Berlin, Deutschland (Weltexpress). „Einsames Lachen“: Zeit und Ort: Westberlin in der 1. Hälfte der 1950er Jahre. Held des Romans ist Maurice, Ninne genannt, 9 Jahre alt. Zweite Hauptfigur ist Karl-Heinz, Sohni genannt, 13 Jahre alt.
„Einsames Lachen“ zeigt den Widerspruch von Verbot und Freiheit, kommt er im praktischen Leben zur Geltung. Die Nachkriegszeit, besonders die im von Bomben und Endkampf gezeichneten Berlin, war nicht nur ein alles heilendes Wirtschaftswunder, sie war auch ein Wiederaufleben alter Konflikte unter neuen Bedingungen. Es gab einen mentalen Unterschied zwischen der Generation, die in der Kriegszeit erwachsen und der, die in ihren letzten Stunden oder kurz danach geboren wurde. Nicht nur aufgrund des bewusst erlebten Krieges der älteren Jugend, sondern auch aufgrund ihrer in dieser Zeit erfahrenen weltanschaulichen Vorprägung. Es geht hier einerseits um das Emporkommen im Konkurrenzsystem und andererseits um alte und neu entflammte Freiheitsträume. Wohlstand und materielles Vorankommen gerieten zum Freiheitsbegriff. Der humanistische Freiheitsbegriff blieb trotz neuer Impulse weit dahinter zurück. Wer Wohlstand oder Reichtum mit Freiheit gleichsetzte, setzte soweit es ging die Mittel ein, über die er verfügte. Die Figur Sohni, die außer früh entwickelter Brutalität, Gerissenheit und Rücksichtslosigkeit nichts aufzuweisen hat, wendet sich dem Verbrechen zu, um voranzukommen. Im kleinkriminellen Milieu verhaftet, erschöpfen sich ihre Wünsche in blütenweißen Hemden, scharf gebügelten Hosen und teuren Schuhen, insbesondere Budapestern.
Ninne und Sohni sind keine Freunde. Ninne kommt aus anderen Verhältnissen und sieht aus wie ein Mädchen. Sie wohnen seit einem Jahr Haus an Haus, lernen sich aber erst jetzt näher kennen. Es begegnen sich zwei grundverschiedene Lebenswege, deren geradezu ins Auge stechende Gegensätzlichkeit in einen Schmelztiegel geraten, der sie gemeinsam auf einen schicksalshaften und unheilträchtigen Weg wirft. Der Schmelztiegel ist eine moderne Verbrecherbande, kein altertümlicher Ringverein, die sich als Berufsverbrecherverband versteht. Ihre Mitglieder haben ihre frühe Jugend in der Kriegszeit verbracht und meistern jetzt als ältere Jugend ihre Existenz im Wirtschaftswunder, an dem sie teilhaben wollen. Es sind harte Kerle, die ihre Skrupellosigkeit als Kapital einsetzen. Ihr Kopf pfeift auf die moralische Unterscheidung zwischen Kriminalität und Politik. Seine Erfahrungen in der Kriegszeit haben ihn gelehrt, dass allein die Macht entscheidet, was gut und was schlecht ist. Krücke, so der Name des Bandenchefs, handelt so weit wie möglich politisch, was es der Polizei schwer macht, an ihn heranzukommen. Für Krücke ist die Polizei nur ein Gegner, der taktisch und strategisch zu behandeln ist, nicht etwa als zu respektierende und moralisch legitimierte Autorität. Ninne fühlt sich von diesem Schmelztiegel angezogen, nicht weil es sich um Schwerverbrecher handelt, was er auch gar nicht weiß, sondern weil es ihre Lebensart, ihre Vergnügungskultur und ihre Respektlosigkeit gegenüber der von Normen und Verboten geformten allgemeinen Lebensweise ist.
Ninnes Geschichte beginnt an einem Frühlingstag. Seine Welt sind die Ruinen. Sie und sein acht Jahre älterer Bruder Fréderic prägen ihn. Fréderic vermittelt ihm Ideale, die er selber später verrät. Ninne hält sie hoch, bleibt mit ihnen aber allein. Die Mutter ist eine aufgeklärte Frau und lässt ihm Freiheiten, die den Kindern aus seiner Umgebung nicht gewährt werden. Er ist das auffälligste Kind in der Gegend. Nicht nur, weil er wie ein Mädchen aussieht und von der Mutter wie eine Modepuppe eingekleidet wird, sondern auch weil sein bester Freund ein kleiner Graf ist, der an Ninne wie eine Klette hängt, sich aber sonst mit keinem anderen Kind abgibt. Schon früh zieht Ninne beide Geschlechter an. Verspielt, neugierig und abenteuerlustig ahnt er nicht, dass sein Aussehen und sein Verhalten, besonders sein Hang zu lästern und außerhalb der Reihe zu lachen, ihm Hass und Feindschaft einbringen. Er fühlt sich nie einsam, wenn er allein ist. In den Ruinen, in einer Atmosphäre, die Tod und Freiheit atmen, gibt er sich seiner Fantasie hin, die ihn wie ein anderes Leben erfüllt. Lachen ist ihm angeboren und er lacht viel. Doch worüber er lacht, ist den Menschen um ihn herum ein Rätsel. Er lacht nicht über alltägliche Witze, Spaßmacher, Komiker und Clowns; er lacht über die Komik einer Situation. Seine Fantasie malt Gesichter und Erscheinungen zu Ende, spitzt sie zu oder entdeckt das Lachhafte an ihnen. Was ihn veranlasst, verstehen, geschweige denn billigen die meisten Menschen nicht. Unter diesen meisten Menschen fühlt er sich einsam. Sie bedrücken und behindern ihn. Ihre Regeln und Verbote empfindet er als Beraubung von Freiheit. Seine Vorbilder sind edle Räuber wie Schillers Karl von Moor, Rebellen, Aufständische wie Spartakus und mutige und kämpferische Indianer wie Sitting Bull. Heilig ist ihm das Indianer-Ehrenwort, wie es ihm Fréderic beigebracht hat. Und heilig ist ihm in besonderem Maße die Geheimhaltung.
