Eventin: Wie rund um eine Havarie eine Kriegserzählung gestrickt wird

Rügen ist eine deutsche Insel in der Ostsee.
Kap Arkona mit den Leuchttürmen auf der über 40 Meter hohen Steilküste aus Kreide und Geschiebemergel im Norden Rügens, wo es besonders im Winter immer wieder zu Winter immer wieder zu mitunter großen Abbrüchen kommt. © 2018, Foto: Günter Knackfuss, BU: Stefan Pribnow

Berlin, BRD (Weltexpress). Was rund um den Stromausfall auf der Eventin gestrickt wird, ist absolut hanebüchen und hat nur noch eine marginale Verbindung zur Wirklichkeit. Aber es dient dazu, den Deutschen die Allgegenwart einer russischen Gefahr ins Hirn zu rammen.

Der vermeintlich russische Tanker Eventin liegt nach wie vor vor Rügen, inzwischen nur auf der anderen Seite der Insel vor Kap Arkona. Das Schiff war nach einem Ausfall der Stromversorgung manövrierunfähig geworden; da aber bis Sonntag noch mit Böen bis zu Windstärke 7 gerechnet wird, wird eine eventuell nötige Schleppung in einen Hafen (vermutlich Rostock) noch einige Zeit verzögert werden.

Währenddessen haben die deutschen Medien ihre propagandistische Begleitung hochgefahren: Julian Röpcke schrieb in der Bild unter der Überschrift „Putins perfide Strategie mit der Schattenflotte“ von einer „hybriden Gefahrenlage“; nach der Frankfurter Rundschau bedroht Putin „die Ostsee mit einem der gefährlichsten Schrotttanker“, und ein Meeresbiologe von Greenpeace wird genutzt, um weitere Sanktionen zu fordern: „Wir fordern die EU auf, auf Basis der Greenpeace-Liste der gefährlichsten Öltanker weitere, dringend notwendige Sanktionen zu beschließen.“

Eine Forderung, die in überraschendem Einklang mit den von der Regierung Biden gerade als „Abschiedsgeschenk“ neu verhängten US-Sanktionen über weitere Schiffe steht. Die Organisation, die in Deutschland gewissermaßen der Rammbock für das politisch problematische NGO-Unwesen war, liefert gar eine eigene Liste mit 192 Schiffen, die sie als gefährlich deklariert. Die Eventin, so der Greenpeace-Vertreter, sei in der Vergangenheit „bereits mehrfach negativ aufgefallen. Das Schiff absolvierte besonders gefährliche Schiff-zu-Schiff-Transporte von Öl und es wurden technische Mängel registriert.“ Allerdings ist die Eventin mit 19 Jahren mitnichten besonders alt oder marode; das ist das Durchschnittsalter der weltweiten Tankerflotte, die jedoch auch Greenpeace nur besonders im Blick zu haben scheint, wenn das Öl, das die Tanker transportieren, russischen Ursprungs ist.

Die Tagesschau müht sich sogar, die Bild noch zu übertreffen, und titelt „Ein Krieg ganz in unserer Nähe“.

Auch Außenministerin Annalena Baerbock meinte, sich zur Havarie der Eventin äußern zu müssen.

„Russland gefährdet unsere europäische Sicherheit nicht nur mit seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine, sondern auch mit durchtrennten Kabeln, verschobenen Grenzbojen, Desinformationskampagnen, GPS-Störsendern und eben auch mit maroden Öltankern.“

Sie erklärt das zu einem Teil eines besonders bösartigen Plans: „Mit dem ruchlosen Einsatz einer Flotte von rostigen Tankern umgeht Putin nicht nur die Sanktionen, sondern nimmt auch billigend in Kauf, dass der Tourismus an der Ostsee zum Erliegen kommt – sei es im Baltikum, in Polen oder bei uns.“

Und sie rühmt sich des Weiteren, allein elf der 52 im Dezember von der EU sanktionierten Schiffe seien von Deutschland vorgeschlagen worden. Die Liste der sanktionierten Schiffe umfasst jedoch neben Tankern, die ohnehin die pazifische Route von Russland nach China bedienen, auch neueste, eisgängige LNG-Tanker sowie zwei brandneue, mit Erdgas betriebene Tanker, und die betroffenen Schiffe sind mit einem Durchschnittsalter von 13,5 Jahren weit neuer als der globale Durchschnitt. Die Behauptung, es handele sich um Teile einer „maroden Schattenflotte“ entbehrt also jeder Faktengrundlage.

Die Zeit garniert ihren Artikel zum Fall der Eventin noch mit der Erwähnung zweier weiterer Zwischenfälle auf der Ostsee: eines Brandes auf dem kleinen (deutschen) Tanker Annika im Oktober und eines Nothalts des griechischen Tankers Yannis P. vor Rügen im Juli. In beiden Fällen handelt es sich um Schiffe, die nichts mit der vermeintlichen „russischen Schattenflotte“ zu tun haben. Allerdings liefert das Blatt, vermutlich eher aus Versehen, auch eine Information, die das Ganze wieder auf das normale Maß zurechtstutzt: „Die Ostsee gehört zu den am meisten befahrenen Meeren der Welt. Täglich sind nach Angaben des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde auf dem Binnenmeer mehr als 2.000 Schiffe unterwegs.“

Bei dieser Verkehrsdichte kommt es unvermeidlich immer wieder zu Zwischenfällen, weil Schiffe genauso wenig mit hundertprozentiger Zuverlässigkeit funktionieren wie Kraftfahrzeuge, und wie bei Autos sind die wenigsten, die aus irgendeinem Grund einmal versagen, deshalb Schrott.

