Bittere Ernte – Marco Bechis erzählt von den Folgen des Landdiebstahls in „Birdwatchers – Im Land der roten Menschen“

Neben Vögeln wollen die touristischen „Birdwatchers“ die Urwaldbewohner sehen. In Stammesbemalung stehen die Dorfbewohner gleich Pappfiguren am Flussufer und schießen wie auf Kommando Pfeile übers Wasser. Die Touristen fotografieren, die Einheimischen streifen sich ihre Kleidung über und holen sich ihr Gehalt ab. Arbeit ist rar unter der verarmten Urwaldbevölkerung. Wenn überhaupt gibt es sie bei den reichen, weißen Grundbesitzern. Deren Land war einst „Das Land der roten Menschen“ , der indigenen Bevölkerung. Dass sie gezwungen sind, sich als Touristenattraktion auf ihrem eigenen Grund zur Schau zu stellen, ist die Krönung der Demütigung für die stolzen Einheimischen. Im brasilianischen Mato Grosso do Sul legt der französische Regisseur Marco Bechis sein vielschichtiges Drama „Birdwatchers“ an. Eine Gruppe Indios verlässt das ihnen zugeteilte Reservat und besetzt ein Stück Ackerland. Der Konflikt wird zum Schwelbrand, denn die Grundbesitzer wissen, dass sie auf die Arbeitskraft der Indios angewiesen sind, wie diese auf die Anstellung bei den Weißen. Generationen, arm und reich, Eingeborene und Eingewanderte, Forschritt und Tradition stehen sich gegenüber.

In Marco Bechirs „Land der roten Menschen“ verlaufen die Fronten selten wie erwartet. Betreten die Töchter des Grundbesitzers den Dschungel zum Schwimmen im Fluss, ist dieser das Dasein der Eingeborenen symbolisierendes „Neuland“. Auch wenn die fitzcerraldoschen Klassiktöne pompös statt elegisch daherkommen, ergeht sich Bechir nicht in plumper Polemik. Den Konflikt mit den Großgrundbesitzern packt er an der Wurzel. Nach Jahrzehnten der Enteignung können sich die ausländischstämmigen Landbesitzer wie die Indios auf ihre Vorfahren berufen. Um die Innigkeit seiner Verbundenheit mit dem Boden auszudrücken, lässt der Regisseur den Stammeshäuptling Erde essen. Der Boden nährt die Indios direkt durch die Nahrung und den Lebensraum, welche er spendet. Die Farmer hingegen erhalten sich indirekt von ihm, mittels des Geldes, welches Bewirtschaftung und Tourismus ihnen einbringen. Eine Annäherung verhindert neben der sozialen Kluft die strenge Tradition der Indios. Beide Fronten sind verhärtet. Die Alten übertragen ihren unterdrückten Hass auf die Kinder. Strategischer Vorteil und Machtspiele dominieren sexuelle, familiäre und berufliche Beziehungen. Die Schatten der jahrzehntelangen Unterdrückend verfolgen die Ureinwohner wie die Geister ihrer Ahnen. Deren Grabstätte ist ihnen inzwischen von den Grundbesitzern genommen worden. Kapitalismus und Kommerz dominieren auch die christliche Religion, welche der Naturreligion gegenübersteht. „Jesus liebt dich“ steht auf dem Jeep eines Ladeneigentümers. Sein Jeep bringt die Indios zur unterbezahlten Plantagenarbeit. Sogar die angebauten Pflanzen sind nicht urwüchsig, sondern durch Genmanipulation verändert. Der Entwurzelungsprozess hat zu wurzeln begonnen. Die Verwurzelung des Fremden können die sich aufbäumenden Ureinwohner nicht besiegen. Mittels der bekämpften Neuerung in Form der dem Gutsbesitzer geraubten Waffe, erringen sie einen kleinen Sieg. Von Dauer kann er kaum sein, doch pessimistisch will sich Bechis nicht geben. Sein Zurückscheuen vor Konsequenzen rückt ihn näher an die Touristen, den „Birdwatchers“, welche die Einheimischen beobachten können, ohne tatsächlich zu begreifen.

Weder Meisterwerk noch ungeschliffenes Juwel, überzeugt „Birdwatchers – Das Land der roten Menschen“ aufgrund seiner ansonsten mißgeachteten Thematik. Zwischen plakativen Momenten wie der Inszenierung der Stadt, wo Mädchen in grellen Werbekostümen herumlaufen und Turnschuhe einen Monatsverdienst kosten, als Negativkontrast zum Hüttendorf, überrascht der Film mit Einzelszene gleich geisterhaften Bildkompositionen. Wechselhaft wie die Inszenierung ist die darstellerische Leistung. Die gezielten Sprechpausen der größtenteils aus dem Volk der Guaraní­-Kaiowá engagierten Laiendarsteller sind bisweilen so arriviert wie die gekünstelten Zeitlupenaufnahmen des Regisseur. Zwischen Poesie und Polemik gelingt Bechis dennoch eine bewegende Parteinahme, der man ob ihrer visuellen Kraft Schwächen in der Handlung verzeiht.

Titel: Birdwatchers – Das Land der Roten Menschen
Start: 16. Juli
Regie und Drehbuch: Marco Bechis
Darsteller: Chiara Caselli, Cesar Chedid, Nelson Concianza, Urbano Palacio
Verleih: Pandora

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