Zwei herausragende Ereignisse der Reformation und der deutschen Bauerkriege vor 500 Jahren – Die Aufstände unter dem Tiroler Bauernführer Michael Gaismaier und das Wirken des radikalen Schweizer Reformators Huldrych Zwingli

Michael Gaismaier

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Wenn 2025 das Gedenken an die revolutionären Ereignisse vor 500 Jahren – die Reformation und die deutschen Bauernkriege – ansteht, sollten zwei herausragende Ereignisse nicht vergessen werden: Die Aufstände unter dem Tiroler Bauernführer Michael Gaismaier und das Wirken des radikalen Schweizer Reformators Huldrych Zwingli. 1

Michael Gaismaier

    Die gegen die vereinten Söldnerheere kämpfenden deutschen Bauern gingen bereits ihrer Niederlage entgegen, als ihre Brüder in Tirol gegen ihre Unterdrücker losschlugen. Zwei Tage vor der entscheidenden Niederlage der mitteldeutschen Bewegung bei Frankenhausen wählten die Bauernhauptleute am 13. Mai 1525 den 35jährigen Michael Gaismaier zu ihrem Obristen. An dem Datum wird noch einmal die Tragik der zersplittert kämpfenden deutschen Bauern als eine wesentliche Ursache ihrer Niederlage ersichtlich. In Tirol hatten „die reformierten Lehren großen Anhang gefunden; hier waren sogar, noch mehr als in den übrigen österreichischen Alpenländern, Müntzersche Emissäre mit Erfolg tätig gewesen“. Aber ihre Saat ging zu spät auf.

    Gaismaier war ein Müntzerscher, „das einzige bedeutende militärische Talent unter sämtlichen Bauernchefs“, schrieb Friedrich Engels. Sein politisches Ziel war „die völlige politische, rechtliche und wirtschaftliche Gleichstellung der Bürger und Bauern mit dem Adel und der Geistlichkeit, was auch das Ende der weltlichen Herrschaft der Kirche einschloss.“ Wie Thomas Müntzer war er damit seiner Zeit weit voraus.
    Gaismaier stammte aus einer begüterten Bergbauunternehmer- und Beamtenfamilie. Als Schreiber des Tiroler Landeshauptmanns und Burggrafen von Vols als auch Sekretär des Brixener Bischofs lernte er die brutale Unterdrückung des Volkes kennen, hatte aber auch Gelegenheit, sich mit den Lehren der großen Reformatoren vertraut zu machen. Von ihnen beeinflussten Thomas Müntzer und Huldrych Zwingli sein weiteres Handeln und ließen ihn neben ihnen zu einem der hervorragendsten Vertreter des radikalen Flügels der frühbürgerlichen Revolutionen Europas werden.
    Im Gegensatz zu Deutschland hatten Bauern und städtische Honoratioren bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Tirol sogenannte Landesstände durchgesetzt, in denen sie neben Prälaten und Rittern vertreten waren. „Weite Bevölkerungskreise hatten die Möglichkeit, Wünsche vorzubringen und bei der Gesetzgebung mitzuwirken. Und auch wenn die einzelnen Stände im Vergleich zur Zusammensetzung der Bevölkerung sehr ungleich repräsentiert waren, so konnten Bürger und Bauern, wenn sie sich zusammentaten, doch einiges gegen die sonst viel einflussreicheren oberen Stände (Adel und Prälaten) erreichen.“ 2

