Zwischen Fußballreligion und Dialektik – Die Kicker des 1. FC Union schaffen es noch nicht, den Fußball vom Kopf auf die Füße zu stellen

© Foto: Hajo Obuchoff

Den Freunden der eisernen Kicker dagegen blieb nichts weiter übrig, als die letzten milden Strahlen der Herbstsonne als Trost mit auf den Weg nach Hause mitzunehmen. Die an dieser Strecke gelegenen Versorgungsstellen verzeichneten einen leicht erhöhten Getränkekonsum. Dagegen blieb manche Bratwurst liegen. Der Appetit erwies sich dann doch etwas stärker dem Bier zugeneigt als nach den Siegen der vergangenen Spieltage. Trotzdem, der Unioner ist Kummer gewöhnt.

Selten in der Karriere des Köpenicker Kultklubs gab es Zeiten, da seine Kicker permanente Siegesserien hinlegten. Einmal abgesehen die Jahre von 2005 bis 2009 als die Eisernen aus den Tiefen der Oberliga bis in die 2. Bundesliga stürmten. Union ist eigentlich immer der Verein, der eher am Rande Berlins steht. Warfen in der DDR Vorwärts Berlin oder der BFC Dynamo die tiefen Schatten, so profitiert heute Hertha BSC von den großen Sponsoren der Stadt. Dafür versteht sich Union als der etwas andere Verein. Seine Fans scheinen ein besonderes über Generationen vererbtes Gen zu besitzen. Niederlagen, vor allem wenn sie nach herzhaftem Kampf geschehen, hauen sie nicht um. Der Ruf „Eisern Union“ wirkt wie Balsam auf die Beulen, die der harte Spiel-Alltag immer wieder mal mit sich bringt.

Das lernen schon die kleinsten Zuschauer: „Wir haben verloren, aber wir werden auch wieder gewinnen“, hört der Junge, auf den Schultern seines Vaters sitzend. Nicht selten erhalten Neugeborene in Köpenick unmittelbar nach ihrer Geburtsurkunde die Mitgliedskarte von Union. Eisern Union – meine Fußballreligion, so heißt es auch in einem der Lieder, die an der Alten Försterei gesungen werden.

Und so klang es auch am vergangenen Sonntag beim Spiel gegen die Ostwestfalen, die seit Jahren ein Gegner der Eisernen sind, der sich ungern geschlagen gibt. Mit einem Sieg hätte Union den Rivalen in der Tabelle hinter sich lassen und auf den 9. Rang nach oben klettern können. Im gesamtem Spiel zeigten sich die Hausherren dann auch überlegen, obwohl Paderborn die ersten zwei klaren Torchancen hatte. Es hätte ein Spiel werden können wie 2009. Damals gewann Union 5:4. Die Zahl der Torchancen für ein solches Resultat waren durchaus vorhanden. Leider wurden sie nicht genutzt. Vielleicht war es nur die Abwesenheit von etwas Glück. Im Fußball entscheiden oft winzige Zufälle den Spielverlauf. Als Christopher Quiring zum Beispiel in der 27. Minute den Ball am Gästetorwart Lukas Kruse vorbeispitzelte, hätte vielleicht eine um einen Zentimeter höhere Schuhgröße ausgereicht, dem Spielgerät die entscheidende Richtungsänderung für den Weg ins Tor zu geben. So indes rollte die Kugel knapp am Pfosten vorbei ins Aus. Das traf sicher auf mehrere Szenen zu. Auch auf den Heber von Torsten Mattuschka, den Kruse mit den Fingersitzen ablenkte oder  den Hammerschuss von Patrick Kohlmann in der zweiten Halbzeit, den Christian Strohdiek mit dem Kopf über die Latte beförderte. Dieses Quentchen Glück hatte dann in der 75. Minute auf der Gegenseite Deniz Naki.

Irgendwie fiel ihm der Ball – ob vorher mit der Hand berührt oder nicht, bleibt wohl ein Geheimnis – fiel also der Ball auf den Fuß, der ihn dann über Unions Torhüter Daniel Haas ins Netz löffelte. Fakt ist auf jeden Fall, so richtig entschlossen sahen in dieser Situation die beiden Unionverteidiger Fabian Schönheim und Kohlmann nicht aus. Diese Entschlossenheit fehlte letztlich auch vor dem gegnerischen Tor. Ein alte Schwäche der Hausherren: Sie benötigen zu viele Chancen, Tore zu erzielen. Diesmal waren es augenscheinlich noch zu wenig. Und das wird  – auch eine alte Fußballweisheit – oft bestraft.

„Ich wusste vorher, wer den ersten Treffer erzielt, gewinnt das Spiel“, verriet später Paderborns Trainer Stefan Schmidt. Sein Berliner Kollege Uwe Neuhaus schloss sich dem an und ergänzte etwas kryptisch: „Ich sage nicht, dass Paderborns Sieg nicht verdient ist, aber unsere Niederlage ist unverdient.“ Der große deutsche Philosoph Hegel hätte es nicht besser formulieren können. Der nannte das dann Dialektik. Philosophisch gesehen sind die Unioner gewiss auf dem richtigen Weg. Jetzt muss nur noch die steigende Quantität in eine neue Qualität – sprich Tore – umschlagen.

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