshäusern, unter freiem Himmel, in Ateliers und vor allem Privatwohnungen, wie die Autorin aufschlüsselt. Sie untersucht die Standorte und die Gründungszeit der Galerien, die Generationen, Professionen und das Geschlechterverhältnis der privaten Galeristen in der DDR.
Gerade die Verflechtung von historischer Aufarbeitung und mündlicher Erinnerung der Protagonisten macht dieses Buch so lebendig und lesenswert, hebt die tröge Amtssprache der kunstblinden Überwacher wieder auf und lässt den Leser das Wesentliche spüren, was vielleicht am eindrücklichsten der erst 21-jährige Bautischler Jörg Deloch verkörperte, der 1986 in seiner 50-Quadratmeter Wohnung an der Berliner Schönhauser Allee seine Galerie De ´loch eröffnete. Den Spaß und die innere Notwendigkeit des Kunst-Ausstellens. Deloch hatte die Künstler im Wiener Café bewundert, die Rotwein tranken und philosophierten. Bald zeigte er selbst ein Programm ostdeutscher und westdeutscher Künstler, das von visueller Poesie bis zur Rauminstallation reichte. Der Künstler Thomas Günther bezeichnete Delochs erfolgreiches Nichtkonzept 1988 in einem Artikel als „provisorisch installiertes Labor für Kunst, ohne konkrete Zielvorstellung (wie wunderbar!).“
Yvonne Fiedler, Kunst im Korridor, Private Galerien in der DDR zwischen Autonomie und Illegalität, 400 Seiten, Ch. Links Verlag, März 2013, (D) 39,90 €