    Gegen die Augsburger Fugger

    Die Macht der Grundherren über die bäuerliche Bevölkerung war durch die Landstände zugunsten der Beamten der Gerichte, wie die unterste Verwaltungseinheit hieß, in gewissem Umfang beschnitten. Nun forderten die Bergknappen im Bündnis mit den Bauern weitere Rechte und Freiheiten. Sie marschierten nach Innsbruck und verlangten die Aufhebung der Kontrolle der Bergwerke durch die Augsburger Fugger, Mitsprache bei der Direktion der Betriebe und an der Landesregierung. Die Volkserhebung dehnte sich rasch auf die Gebiete Brixen, Bozen, Sterzing, Ghries und Hall aus. „Im ganzen Land, im Eisack und im Pustertal, kam es zur Bildung geheimer Bauernausschüsse, Zusammenrottungen, Überfällen, Brandlegungen und anderen Gewalttaten. In Schwaz empörten sich die Bergknappen, vertrieben die Unternehmer, wählten einen Ausschuss und zogen mehrmals zum Landesfürsten nach Innsbruck.“ 3
    Der von allen Seiten bedrängte Erzherzog Ferdinand „machte den Rebellen, die er noch kurz vorher mit Sengen und Brennen, Plündern und Morden hatte ausrotten wollen, Konzessionen über Konzessionen. Er berief die Landtage der Erblande ein und schloss bis zu ihrem Zusammentritt Waffenstillstand mit den Bauern. Inzwischen rüstete er nach Kräften, um möglichst bald eine andere Sprache mit den Frevlern führen zu können“. 4

    Von der Situation zeugte der Innsbrucker Landtag, der am 12. Juni 1525 zusammentrat. Auf ihm waren auch die Nachbarn vertreten, neben dem Schwäbischen Bund Bayern, Graubünden, Venedig, Mailand, Bourbon, Neapel und der Kaiser. 200 Vertreter der Bauern – in ihrem Schlepptau die Städte – verlangten nicht nur, die Geistlichkeit auszuschließen, sondern sogar die Bergknappen zum Landtag zuzulassen. Der Adel – ein in ganz Deutschland beispielloser Fall – war so eingeschüchtert, dass er sich vielfach den Forderungen der Bauern anschloss. Das Bistum Brixen und der Deutsche Orden wurden säkularisiert. Die Gemeinden erhielten das Recht, den Pfarrer der Landesregierung vorzuschlagen. Das römische Recht wurde eingeschränkt, Fischfang und Jagd für frei erklärt, die Abgaben der Bauern reduziert.

    Nachdem der Schwäbische Bund die letzten Erhebungen im Allgäu zerschlagen hatte, verfügte Erzherzog Ferdinand nun jedoch über die Streitkräfte des Bundes und konnte mit militärischer Gewalt die Annahme der neuen Landesverfassung verhindern. Ein vorgesehener radikaler Umbau der Verwaltung, die Beseitigung der Vorherrschaft des Herrenstandes, die Wahl der Richter und Beamten und die Übereignung des Bodens an die Bauern wurden verhindert. Die Bauern leisteten gegen „die Grausamkeiten gegen die Bevölkerung“ erbitterten Widerstand. In Schladming setzten sie ein Geschworenengericht ein, das 40 gefangen genommene tschechische und kroatische Adlige zum Tode verurteilte. Sie wurden sofort enthauptet. 5

    „Ausrottung aller Gottlosen“

    Am 17. August 1525 lockte der Erzherzog Gaismaier unter dem Vorwand, Gespräche zu führen, nach Innsbruck. Als es dazu nicht kam und er die Stadt wieder verlassen wollte, wurde er verhaftet und in das Staatsgefängnis im Innsbrucker Kräuterturm gesperrt. Die von Gaismaier verfolgten Reformen waren damit gescheitert. Zwischen August und Oktober wurden die Erhebungen der Bauern um Brixen, Trient und den Welschner Tälern niedergeschlagen. Bis Anfang 1526 zogen sich „Verhöre, Folterungen und Hinrichtungen“ hin. Der Erzherzog bestimmte für die Anführer die Todesstrafe, für die übrigen Schuldiggesprochenen die Konfiszierung des Vermögens, die Ausweisung aus dem Lande oder „grausame Verstümmelungen wie Abhacken der Finger oder Herausreißen der Zunge“.6
    Gaismaier gelang es, in der Nacht zum 7. Oktober aus dem Kerker zu entkommen und nach Zürich zu fliehen, wo er mit Zwingli zusammentraf. In der Beratung mit ihm erhielt er Anregungen für seine reformatorische Programmschrift, die „Tiroler Landesordnung“, die er anschließend in Klosters in Graubünden ausarbeitete. Darin entwarf er das Zukunftsbild einer von Unterdrückung befreiten, auf Gottes Wort gegründeten freien Republik der Bauern und Bergknappen. Der erste Artikel verlangte die Ausrottung aller Gottlosen, die das ewige Wort verfolgen, den gemeinen armen Mann beschweren und den gemeinsamen Nutzen verhindern. Zur verkündeten Aufhebung aller Standesunterschiede hieß es: „So sollen alle Freyhaitten abgethan“ sein, weil sie „wider daz wort gottes sein und das recht felschen“. Unter „Freyhaitten“ waren alle Standesprivilegien gemeint. Adel und Klerus sollten abgeschafft werden, aber auch das Bürgertum sollte keine Sonderrechte mehr erhalten. 7 Mit der „Abschaffung der Messfeier, der Beseitigung von Bildern, Bildstöcken und Kapellen und der Berufung von Predigern, die das Wort Gottes ‚trewlich und wahafftigklich‘ verkünden“, übernahm er direkt Maßnahmen, mit denen der radikale Schweizer Reformator Huldrych Zwingli die Reformation durchsetzte.

