Berlin, Deutschland (Weltexpress). Miete, Heizung, Strom, das tägliche Brot: Nie waren diese Grundbedürfnisse in der Bundesrepublik Deutschland so teuer wie 2023, nie wuchs die Armut schneller an. Ein Ende ist weiterhin nicht in Sicht, denn die Lösungsstrategie der Politik bleibt neoliberal: noch mehr Sozialabbau.

Der Mensch hat existenzielle Grundbedürfnisse. Um leben zu können, muss er zuerst essen, trinken, wohnen und sich vor Kälte schützen. Gerade in diesen Bereichen sind die Preise 2023 wie nie explodiert, befeuert von politischen Entscheidungen. Eine Umkehr ist nicht geplant. Fachleute prognostizieren: Das Notwendigste zum Leben wird für immer mehr Menschen in Deutschland zum puren Luxus.

Kalte Wohnung

Knapp 60 Prozent der Einwohner Deutschlands wohnen zur Miete, bei Alleinstehenden sind es fast drei Viertel. Vor allem die Ärmeren unter ihnen dürfte das ausklingende Jahr zur puren Verzweiflung gebracht haben. Die Mieten, die Nebenkosten, der Strom: alles wurde immer teurer, selbst in der tiefsten Provinz.

Die Schocktherapie begann für viele bereits wenige Wochen nach dem Terroranschlag auf die Nordstream-Pipeline im September 2022, dessen Aufklärung die Bundesregierung offensichtlich nicht im Geringsten interessiert. Die Heizkosten explodierten praktisch über Nacht. Der Autorin wurden Fälle bekannt, in denen Mieter plötzlich das Fünffache für eine warme Wohnung hinblättern sollten. Auch die Strompreise zogen nach und verdoppelten sich zum Teil.

Die Bundesregierung reagierte darauf mit Energiepreisbremsen. Diese galten allerdings nur für 80 Prozent des Verbrauchs. Sie waren von vornherein so angelegt, den Kostenschock nur unzureichend zu dämpfen. Viele Mieter erhielten bereits für das Vorjahr horrende Nachzahlungen, für dieses Jahr droht 2024 Ähnliches. Dabei werden die Heiz- und Stromkosten durch den Wegfall der Preisbremsen weiter in die Höhe schießen.

Laut Statistischem Bundesamt konnten bereits 2022 rund 5,5 Millionen Menschen – gut 6,6 Prozent der Gesamtbevölkerung, doppelt so viele wie im Vorjahr– ihre Wohnungen aus Geldmangel nicht angemessen heizen. Für 2023 stehen die Daten noch aus. Fest steht wohl jetzt schon: Die Zahl der Betroffenen wächst.

Mieten explodieren in Stadt und Land

Nicht nur die Heiz- und Stromkosten verteuerten das Grundbedürfnis Wohnen in Deutschland massiv. Auch die Preisspirale bei den Kaltmieten dreht sich munter weiter nach oben. Nach Daten des Großmaklers „Jones Lang LaSalle“ (JLL) erhöhte sich der Mietzins in den acht größten deutschen Städten allein im dritten Quartal 2023 im Schnitt um 8,4 Prozent. 

Die Zeitung Junge Welt erfuhr dazu vom Deutschen Mieterbund, dass bereits jetzt jeder dritte Miethaushalt mit den Wohnkosten finanziell überlastet sei. Dessen Präsident Lukas Siebenkotten prognostizierte für 2024 noch düstere Aussichten: Auf Mieter komme „definitiv ein Horrorjahr“ zu, sagte er.

Die Preisexplosion betrifft nicht nur Mieter in deutschen Großstädten, sondern hat die Bewohner kleinerer Städte und Gemeinden längst eingeholt, wie unter anderem der Deutschlandfunk im September unter Berufung auf Daten der Bundesregierung berichtet hatte.

Dass die Mietpreise im provinziellen Umland mittlerweile sogar schneller steigen, als in Metropolen, geht auch aus anderen Daten hervor. Laut ZEITBericht vom September liegt das an der wachsenden Nachfrage, die wiederum aus der Mietenexplosion in den Städten resultiert.

Die Flucht vor unbezahlbaren Wohnkosten in Metropolen in die umliegenden Orte und Kleinstädte war natürlich zu erwarten. So werden die sogenannten Speckgürtel immer breiter. Mietwillige, darunter auch wohlhabende Beamte und leitende Angestellte, die mehr zahlen können als der gewöhnliche Arbeiter, stehen Schlange, der Wohnraum wird knapper, Neubau gibt es kaum – und die Preise explodieren.

