Gemeint ist die Finanzierung der Orchester in Deutschland, deren Zahl von 1992 bis 2012 von 168 auf 131 geschrumpft ist, das sind 22 Prozent. Die Zahl der festangestellten Orchestermusiker verringerte sich von 12 159 auf 9 844, um 19 Prozent.
Die öffentlichen Zuwendungen für die Orchester, beziehungsweise für die Theater werden ständig gekürzt oder gar von einzelnen Kommunen völlig gestrichen. Aktueller Verlust ist das Orchester der Landesbühnen Sachsen (Radebeul), das mit der Elbland Philharmonie (Riesa) fusioniert worden ist, wobei von 108 Stellen 36 wegfallen werden, verbunden mit Teilzeitarbeit und Lohnverzicht. Wer von den Musikern bleibt, verdient etwa ein Drittel weniger. Bereits 2001 war das Sinfonieorchester Pirna mit der Elbland Philharmonie Sachsen verschmolzen worden. 80 Stellen wird die vom SWR geplante Fusion des Radio Sinfonie-Orchesters des SWR Stuttgart und des SWR Sinfonieorchesters Freiburg im Breisgau kosten.
Die Theater und Orchester werden von den Politikern der Länder und Kommunen gedrängt, auf private Geldgeber auszuweichen. Als Muster werden die USA hingestellt, wo die Kultur zum überwiegenden Teil von Stiftungen, Sponsoren und Mäzenen finanziert wird. Nun gab es in der bürgerlichen Gesellschaft schon immer Mäzene und private Förderer der Kunst. In Deutschland war und ist die öffentliche Finanzierung der Kultur zu 93 Prozent bestimmend. Der staatlichen Förderung von rund 9 Milliarden Euro stehen 0,67 Milliarden private Kulturförderung gegenüber.
Nun ist es den Intendanten und Orchesterdirektoren nicht zu verdenken, wenn sie aus der Not eine Tugend machen und Ratschläge suchen, wie die Sparmaßnahmen von Ländern, Kommunen und Rundfunkanstalten aufgefangen oder gemildert werden können. Auf diese Weise wurde der Orchestertag zur Schulung und zum Erfahrungsaustausch im »Fundraising«, in der Suche von Sponsoren, in der Nutzung von Stiftungen und in der Gewinnung von Erbschaften. Mit ausgeklügelten Systemen und geschicktem Taktieren lässt sich hier und da ein Sümmchen ergattern, oft sogar über mehrere Jahre. Eine Grundfinanzierung wird damit nicht gewährleistet.
Nicht erwähnt wurde, dass es bei den Kulturstiftungen der Banken und Konzerne lange Wartelisten gibt und dass diese sich bevorzugt »Leuchttürme« aussuchen, mit deren Kunst sie glänzen können wie die Deutsche Bank mit den Berliner Philharmonikern, Siemens mit der Bayerischen Staatsoper München, Kaiser ´sTengelmann mit dem Konzerthaus Berlin oder BMW mit dem Großprojekt »Staatsoper für alle«. Orchester und Theater, die aus der öffentlichen Förderung gestrichen wurden, sind mit dem Makel des Verlierers behaftet und können gerade von den Reichen keine Unterstützung erwarten. Die Skepsis der Manager war nicht zu übersehen, so dass die Möglichkeiten der öffentlichen Kulturförderung am intensivsten diskutiert wurden. Insofern hatten die Veranstalter wenigstens ein realitätsnahes Thema gewählt. Auffällig war das Fernbleiben von Spitzenorchestern wie der Staatskapelle Berlin, der Sächsischen Staatsoper Dresden, der Berliner Philharmoniker und des Konzerthausorchesters Berlin. Vielleicht sind die bereits reich und müssen sich den Kopf nicht mehr zerbrechen?
Nicht dabei waren die vielen privaten Orchester, die einmal staatlich finanziert waren und nun ihrem Schicksal überlassen sind – wenn sie denn noch existieren. Um sie kümmert sich niemand; sie müssen mit Dumpinglöhnen und Gelegenheitsarbeiten auskommen.