    Im April 1526 setzten die Bauern an, die „Tiroler Landesordnung“ gewaltsam durchzusetzen. Am 20. des Monats kam es am Lueg-Pass zu einer der bedeutendsten Schlachten im deutschen Bauernkrieg. Zwischen Golling und Werften überfiel Gaismeier mit seinem Haufen das erzbischöfliche Heer, vier- bis fünftausend Mann zu Fuß und zu Ross, in der Nacht so überraschend, dass es furchtbare Verluste erlitt und nur knapp der Vernichtung entkam. Es verlor alle seine Stellungen, darunter den strategisch wichtigen Lueg-Pass.
    In einer glänzenden Kampagne lieferte Gaismaier den von verschiedenen Seiten heranziehenden Bayern, Österreichern, schwäbischen Bundestruppen und erzbischöflichen Landsknechten bei Golling, Kitzbühel, Kirchberg und Mauterndorf eine „Reihe brillanter Gefechte“. Bei Kitzbühel kam es mehrfach zu siegreichen Treffen für die Aufständischen, die geschickt ihre Ortskenntnisse im Gebirgsterrain zu nutzen wussten. Bei Kuchel an der Salzach führte Gaismaier am 14. Juni den Angriff gegen acht beste Fähnlein des Schwäbischen Bundes selbst an und errang einen glänzenden Sieg. Mit seinem Haufen verfolgte er die fliehenden Kriegsknechte bis vor Salzburg. Drei Tage später erlitt das Bundesheer schwere Verluste, als es vergeblich versuchte, den Lueg-Pass zurück zu erobern.
    In seiner Landesordnung hatte Gaismaier davon gesprochen, „die Trutzburgen des Adels, Schlösser und Befestigungen“ zu schleifen. Davon zeugten jetzt die Gefechte. Die Haufen von Rauris, Pongau und Gastein stürmten und verbrannten die Alpenschlösser Mittersill, Kaprun Fischhorn, Taxenbach, Lichtenberg, Engelberg und Ittern. Um Radstatt schloss Gaismaier einen festen Belagerungsring. Mehrere Angriffe misslangen jedoch, da es an Belagerungsgeschütz fehlte. 8

    Der Versuch, die Tiroler Landesordnung im Salzburgischen Aufstand im Juni/Juli 1526 durchzusetzen, scheiterte jedoch ein weiteres Mal. Da mit keiner weiteren Hilfe zu rechnen war, brach Gaismaier vor den in erdrückender Übermacht anrückenden feudalen Obristen mit Zustimmung seiner Hauptleute den Aufstand ab. Der Versuch, ihn zur Verzweiflungsschlacht zu stellen und zu vernichten, schlug fehl. Nach mehreren hinhaltenden Gefechten gelang es diesem talentierten Heerführer aus dem Volk, der Niederlage zu entgehen und die bei ihm verbliebenen Bauernhaufen in einem in der Geschichte beispiellos dastehenden Rückzugsmarsch aus der feindlichen Umzinglung über die Alpen nach Venedig zu führen.