Sparen am Essen

Das trifft, wie immer, die Ärmsten zuerst. Denn sie haben keine Möglichkeit, für steigende Wohnkosten an anderer Stelle zu sparen. Zumal sich ein weiteres Problem hinzugesellt: Auch das Essen wird immer teurer.

Zwar sind die Preise für Grundnahrungsmittel in den letzten Wochen weniger stärker gestiegen, in Einzelfällen sogar leicht zurückgegangen – die Inflation hat sich also leicht abgeschwächt. Das Ende der Energiepreisbremsen, verbunden mit höherer CO₂-Besteuerung, die Konzerne freilich auf die Verbraucher abwälzen werden, dürfte die Teuerungsspirale wieder ankurbeln.

Davor warnen auch die Verbraucherzentralen in Deutschland, wie die Berliner Zeitung berichtete. Nach wie vor seien neben den Energie- auch die Lebensmittelpreise enorm hoch, sagte die Chefin des Bundesverbandes, Ramona Pop. Sie fordert daher die Bundesregierung zu einem Preisgipfel auf, um Maßnahmen gegen existenzbedrohende Folgen zu erarbeiten.

Wachsende Armut

Natürlich merken die Leute, dass der Geldbeutel viel schneller leer ist als noch vor zwei Jahren. Kurz nach Weihnachten bemühte sich wohl darum die Tagesschau, die Realität ein wenig zu verklären. Zwar hätten die Reallöhne auch 2023 der Inflation hinterhergehinkt, hieß es da. Sie würden nun aber aufholen. Das ist allerdings eine Milchmädchenrechnung. Die Inflationsrate bezieht nämlich alle Waren, Luxusgüter mit ein, die sich ärmere Menschen gar nicht leisten können. Bei ihnen schlagen Essen und Energie weit mehr zu Buche – und hier ist die Teuerung viel höher.

Weder die Erhöhung des Mindestlohns und der Renten noch die Zugeständnisse bei der Grundsicherung haben die realen Lebenshaltungskosten in diesen Bereichen ausreichend abgefedert. Die Kaufkraft vieler Bundesbürger ist gesunken – offenbar drastisch. So klagte der Einzelhandel über ein miserables Weihnachtsgeschäft. Es verwundert nicht, dass die Tafeln die wachsende Nachfrage längst nicht mehr bedienen können

Politik duckt sich weg

Die Klagen der Tafeln nehmen schon seit Beginn der Corona-Krise kontinuierlich zu. Dabei sind sie keine staatlichen, sondern karitative Privatinitiativen. So sind die Tafeln nicht verpflichtet, Menschen in Not zu helfen – und davon machen sie derzeit rege Gebrauch. Sie können den wachsenden Zulauf nicht mehr stemmen, heißt es. Dieser wächst offenbar, weil die Kaufkraft von Millionen Menschen sinkt.

Das passt nicht zum Geschrei um den angeblich ausufernden Sozialstaat, der zu einer „Hängematte“ geworden sei. Denn offensichtlich reicht das Geld immer weniger zum teurer werdenden Leben, genauso wie die unteren Löhne, die Renten und sonstige Hilfen.

All das zeigt: Die Politik versinkt in Verantwortungslosigkeit gegenüber der von ihr selbst produzierten Armut. Wo das enden könnte, zeigt zum Beispiel die Entwicklung in den USA: Wachsende Obdachlosigkeit, sich ausbreitende Slums, immer mehr Menschen, die keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben – damit einhergehend eine Zunahme von Kriminalität, Drogensucht und anderen sozialen Verwerfungen.

Eskalation neoliberaler Dystopie?

Neoliberale Agenden haben die Armut in reichen Industrieländern bereits in den letzten 50 Jahren zu einer relevanten Größe anwachsen lassen. Unter Margaret Thatcher im Vereinigten Königreich, Ronald Reagan in den USA und Schröders Hartz-Reformen in Deutschland explodierte das Elend. Trotzdem hält die Politik an dieser Doktrin fest. Entsprechende Vorschläge sind bereits in Sack und Tüten, weitere werden diskutiert: noch mehr Sozialabbau.

Das Jahr 2023 erscheint im Rückblick wie ein weiteres Sprungbrett in die Eskalation neoliberaler Dystopie. Die westliche Titanic droht den Eisberg ein zweites Mal zu rammen, während das Wasser schon im Mitteldeck steht und die wenigen Rettungsbote ausschließlich der Oberschicht vorbehalten sind. Es sei denn, jemand reißt im letzten Moment das Ruder herum.

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Susan Bonath wurde am 31.12.2023 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

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