In diesen Apriltagen findet Ninnes bis dahin unbeschwertes Kinderleben sein Ende. Als er bei einem Versteckspiel in der Hausflurecke steht und die Finger in den Spalt zwischen Tür und Angel steckt, schlägt jemand hinterrücks die schwere Haustür zu, wodurch sie fast abgequetscht werden. Ein zwölfjähriges Mädchen, Krille genannt, wird beschuldigt, die Täterin zu sein. Ninne aber weiß, dass sie es nicht gewesen ist. Er hat sie durch den Spalt auf der anderen Straßenseite gesehen. Krille ist verfemt in der Straße, den Kindern ist verboten, mit ihr zu spielen. Sie gilt als verwahrlostes Kind eines Zuchthäuslers und einer Alkoholikerin. Ob Kinder oder Erwachsene; sie alle sind überzeugt, dass sie es gewesen ist. Ninne ist empört. Als er sie verteidigt, wird er mit ihr auf eine Stufe gestellt und von einem älteren Jungen zu Boden gestoßen und getreten. Seine Freundin Katja und er trennen sich deswegen und auch sein Freund Linde ist gegen Krille. Ninne sieht sich nach anderen Menschen um und gerät allmählich in die Welt, in die Sohni bereits eingetreten ist. Zugleich lernt er Rita und ihren Bruder Thomas kennen. Sie ist 13, Thomas 11. Sie wird seine erste große Liebe und die erste ihn durchdringende sexuelle Erfahrung. Sommer und Herbst vergehen voller Abenteuer. Zwischendurch sucht ihn ein Unbekannter heim, der ihn von außen an die Wohnungstür lockt, um ihn durch den Briefschlitz die Augen auszustechen. Er nennt den Unbekannten Augenausstecher. Sein Verdacht fällt auf einen kleinen dünnen verwachsenen Mann, den er von Fréderic angestachelt Tarzan gerufen hat. Heiligabend, an seinem 10. Geburtstag, macht sich dieser Mann ans Werk, ihn zu ermorden.
Sohni hat inzwischen in der Bande weiter Fuß gefasst. Durch Zufall wird er Tatzeuge eines Mordes, mit dem er nicht fertig wird. Albträume plagen ihn. Immer wieder sieht er den schwarzen Wagen vor sich, der mit einem lebenden Menschen im Kofferraum in stockfinsterer Nacht in einem tiefen Baggersee versinkt. Er erzählt seiner Schwester davon, nennt aber nicht Tatzeit und Tatort. Ninne hingegen erzählt er alles und zeigt ihm den Tatort. Die Zeitungen berichten darüber. Die Schwester ruft anonym bei der Polizei an. Die Zeitungen berichten auch das. Krücke wird misstrauisch. Sohni wird entführt und gefesselt nachts zu einer Kanalbrücke gebracht. Unverhofftes Auftauchen von Polizei bewahrt ihn vor dem Ertrinkungstod. Bei der nächsten Entführung wird er vor der Hinrichtung gefoltert. Als Verräter ist er des Todes. Sohni verrät auch, dass er Ninne vom Mord erzählt hat. Tod durch Vergiftung lautet das Urteil. Der Bandenchef mag Ninne, schätzt und beschützt ihn. Ninne aber weiß, wer der Mörder und wer der Ermordete und wo der Mord geschehen ist. Nicht wegen Verrats, seines kindlichen Alters wegen wird sein Tod beschlossen.
Bibliographische Angaben:
Willi R. Gettel, Einsames Lachen, Roman, 900 Seiten, Sprache: Deutsch, Bindung: Taschenbuch, Format: 16.99 x 4.52 x 24.41 cm, Verlag: Rebellenverlag, 1. Auflage 15.12.2020, ISBN: 9783000671678, Preis: 49 EUR (Deutschland), auch als E-Buch erhältlich