    In Venedig sehr willkommen

    In der Stadtrepublik, deren Grenzen er im Juli 1526 überschritt, war er sehr willkommen, denn seine kriegserfahrenen Haufen stellten eine Verstärkung der Kräfte der „Heiligen Liga von Cognac“ 9 bei der Verteidigung der Lagunenstadt und Norditaliens gegen die Kaiserlichen Truppen dar. 10

    „Gaismaiers ungewöhnliche militärische Fähigkeiten, seine Führungsqualitäten und die auffallende Disziplin seiner Leute fanden bei den Verbündeten (Frankreich, England, Papst, Mailand, Florenz, Genua und Venedig) auch an höchster Stelle Beachtung.“ Der legendäre Bauernführer wurde mit großen Ehren empfangen. Venedig übernahm seine Truppen und stellte ihm und seinen Hauptleuten einen Palast als Quartier zur Verfügung. Der Schweizer Kanton Zürich verlieh ihm das Bürgerrecht.
    Schon kurz nach seinem Eintreffen nahm er mit seinen Truppen bei Vicenza, Verona, Brescia und Bergamo an mehreren Gefechten gegen die Kaiserlichen teil. Eine entscheidende Rolle spielte er in der Schlacht vor der kaiserlichen Festung Cremona, die die Truppen der Liga belagerten. Die hartnäckigen Angriffe Gaismaiers trugen dazu bei, dass die Festung nach der den ganzen August und bis Mitte September 1526 dauernden Schlacht übergeben werden musste. 11
    Gaismaiers Hoffnungen, mit Hilfe der neuen Verbündeten den Kampf um die Befreiung Tirols vom Joch der Habsburger wieder aufzunehmen, erfüllten sich jedoch nicht. Am 23. Dezember 1529 schloss Venedig mit dem Kaiser einen Friedensvertrag. Im Juli 1530 traf sich Gaismaier nochmals mit Zwingli in Zürich. Als das Schweizer Revolutionsheer am 11. Oktober 1531 in der Schlacht bei Kappel, in der Zwingli den Tod fand, von der klerikal-katholische Reaktion geschlagen wurde, zerstob auch die von dieser Seite erwartete Hilfe.
    Mit ihren Versuchen, gegen hohe Entschädigungssummen Gaismaiers Auslieferung zu erreichen, hatten die Habsburger keinen Erfolg. Schließlich setzten sie ein Kopfgeld aus, für das zwei spanische Söldlinge Gaismaier am 15. April 1532 in Padua vor seinem Haus hinterrücks überfielen und ihn mit über 40 Hieb- und Messerstichen ermordeten. Seine Frau mit vier Kindern verließ 1533 Padua und zog nach Zürich, wo Freunde Zwinglis sie aufnahmen.

    II. Huldrych Zwingli

    Der am 1. Januar 1484 in Wildhaus (Kanton St. Gallen) geborene Huldrych Zwingli gehört ebenfalls zu den entschiedensten Führern der protestantischen Bewegung Europas. Als Feldprediger begleitete er die revolutionären Truppen in die Schlachten. Am 11. Oktober 1531 fiel er bei Kappel.

    Zwingli, dessen eigentlicher Vorname Ullrich lautete, wuchs im sozialen und politischen Umfeld der im 15. Jahrhundert von verschiedenen Volksschichten getragenen reformatorischen Bewegung auf. Vordergründig ging es auch in der Eidgenossenschaft darum, die katholische Kirche in eine reformierte anglikanische lutherische oder kalvinistische umzugestalten. Die tieferen Ziele der Bewegung, die auch in der Schweiz ihrem Charakter nach Züge einer revolutionären frühbürgerlichen Erhebung annahm, bestanden jedoch darin, grundlegende gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Dafür gab es auch in der Schweiz eine Reihe günstiger Bedingungen, die in anderen Ländern, ausgenommen Tirol, so meist nicht existierten. Die Feudalverhältnisse waren relativ unterentwickelt; die Form der Marktgenossenschaft war erhalten geblieben; eine starke Schicht freier Bauern hatte sich herausgebildet; in den Stadtkantonen Zürich, Basel und Bern waren bereits starke Zentren des Zunfthandwerks (Weberei) entstanden; existierte ein ausgedehnter Fernhandel.

