Keiner wollte hin. Zu abweisend waren die schroffen Gebirge und zu lebensfeindlich die trockene Buschlandschaft. So blieben die Kimberley im Nordwesten des australischen Kontinents einer der letzten weißen Flecken auf der Landkarte, nachdem die britische Krone die zugängliche Ostküste, das Rote Zentrum und den fruchtbaren Südwesten um Perth längst für sich in Besitz genommen hatte. Nicht zuletzt mit Hilfe zahlloser Strafgefangener, die oftmals wegen nur geringfügiger Vergehen vom britischen Mutterland nach „down under“ zur Erschließung des Kontinents deportiert wurden.
Doch irgendwann blieb den wachsamen britischen Blicken nicht verborgen, dass zwischen Derby und Darwin nahe dem heutigen Wyndham fünf große Flussläufe in eine Meeresbucht einmündeten. Ein sicheres Indiz dafür, dass das Hinterland offensichtlich über erhebliche Wasserreserven verfügte und daher vielleicht nicht mehr ganz so abweisend wäre. Eine Hoffnung, die sich bei näherer Betrachtung des nordwestlichen Küstenstreifens durch britische Forscher als nicht unbegründet erweisen sollte.
Landschaftliche Reize der „Last Frontier“
Ihnen auf dem Fuße folgten Farmer und Viehzüchter, die in der noch unbegrenzten Weite dieses Landstrichs eine neue und bessere Existenzgrundlage witterten als vorher. So die irische Durack-Familie, die sich in einem mehrjährigen Viehtrieb auf den Weg machte, um mehrere tausend Rinder quer durch den australischen Kontinent von Queensland nach Western Australia zu treiben. Zwar unter außerordentlich hohen Verlusten, aber doch mit dem erforderlichen Durchhaltevermögen. So wurde ihre Heimstatt nahe dem Ord River am Fuße der östlichen Kimberley zu einer Familien-Erfolgsgeschichte ohnegleichen, die sogar über mehrere Generationen andauerte.
Doch trotz ihrer landwirtschaftlichen und verkehrstechnischen Erschließung sind die Kimberleys bis heute Australiens „Last Frontier“ geblieben. So hielten sich die Besucherströme bislang in engen Grenzen und wurden von Publikumsmagneten wie Broome im Westen und Darwin im Osten schnell aufgesogen. Eine wenig überzeugende Entwicklung, die zudem in keinem Verhältnis steht zu den landschaftlichen Reizen, die diese westaustralische Region zu bieten hat.
Wachküssen einer Landschaft im Dornröschenschlaf
Allen voran der Purnululu-Nationalpark mit seinen Bungle Bungle-Gesteinsformationen, die vom Oberlauf des Ord River umschlungen werden. Bisher verharrten sie wegen ihrer versteckten Lage südlich des Lake Argyle in tiefem Dornröschenschlaf. Doch inzwischen werden sie täglich wach geküsst von Besuchern, die sich von der Stadt Kununurra aus mit einem Kleinflugzeug auf den Weg machen, um das Welt-Naturwunder mit eigenen Augen zu bestaunen.
John ist an diesem sonnigen Morgen der Pilot der kleinen Propellermaschine, die schwungvoll abhebt und in einem eleganten Bogen den in tiefem Blau herauf schimmernden Stausee des Ord River überfliegt. Dann, nach einer knappen Flugstunde, reicht seine knappe Geste aus, um jenseits des Flugzeugpropellers die weltweit einmalige Gebirgsformation auszumachen, die aus der Vogelperspektive wie eine von Zauberhand angeordnete Ansammlung riesiger Bienenkörbe aussieht.
