Rheinsberg: Statt Kronprinzenkult Lernort für jüdisches Leben in Brandenburg – Eine Ausstellung für Dr. med. Else Weil im Kurt-Tucholsky-Museum

Das Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum im Schloß Rheinsberg zeigt jetzt die Ausstellung »Else Weil. Fragmente eines deutsch-jüdischen Lebensweges«.  Die Exposition betont, dass  Else Weil  „in dreifacher Weise für einen neuen Anspruch auf Emanzipation steht: als Frau, als Ärztin und als Jüdin.“ An Else Weil, geboren 1889, hätte 2009 anlässlich ihres 120. Geburtstages erinnert werden können. In der männerdominierten Gesellschaft aber ist die Ausstellung dem 75. Todestag des Gatten gewidmet. 

Else Weil studierte als eine der ersten Frauen in Deutschland in Berlin Medizin. Ihre Stationen: Approbation 1917, Promotion 1918, 1918 bis 1920 Assistenzärztin an der Charité, 1920 bis 1932 niedergelassene Ärztin, 1932 bis März 1933 Ärztin im Städtischen Krankenhaus Friedrichshain. Nach Beginn der Naziherrschaft teilte Weil das Schicksal ihrer jüdischen Kollegen: März 1933 Entlassung aus dem Krankenhaus Friedrichshain, im Dezember 1933 Entzug der Kassenzulassung, am 30. September 1938 »Erlöschen« der Approbation. Else Weil schlug sich durch als Kinderfrau, als Bürokraft  und ging 1938 nach Frankreich ins Exil, wo sie sich mit dem Chemiker Friedrich Epstein verband. Gemeinsam suchten sie nach der deutschen Okkupation Zuflucht in Südfrankreich. Sie wurde interniert, freigelassen, wieder interniert, nach Auschwitz deportiert und in der Gaskammer ermordet. Das Amtsgericht Charlottenburg stellte 1961 fest: „…durch die Gestapo nach Auschwitz verschleppt und seitdem spurlos verschwunden.“

Wie von Millionen jüdischer Menschen, die die Nazis ermordeten, gibt es von Else Weil keinen Nachlaß, aus dem sich schöpfen ließe.  Die Initialzündung zur Erforschung ihres Lebens gab 1997 die  Eintragung der Nichte Gabriele Weil aus London im Gästebuch des Museums. Für Museumsdirektor Peter Böthig und die Germanistinnen Sunhild Pflug und Alexandra Brach begann die intensive Suche nach Spuren Else Weils. Gabriele Weil half mit wertvollen Dokumenten, zum Beispiel mit einem Jugendbildnis Elses und dem Bürgerbrief der Stadt Prenzlau für den Urgroßvater Salomon Reis Krautheim vom 24. Juli 1824 – übrigens eine museale Kostbarkeit.

Die 2008 von Sunhild Pflug herausgegebene Biographie benannte noch »weiße Flecken«.  Dank weiterer intensiver Arbeit zeigt die Ausstellung nunmehr ein beeindruckend geschlossenes Bild von Weils Familie und von ihrem Leben. Auch vom französischen Exil wurde – mit Hilfe der von ihr in Frankreich betreuten Kinder der Familie Heinz und Käthe  Oppenheimer – erstaunlich viel aufgeklärt.

Was macht dieses einzelne Schicksal so wichtig? Martina Münch, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg (SPD), will in Brandenburg das Bewusstsein wecken, dass jüdische Geschichte nicht nur Verfolgung und Holocaust bedeutet, sondern dass jüdisches Leben einmal ganz selbstverständlich zum deutschen Alltag gehörte. Was besonders Jugendliche sich heute kaum noch vorstellen können. Deshalb brauche Brandenburg viele Lernorte für den vielfältigen Einfluss von Juden auf das kulturelle und wirtschaftliche Leben.

Einen Beitrag leistete der Frauenpolitische Rat Brandenburg mit der Enthüllung einer Gedenktafel für Else Weil vor dem Ratskeller Rheinsberg, wo Claire und Wölfchen einst logierten. An die Hauswand darf die Tafel wegen des Denkmalschutzes nicht.

Das Ganze hat ein Problem. Immer wieder erliegen jene Deutschen, welche die Verbrechen der Nazis verabscheuen, der Versuchung zu betonen, wie schlimm es ist, dass gerade dieser Künstler, diese Ärztin, dieser Wissenschaftler, Erfinder, Anwalt, Sportler, Politiker ermordet wurde. Es geht um Millionen Menschen, die Vorzüge und Schwächen hatten, arm oder reich, fleißig oder faul, klug oder einfältig, schön oder hässlich waren. Nach der christlichen Religion waren sie alle Geschöpfe Gottes. Woher nahmen die Nazis das Recht, auch nur einen von ihnen zu töten? Nicht von allen Opfern werden die Namen bekannt werden. Es müssen aber die Namen der Täter genannt werden. Die einen lebten ihr Leben, die anderen mordeten.

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Info:

»Else Weil. Fragmente eines deutsch.jüdischen Lebensweges«, Ausstellung des Kurt-Tucholsky-Literaturmuseums im Schloß Rheinsberg, bis 13. Februar 2011, Dienstag bis Sonntag 10 bis 12.30 und 13 bis 16.30 Uhr.

www.tucholsky-museum.de

Erstveröffentlichung in »Neues Deutschland« vom 18.11.2010

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