    Das städtische Bürgertum, aber auch Grundbesitzer forderten im Interesse der Stärkung ihrer wirtschaftlichen Positionen und politischer Eigenständigkeit, die Eidgenossenschaft stärker zu zentralisieren und die Machtstellung der Kirche zu beseitigen. In den nordschweizerischen Städten, an ihrer Spitze Basel mit seiner 1459 gegründeten Universität, entstanden Zentren des Buchdrucks und auf dieser Basis der Humanismus.

    In Basel und Bern besuchte Zwingli, Sohn eines Bauern und Amtmannes, die Schule, studierte anschließend in Basel und Wien von 1498 bis 1506 Theologie und promovierte zum Magister. Danach hatte er in Glarus zehn Jahre ein Pfarramt inne und war bis 1518 im Wallfahrtsort Maria-Einsiedeln tätig und seit 1519 Leutpriester12 am Großmünster in Zürich. Als Feldprediger nahm er 1513 und 1515 an den Schlachten von Novara bzw. Marignano (heute Melegnano) gegen die französischen Truppen in Norditalien teil.

    Stand Zwinglis Wirken zunächst unter dem Einfluss der lutherischen Bewegung, wurde es jedoch bereits zu dieser Zeit besonders durch den Humanismus Erasmus‘ von Rotterdam geprägt, der sich 1517 und 1528 in Basel aufhielt. Zu einem engen Weggefährten wurde ihm der Mediziner, Philosophieprofessor und Historiker Joachim von Watt (Latinisiert Vadianus genannt), der in St. Gallen als Stadtarzt arbeitete, dort zum Magistratsmitglied und 1526 zum Bürgermeister berufen wurde.

    Grundlegende gesellschaftliche Veränderungen

    Im Rahmen heftiger sozialer und politischer Auseinandersetzungen begann unter Führung Zwinglis 1523 in Zürich die Schweizer Reformation, die sich in den nächsten Jahren auf andere Stadtkantone ausbreitete. Während in Zürich das Patriziertum entmachtet wurde, erhoben sich die Bauern in der Nordschweiz, erkämpften die Aufhebung der Leibeigenschaft und des kleinen Zehnten. Durch seine erste und zweite Disputation (Januar und Oktober 1523) gestaltete Zwingli Zürich zum Zentrum der kirchlichen, politischen und sozialen Neuordnung der Eidgenossenschaft. Die Schweizer Reformation strahlten vor allem auf Süddeutschland und Tirol aus. Michael Gaismair verfasste 1526 in seinem Exil in Graubünden auf der Grundlage der Lehren Zwinglis seine „Tiroler Landesordnung“ und führte im selben Jahr die Bauern des Alpenlandes zu einem neuen Aufstand.

    Nach der zweiten Disputation Zwinglis begann die Durchführung der Reformation; der Züricher Stadtrat entmachtete die Kirche und übernahm ihre Aufgaben. Zwingli verkündete als Ziel, alles zu beseitigen, was nicht aus der Heiligen Schrift zu begründen ist: Darunter die Abnahme der Heiligenbilder (1524), die Aufhebung der Klöster (1525), die Abschaffung der Prozession, des Orgelspiels und des Gemeindegesangs, der Firmung und der letzten Ölung, die Beschränkung der Feiertage, die Begründung des Almosenamtes, Abendmahlsfeier nur an vier Sonntagen des Jahres am weißgedeckten Tisch mit Brotbrechen und Kelchnahme. An die Stelle des Stiftskapitels am Großmünster trat die Prophezei (Bibelauslegung in wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften). Zu Beginn der kirchlichen Reformen ging Zwingli 1524 mit Anna Reinhard die Ehe ein.

