Neue antisemitische Provokation in Berlin-Friedenau – Aktivistin der Initiativgruppe Stierstraße von Neonazi bedroht

61 Stolpersteine hat die Initiativgruppe Stierstraße in den vergangenen Jahren in Berlin-Friedenau verlegen lassen. Hier wurden nach 1938 Juden in »Judenwohnungen« zwangseingewiesen und 1941/42 in die Vernichtungslager deportiert. Mit den Stolpersteinen – eine Idee des Künstlers Günter Demnig – wird vielen unbekannten Naziopfern in ganz Europa ihr Name zurückgegeben. Im jüdischen Glauben ist der Name jedes Verstorbenen sehr wichtig. Er gibt dem Menschen seinen Platz in der Erinnerung und klagt die Täter an.
Die Mitglieder der Initiativgruppe Stierstraße erforschen ausdauernd die Schicksale der deportierten Juden. Jedes Jahr kommen neue Steine hinzu. Doch mit krimineller Energie begleiten die Antisemiten die Gedenkarbeit mit Schmähungen, mit der Schändung der Stolpersteine – und mit Drohungen. Ein »Anti-Stolpersteinprojekt Friedenau« versucht, die Mitglieder der Initiativgruppe einzuschüchtern. Zielscheibe ist immer wieder Petra Fritsche. 2013 schmierten sie an ihre Wohnungstür »Vorsicht! Judenfreundin!«. Im März 2014 rissen sie Einladungen zur Stolpersteinverlegung ab und prahlten in einem anonymen Brief, den Petra Fritsche in ihrem Briefkasten fand: »Gestern geklebt – heute schon wieder abgerissen: innerhalb von 24 Stunden haben wir die Friedenauer Straßen von eurer abscheulichen zionistischen Gutmenschen-Propaganda befreit. Wir bleiben wachsam und werden unsere Aktionen gegen euch ausweiten! Schluss mit dem Schuldkult – Friedenau stolpersteinfrei machen!«

Was passiert? Auf die Strafanzeige Petra Fritsches hin teilte die Staatsanwaltschaft Berlin im Juni 2014 mit (Schreiben liegt vor), das Ermittlungsverfahren gegen T. H. (Name ist der Redaktion bekannt) wegen Volksverhetzung werde eingestellt, weil der Inhalt seines Schreibens »als strafrechtlich relevant im Sinne einer Beleidigung oder Bedrohung … nicht angesehen werden« könne. Er sei als Meinungskundgabe vom Grundrechtsschutz umfasst. Die Straftatbestände der Bedrohung, der Billigung und der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten seien nicht zu erkennen. Petra Fritsche weiß, H. Ist ein bekannter Neonazi.

Die Nazis legen zu. Ein »Richard Wagner« sandte am 26. September eine Mail (Adresse verschlüsselt), die vorliegt: »Hallo, dreckige Judenfreundin, du kleine aufgeblasene und selbstdarstellerische Juden-Nutte,…schau dich auf dem Fahrrad mal öfters nach hinten um.« Und an alle: »Geisteskranke, beschämender Abschaum, der sich auf Kosten der Würde unseres deutschen Volkes wichtig machen will, indem er immer wieder die längst verheilten Wunden der Vergangenheit aufreißt. Wir werden nicht nachlassen, euch ehrloses Dreckspack bei euren volksverräterischen und nestbeschmutzenden Schuldkultaktionen zu sabotieren und eure Symbole zu schänden.« Und schließlich: »Wir hoffen, euch mal persönlich über den Weg zu laufen, während keine Zeugen in der Nähe sind. Wir können euch dann mit Nachdruck von unserer Position überzeugen!« Das ist Bedrohung an Leib und Leben, aber wohlüberlegt anonym. Wieder wird niemand namentlich angesprochen, sodass niemand einen persönlichen Angriff beweisen kann. Im Verlaufe der letzten drei Jahre verschärft sich der Ton deutlich. Neu ist die Androhung physischer Gewalt gegen die Antifaschisten.

Wiederum hat der Staatsschutz Petra Fritsches Anzeige aufgenommen. Wir wollten vom Landeskriminalamt wissen, was die Ermittlungen ergeben haben, wie das LKA die Drohung bewerte und ob sich hinter dem Anti-Stolpersteinprojekt ein Einzeltäter, eine Gruppe oder eine Organisation verbergen könnte. Herr Spengler, Leiter des Kommissariats LKA 531 beim polizeilichen Staatsschutz, konnte wegen der laufenden Ermittlungen keine Erkenntnisse mitteilen. Die Aktionen in Friedenau würden beobachtet und es werde alles getan, um eine Täterschaft nachzuweisen. Das hänge davon ab, welche Beweislage »möglich« sei. An der »Brennpunktentwicklung« werde gearbeitet mit dem Ziel, das Verfahren erfolgreich abzuschließen. Es sei verfrüht, sich auf Einzeltäter oder Gruppe festzulegen. Ergebnisse würden zu gegebener Zeit im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft Berlin bekanntgegeben. 

Wo sind nach Meinung der Initiativgruppe die Täter auszumachen? Rechte versuchen, den Antisemitismus heute als »importiertes Problem«  von Muslimen darzustellen, ein Verdacht, der sehr leicht auf die Flüchtlinge bezogen werden kann. Die Urheberschaft der Nazis hält Petra Fritsche für sehr wahrscheinlich, einen muslimischen Hintergrund für ausgeschlossen. Es sind, meint sie, seit Jahren die gleichen Stereotype im Jargon der Nazis.

Dies gedeiht in einer politischen Atmosphäre, in der Bundesregierung und Länder keinen überzeugenden Verbotsantrag gegen die NPD zustande bringen, in der die Hintermänner der NSU-Morde verborgen bleiben, in der profaschistische Bewegungen entstehen, in der ungestraft Hass auf alle »Fremden« geschürt werden kann und die Flüchtlingsunterkünfte brennen, und in der Sigmar Gabriel angesichts hunderttausendfachen Flüchtlingselends in der Tagesschau am Sonntag sagen kann: »Man muss sich vor allem darum kümmern, dass die deutsche Gesellschaft nicht vernachlässigt wird.«

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