Schwer passierbare Schluchten
Ein Eindruck, der sich noch dadurch verstärkt, dass jeder dieser Körbe von verschiedenfarbigen Streifen umgeben ist, die den Eindruck traditionell geflochtener Bienenkörbe noch verstärken. Winzig dagegen die kleine Landebahn, auf der John seine kleine Propellermaschine Staub aufwirbelnd herunter bringt. Nur wenige Meter entfernt von einer Buschsiedlung mit wohnlichen Kleinbungalows und komfortablen Wohnzelten, die sich unauffällig unter charaktervolle knorrige Baumriesen ducken. Für die nächsten Tage eine neue Heimat, in die Verwalter Paul zum Frühstück und zu einem informativen Rundgang einlädt.
Aber schon wartet Nationalpark-Führerin Verena ungeduldig an ihrem vierradgetriebenen Geländefahrzeug, um ihren Tagesgästen einen völlig unerwarteten Bereich der Bungle Bungles näher zu bringen. Es sind die im Norden des Felsmassivs eingegrabenen tiefen Felsschluchten, allen voran die Mini Palms Gorge und der Echydna Chasm. Schon bald hinter dem jeweiligen Eingang in die schmalen Schluchten versperren nur schwer passierbare Felsbrocken den Weg oder rücken die steil abfallenden Felswände so nahe aneinander, dass ein Hindurchzwängen nur unter erheblichen Anstrengungen möglich ist.
Geologische Offenbarung beim Bienenkorb-Effekt
Am nächsten Morgen übernimmt Tony die Führung durch die südliche Bienenkorb-Landschaft der Bungle Bungles. Dabei erweist er sich als mit den Pflanzen am Wegrand wie dem rot gefärbten Desert Bloodwood oder dem vogelförmigen Parrot Pea bestens vertraut, die er einer erklärenden Untersuchung mit allen Sinnen unterzieht. Immer in der Froschperspektive zu den Bienenkorb-Formationen, die nun den Weg säumen. Bis hinein in eine riesige Felsgrotte, die Cathedral Gorge, deren steil aufragende Wände nur einen kleinen Teilbereich des Himmels freigeben. Für Tony eine gute Gelegenheit, um mit seinem musikalischen Vortrag der „Waltzing Matilda“ die unglaubliche Akustik dieses Felsendomes zu demonstrieren.
Doch dann zeigt er sich als Wissenschaftler, der vor seinen interessierten Zuhörern in die geologischen Geheimnisse der Bungle Bungles eindringt. Als Sedimentmaterial eines 2,5 Milliarden Jahre alten Hochgebirges, so erklärt er, lagerte sich der feine Erosionsstaub zunächst in horizontalen Schichten ab. Angehoben durch tektonischen Druck erodierten sie dann ihrerseits zu diesen rundlichen Gebilden. Eine unglaublich geringe Feuchtigkeitsmenge in einigen der Schichten reichte bereits aus für die Ansiedlung von Bakterien, die als Verursacher der dunklen Farbe den Bienenkorb-Effekt hervorriefen. Für alle gebannt lauschenden Zuhörer in der Tat eine geologische Offenbarung.
Dösende Krokodile und hängende Flughunde
Atemberaubend auch hinter der Staumauer des Lake Argyle eine Bootsfahrt auf dem Ord River zurück nach Kununurra. Es ist der große Auftritt von Jeff, der auf der mehr als fünfzig Kilometer langen Strecke zwischen beiderseits hoch aufragenden Felswänden alles im Detail erklärt, das da kreucht und fleucht. Träge dösen am Flussufer die Frischwasserkrokodile in der Sonne und springen Wallabys munter über die dicken Felsbrocken. Oder hängen Flughunde kopfüber an den Ästen der Eukalyptusbäume, um kurz vor Sonnenuntergang auf der Suche nach Nahrung für kurze Zeit das Boot zu eskortieren.
