Mit diesen hat es nun folgende Bewandtnis. Nicht eine immer zur Mitte tendierende Jury – wo also die linken und rechten Spitzen sich gegenseitig neutralisieren – muß sich hier auf einen Preisträger im Kompromiß einigen, sondern der Vorstand der Börne-Gesellschaft benennt jährlich wechselnd einen einzigen Preisrichter, den Juror, der in alleiniger Verantwortung dann den Preisträger benennt. Er ist derselbe, der dann bei der Preisverleihung die Laudatio auf den Gekürten hält, der zum einen den mit 20 000 Euro dotierten Preis erhält und zum anderen diesen mit einer Dankesrede erwidert. Diesjähriger Preisrichter ist der ehemalige deutsche Kulturstaatsminister und verhinderter Hamburger Bürgermeister Michael Naumann.
Naumann begründete seine Auswahl für den Bürgerrechtler Joachim Gauck in einer schriftlichen Stellungsnahme: So „repräsentiert Gauck mit seinen Reden und Schriften den freiheitlichen Geist all jener in der ehemaligen DDR, die dem repressiven Staat durch ihre politisches Engagement ein Ende bereiteten“. Die Stiftung selbst fügt hinzu: Der Preis „gilt als der renommierteste Preis für Essays und Reportagen im deutschen Sprachraum. Zu den Preisträgern zählten bisher u.a. Marcel Reich-Ranicki, Rudolf Augstein, H.M Enzensberger und Frank Schirrmacher.“
Da allerdings ist „Halt, Euer Ehren“ angesagt. Vorab aber ein Wort zum Ausgelobten, der hervorragend in die oben aufgeführte Liste der wichtigen Männer der Bundesrepublik paßt. Und gerade das ist das Problem. Wir hätten den Pastor Joachim Gauck lieber als Bundespräsidenten gesehen. Also ist in unseren Augen an seiner Person auch keine Kritik zu üben. Gerade Gauck hat das Sprachbewußtsein im Dialog Politik und Bürger immer wieder angesprochen, das fehlende nämlich, mit der Politik nicht mehr in die Ohren, den Kopf und die Herzen seiner Bevölkerung dringt und Sprechblasen die Kommunikation verstopfen. Man konnte den klar und analytisch argumentierenden Gauck, der in der Paulskirche seinen Preis entgegennehmen wird, an diesem historischen Ort deutscher Demokratie schon öfter hören, beispielsweise bei der Verleihung des Letzten Friedenspreises an David Großmann, Israel.
Mit einem Wort, an seiner Person ist keine Kritik zu äußern. Wohl aber zum Gesamtarrangement. Was würde Ludwig Börne dazu sagen, daß nun Jahr für Jahr diejenigen den Preis in seinem Namen erhalten, die in den Blättern und auf den Vortragsbühnen der Bundesrepublik Deutschland die anerkanntesten Männer sind. Schaut man sich die Liste der Preisrichter und Preisträger genau an, so erkennt man das sich selbst regulierende und sich selbst befriedigende System in aller Deutlichkeit. Erstens Männer und zweitens diejenigen, die man als ’gesettlet` bezeichnet, die also in der Gesellschaft der Bundesrepublik schon eh einen anerkannten Platz haben und als Establishment und „Stützen der Gesellschaft zu bezeichnen sind und sich die Preise gegenseitig zukommen lassen. Inzwischen auch den Ludwig-Börne-Preis.
Dabei fingen die Preisvergaben anfänglich durchaus anders an. Monika Maron hatte schon im zweiten Jahr 1994 Marie-Louise Scherer ausgewählt, Harald Schmidt dann 2008 Alice Schwarzer, während die in der FAZ schreibende Necla Kelek im Jahr 2009 ihren FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher auswählte. Zwei Frauen, Klara Obermüller 1995 und Rachel Salamander 2002 hatten Reich-Ranicki und Enzensberger zu Preisträgern gemacht, auch nicht gerade unter schwierigen Bedingungen Schreibende. Es gibt tatsächlich unter all den Juroren und ihren Preisträgern nur eine Paarung, die in unseren Augen mit dem, was Ludwig Börne machte und wollte, vergleichbar sind, wenn man außer acht läßt, daß wir in einer Demokratie leben und in der Regel keiner für seine Worte ins Gefängnis kommt.
Diese eine Paarung im Sinne Ludwig Börnes war im Jahr 2004 der spanische KZ- und Franco-Überlebende spätere Kulturminister und aufrüttelnde Buchautor Jorge Semprún, der die weithin im Westen unbekannte ehemalige DDR-Kritikerin und heutige BRD-Kritikerin Daniela Dahn zur Preisträgerin bestimmte. Diese hielt eine Rede, die sachlich konzipiert und sachlich vorgetragen dennoch gesellschaftlichen Sprengstoff beinhaltete. Da kamen zum Beispiel in der Frankfurter Paulskirche die Besitzverhältnisse am Boden der ehemaligen DDR zur Sprache, der heute im Riesenausmaß Westbürgern gehört. Das allein reichte für eisernes Schweigen im Saal und für eine Verhöhnung dieser unmöglichen Preisträgerin in einer Glosse der FAZ am nächsten Tag.
Aber sowohl Preisträgerin wie ihre Rede waren just in der Spur, die Ludwig Börne gelegt hatte. Er war nicht der Verfechter des Staatstragenden und Worte-und-Wert-Inhaber, sondern derer, die man in unserer Gesellschaft erst zu Wort kommen lassen muß. In diesem Sinne wünschen wir der Ludwig-Börne-Gesellschaft mehr Mut zu ihren Preisrichtern und diesen mehr Mut zu ihren Entscheidungen für Preisträger. Außerdem ist es auch unangemessen, daß von nun 18 Preisträgern 15 männlichen Geschlechts sind und gerade Mal drei Frauen dazukommen. Noch wichtiger aber ist uns der Preisträger aufbegehrender Schreibimpetus, weshalb wir auch deutlich zur Kenntnis nahmen, daß der Preis nur noch vergeben wird für „Essays und Reportagen“, während doch in der Grundausstattung des Preises die „Kritik“ dazugehörte.
Über den Preisträger entscheidet ein vom Stiftungsvorstand der Stiftung benannter Preisrichter, ein sogenannter Juror, in alleiniger Verantwortung. Er hält auch die Laudatio für den Preisträger des mit 20.000 Euro dotierten Preises. Die Verleihung findet in der Frankfurter Paulskirche statt.
Im Jahre 2010 verlieh die Stiftung selbst zum ersten Mal die Börne-Ehrenmedaille an Marcel Reich-Ranicki für sein Lebenswerk.