Nur, um die Dimensionen noch etwas dingfester zu machen: Wenn man davon ausgeht, dass jedes dieser 2.000 Schiffe fünf Tage in der Ostsee verbringt, wären das 12.000 Schiffe im Monat; die Beispiele der Zeit liefern nur einen Zwischenfall alle drei Monate, also für eines von 36.000 Schiffen, von denen nur ein einziger, also einer auf 108.000, überhaupt in Verbindung mit der vermeintlichen „Schattenflotte“ gebracht werden kann. Natürlich ist diese Berechnung insofern ungenau, als es eben auch Schiffe gibt, die nur in der Ostsee fahren; aber sie vermittelt einen Eindruck von der realen Wahrscheinlichkeit von Zwischenfällen.

Die Behauptung, von den Schiffen, beziehungsweise im konkreten Fall eben der Eventin, gehe eine Gefahr aus, ist aber nötig, um dem heimischen Publikum die vermutlich folgenden Aktionen schmackhaft zu machen. Dazu muss man nur betrachten, wie sich der Vorfall mit der Eagle Sweiterentwickelte, die unter Verstoß gegen das Seerecht gekapert und in finnische Gewässer gezwungen worden war, unter der Behauptung, das Schiff habe ein Ostseekabel gekappt. Selbst wenn das der Fall gewesen wäre, wäre die rechtlich angemessene Reaktion eine Schadensersatzklage vor einem Gericht des Flaggenstaates gewesen, aber nicht ein Festhalten des Schiffs.

Inzwischen sind die finnischen Behörden bei der Überschreitung ihrer Zuständigkeit noch einen Schritt weitergegangen und haben erklärt, der Tanker sei seeuntauglich und die zuständige finnische Behörde Traficom habe ihn „in Gewahrsam genommen“. Insgesamt seien 32 Mängel festgestellt worden, und ehe die drei größten Schäden behoben seien, dürfe das Schiff Finnland nicht verlassen. „Die Behebung der Defekte sei kompliziert und werde viel Zeit in Anspruch nehmen.“

Dieser Tanker gehört der in Dubai ansässigen Firma Caravella LLC und wird von einer indischen Firma gemanagt, weshalb die Besatzung auch vorwiegend aus Indern (und einigen Georgiern) besteht; er wurde 2006 in China gebaut und sollte Öl nach Indien oder China liefern. Die illegale Kaperung scheint nur die Einleitung des Versuchs gewesen zu sein, das Schiff so lange wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen. Allerdings trifft das vor allem die Käufer des Öls in Indien oder China sowie die Reederei, während Finnland (und zukünftig womöglich noch andere Länder der EU) das Risiko eingeht, dass mit Schiffen, die finnische oder für Finnland bestimmte Waren transportieren oder finnische Eigner haben, in Häfen beispielsweise in Indien oder China ähnlich verfahren wird.

Was für Finnland vermutlich begrenzte Folgen haben dürfte. Anders sieht das mit Deutschland aus. Ein großer Teil der größten Containerschiffklasse hat deutsche Eigner (sie wurden über Steuersparprojekte finanziert), und diese Klasse fährt, schon allein wegen ihrer Größe, vor allem die Route China-US-Ostküste oder China-Europa (den Panamakanal etwa können sie nicht passieren). Wenn man im Bericht über die „Inspektion“ der Eagle S beispielsweise das Stichwort Brandschutz liest, weiß man, dass jede chinesische Hafenaufsicht beste Chancen hätte, jedem dieser deutschen Schiffe unerwartete Verluste zu verschaffen.

Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Eventin an einem Kai in Rostock enden dürfte und die deutschen Behörden alle denkbaren Schikanen zur Anwendung bringen werden, in der Vorstellung, damit Russland wirtschaftlichen Schaden zufügen zu können. Der finnische Umgang mit der Eagle S dürfte sich als Einstieg in die EU/NATO-Strategie erweisen, letztlich die russischen Häfen indirekt zu blockieren.

Röpcke jedenfalls hat in seinem Artikel zur Eventin eine Behauptung aufgestellt, die sich zwar nicht in diesem, aber in künftigen Fällen durchaus als wahr erweisen und die illegale Handlungen deutlich erschweren könnte: „Der Tanker soll von einem russischen Kriegsschiff begleitet worden sein.“

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde unter dem Titel „Eventin: Wie rund um eine Havarie eine Kriegserzählung gestrickt wird“ am 11.1.2025 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

Siehe auch den Beitrag

im WELTEXPRESS

Anzeige:

Reisen aller Art, aber nicht von der Stange, sondern maßgeschneidert und mit Persönlichkeiten – auch Reisen durch die VSA und die BRD –, bietet Retroreisen an. Bei Retroreisen wird kein Etikettenschwindel betrieben, sondern die Begriffe Sustainability, Fair Travel und Slow Food werden großgeschrieben.

Vorheriger ArtikelRücktritt vor dem Rausschmiß – Sonderberater John Luman Smith, der die Trump-Fälle bearbeitete, trat vor der Amtseinführung von Donald John Trump zurück
Nächster ArtikelWang Zaibang: Die Äußerungen von Donald Trump über Grönland, Kanada, Mexiko und Panama deuten auf den Niedergang der Hegemonie der VSA hin