Vor dem legendären „Pump House“ legt es schließlich an, genau dort, wo noch vor Jahrzehnten mit drei riesigen Pumpen der Wasserstand des Ord River für Bewässerungszwecke reguliert wurde. Heute ist das Pump House ein erstklassiges Restaurant, in dessen Inneren nur noch die drei überproportionalen Pumpenköpfe an die einstige Funktion des Gebäudes erinnern. Es ist die Wirkungsstätte von Chefkoch Marcel Schulter aus Deutschland, der hier – wie er beteuert – bereits seit mehreren Jahren mit seinen Gourmet-Gerichten eine erfolgreiche Auswanderer-Existenz aufgebaut hat.
Mythos Gibb River Road
Weniger als eine Stunde Fahrtzeit ist es von hier aus zur alten Gibb River Road, die an der Ostseite der Kimberley aus dem Gebirge heraus tritt. Ein Mythos deswegen, weil auf ihr von Derby aus die Rinder herdenweise unter großen Anstrengungen und Opfern in Richtung Osten getrieben wurden und damit eine der wirtschaftlichen Grundlagen der Region bildeten. Über weite Teile der Straße ist Waschbrettpiste angesagt. Mit hoher Geschwindigkeit gleitet Fahrerin Cassie darüber hinweg, um den Insassen ihres vierradgetriebenen Geländefahrzeugs unangenehme Erschütterungen zu ersparen.
Ziel ist die Home Valley Station, für die die traditionelle Viehzucht noch heute eines ihrer wirtschaftlichen Standbeine darstellt. Wegen ihrer romantischen Lage am Bindoola River heute jedoch vor allem eine geeignete Unterkunftsmöglichkeit in einer rauen Umgebung. Als Überbleibsel aus alten Zeiten fällt die alte Scheune ins Auge, in der als „Dusty Bar & Grill“ allabendlich bei Live Country Musik feierlich das Dinner serviert wird.
Feuriges Rot herab hängender Wolkenbäuche
Am nächsten Morgen dann der vierstündige Ausritt auf bereit stehenden Western-Pferden. Stallleiter Harry übernimmt in zünftigem Cowboy-Outfit die Führung auf dem unauffälligen Reitweg entlang dem Pentecost River, einem Eldorado für Greifvögel, Pelikane und Reiher. Dabei im Hintergrund stets die imponierende Kulisse der Cockburn Range, die der weiten Buschlandschaft Struktur verleiht und das Landschaftserlebnis perfekt macht.
In seiner Intensität vergleichbar dem Sonnenuntergangs-Szenario von einem Aussichtshügel nahe der Home Valley Station. Noch dämpft ein bewölkter Westhimmel die hochgesteckten Erwartungen. Doch dann bricht die Sonne am Saum des Horizonts für einen kurzen Augenblick hervor und verwandelt die tief herab hängenden Wolkenbäuche in ein feuriges Rot, das sich schnell über den gesamten Westhimmel ausbreitet. Eine wahre Sternstunde. Und nicht nur wegen der funkelnden Venus, die nun als Abendstern aus einem Wolkenloch klarer denn je hervor funkelt.
Reiseinformationen „Western Australia/Aborigines“
Anreise
Mit Qatar Airways über Doha nach Perth. Weiterflug nach Kununurra, dem östlichen Eingangstor in die Kimberley; www.qatarairways.com
Einreise
Mit noch 6 Monate gültigem Reisepass und „eVisitor“-Besuchervisum; beantragen unter www.immi.gov.au
Reisezeit
Optimal: Mai bis Oktober; von Nov. bis April ist mit Regen zu rechnen.
Reiseanbieter
Boomerang Reisen: www.boomerang-Reisen.de
Unterkunft
Kununurra: Freshwater, East Kimberley Apartments, www.freshwaterapartments.net.au; Bungle Bungles: East Kimberley Tours, www.eastkimberleytours.com.au; APT-Kimberley Wilderness Adventures, www.aptouring.com.au; Gibb River Road, Home Valley Station, www.hvstation.com.au;
Auskunft
Tourism Western Australia: www.westernaustralia.com; www.visitwa.com.au; www.tourism.wa.gov.au