Angesichts der Probleme grenzte die Lagebeurteilung des Direktors des Deutschen Bühnenvereins DBV, Rolf Bolwin, ans Irrationale. Die öffentliche Finanzierung der Kultur in Deutschland sei »ein glänzender Stern«, um den »wir« in Italien und in den USA beneidet werden. Probleme an einzelnen Standorten dürfe man nicht überbetonen. Weil die Förderung so großartig sei, dürfe man sie nicht schlechtreden. Das Problem liege in den eigenen Reihen, in den Klagen, die nur ein schlechtes Image verbreiten. Mit der gleichen Logik rechtfertigen deutsche Unternehmer (und zum Teil Gewerkschaften) Lohnverzicht und Reallohnabbau. Gutmenschen finden, dass es den Arbeitern hier viel zu gut geht im Vergleich zu den Menschen in der Dritten Welt. Nur dass in der Dritten Welt von den hierzulande gestrichenen Löhnen kein Cent ankommt, weil die Unternehmer sie selbstverständlich als Profit vereinnahmen. Es ist wie bei jedem Lohnraub. Wo die Erosion einmal anfängt, weil die Beschäftigten »Verständnis« für »die Nöte« des Unternehmens haben, fängt das gesamte Lohnsystem zu bröckeln an. Ein »kleineres Übel« zieht das nächste nach sich.
Befragt nach seiner Prognose für die nächsten zehn Jahre, glaubt Bolwin, die Orchester blieben im großen und ganzen erhalten, es gäbe aber weniger feste Stellen und mehr »wechselnde Mitarbeiter«. Die Ausbildung in den Musikhochschulen müsse den Studenten besser vermitteln, dass sie sich auf das Orchesterspiel und nicht auf eine Solistenlaufbahn vorbereiten. Bolwins These geht jedoch völlig an der Tatsache vorbei, dass an den deutschen Musikhochschulen von 2000 bis 2011 19 768 Studenten für Orchester- und Instrumentalmusik ausgebildet wurden. Rechnet man einen jährlichen Altersabgang von 150 Musikern dagegen, so haben rund 18 000 Absolventen keinen festen Arbeitsplatz erhalten. Auf die letzten 20 Jahre gerechnet, steht den 9 800 Festangestellten etwa das Dreifache als »Reserve« gegenüber. Folge ist die zunehmende Prekarisierung junger Musiker. Ahnte der Moderator Daniel Finkernagel von einer Kölner Medienproduktion den Widerspruch, indem er Nachfragen nicht zuließ?
Welchen Ausweg sieht die Gewerkschaft Deutsche Orchestervereinigung? Ihr Geschäftsführer Gerald Mertens sieht neue Gefahren mit dem Auslaufen des Solidarpakts II und mit dem Greifen der Schuldenbremse, das heißt: weiteres Schrumpfen der Orchester und der Musikerstellen.
Niemand, auch nicht der Gewerkschafter, kam auf den Gedanken, die verfehlte Steuer- und Finanzpolitik der Bundesregierungen unter Schröder und Merkel als Ursache der Misere zu thematisieren. Setzt man die jährlichen Steuergeschenke von 50 Milliarden Euro an die Banken, Konzerne und Grossverdiener ins Verhältnis zur öffentlichen Kulturfinanzierung von 9 Milliarden, so würden diese fünfmal ausreichen, um die jährliche staatliche Förderung abzudecken und sie auf 10 Milliarden aufzustocken. Den Kulturschaffenden würde klar, wie berechtigt ihr Widerstand gegen »Sparzwänge« ist und wogegen politischer Druck ihrer Gewerkschaft aufgebaut werden müsste.
Noch immer – so machte der Orchestertag deutlich – schwelt der Tarifkonflikt zwischen dem Deutschen Bühnenverein und der Deutschen Orchestervereinigung. Sie können sich nicht darauf einigen, wie nach dem neuen, ab 1. Januar 2010 geltenden Tarifvertrag die Orchestergehälter an die Tariferhöhungen im Öffentlichen Dienst anzupassen sind, weil das tückische Wörtchen »sinngemäß« jede Auslegung zulässt, zum Beispiel eine »Streckung«, wie der DBV das sieht. Das Bundesarbeitsgericht soll nun entscheiden, was in den Tarifverhandlungen 2009 nicht ausgestritten worden ist. Die Folge: der DBV gibt einseitige Empfehlungen an die Orchesterleitungen, wie Gehälter für 2010, 2011 und 2012 zu erhöhen sind. Die Gewerkschaft lehnt das ab. Die verunsicherten Orchesterleitungen zahlen zum Teil gar nichts oder eben zu wenig und bunkern die Mittel – nicht ohne Risiko. Die Geschädigten sind die Musiker, die sich zum großen Teil an Streiks beteiligt hatten, um den neuen Tarif zu erkämpfen.