    Seiner Zeit sozial weit voraus

    Zwinglis theologisches Wirken war rational geprägt und auf das gesellschaftliche städtische Leben ausgerichtet, es beeinflusste maßgeblich den bürgerlich-republikanischen Charakter der Schweizer Reformation. Wenn er die Bedeutung der Arbeit für die Gesellschaft hervorhob, war er seiner Zeit sozial weit voraus. Daran änderte auch die zeitbezogene Begründung nichts, dass sie Gottes Gnade herbeirufe. Entschieden bekämpfte er die Leibeigenschaft und den Söldnerdienst in fremden Heeren, das sogenannte Reislaufen, das 1522 in Zürich verboten wurde. Die von Zwingli herbeigeführten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen entsprachen den Bedürfnissen des aufsteigenden Bürgertums.

    Sowohl in seinen kirchlichen als auch seinen politisch-sozialen Reformen war Zwingli radikaler als Luther, was offen in dem Marburger Religionsgespräch 1529 zum Ausdruck kam. Während Luther die leibhaftige Gegenwart Christi in den Abendmahlssegmenten (Brot und Wein) vertrat, fasste Zwingli diese nur symbolisch auf. Welten trennten Zwingli, der die Reformationstruppen in die Schlachten begleitete und sich auf die Seite der aufständischen Bauern stellte, von dem Wittenberger, der 1525 mit seiner Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ diesen in den Rücken fiel.

    1529 verbündete sich die klerikal-katholische Reaktion der Schweiz mit der Österreichs gegen Zürich. 1531 erlitt das Revolutionsheer in der Schlacht bei Kappel, in der Zwingli als Soldat kämpfte, eine Niederlage. Der gefangen genommene Zwingli wurde von den Schweizer Katholiken getötet, sein Leichnam   gevierteilt, anschließend verbrannt und die Asche in den Wind gestreut. Erst 1838 wurde ihm in Kappel und 1885 in Zürich ein Denkmal errichtet. 

    Der Tod des radikalen Reformators engte die Reformen ein und erleichterte die katholischen Restaurationsbestrebungen. Die konfessionelle Spaltung blieb bestehen, tiefergehende historisch-progressive Pläne Zwinglis zu einer staatspolitischen Umgestaltung der Eidgenossenschaft wurden verhindert. Seine Anhänger, die sich nach seinem Tod Zwinglianer nannten, vereinigten sich 1549 mit denen Jean Calvins,13 der nach seiner Ausweisung aus Frankreich 1536 vor allem in Genf wirkte, zu den sogenannten Reformierten.

    Zwingli hinterließ umfangreiche Schriften, die erstmals ab 1905 in Zürich in 14 Bänden zusammengefasst erschienen. Als sein Hauptwerk gilt „De vera ac falsa religione“ (über die wahre und die falsche Religion), das bereits zu seinen Lebzeiten 1525 erstmals in Zürich erschien.

    Anmerkungen:

    1 Beitrag des Autors in Weltexpress vom 27. Juli 2024 : „Gedenken an revolutionäre Ereignisse steht an. Der 500. Jahrestag des Endes der deutschen Bauernkriege. Thomas Müntzer war der revolutionäre Gegenspieler Martin Luthers“

    2  Michael Forcher: Michael Gaismaier. Das Leben des Tiroler Bauernführers (1490-1532) und sein revolutionäres Gesellschaftsmodell, Haymon Verlag Innsbruck-Wien 2020, S. 18.

    3 Ebd. S. 34.

    4  Friedrich Engels: „Der deutsche Bauernkrieg“,

    Marx Engels Werke, Bd.7, Berlin/DDR 1960, S. 327-413, hier S. 407.

    5 Ebd.

    6 Forcher, S. 115 f.

    7 Siegfried Hoyer: Die Tiroler Landesordnung des Michael Gaismaier. In: Protokollband des internationalen Symposiums „Die Bauernkriege und Michal Gaismaier“, Innsbruck 1982.

    8 Wilhelm Zimmermann: Der große deutsche Bauernkrieg, Berlin/DDR, 1952, S. 516-536, 746-783, hier S.771.

    9 Nach der Stadt in Frankreich (nach der auch die berühmten Weinbrände so benannt werden), wo die Allianz geschlossen wurde, so bezeichnet.

    10 Die Liga von Cognac (1526-30) war ein Bündnis von Frankreich, England, dem Herzogtum Mailand und der Republik Florenz unter Führung von Venedig gegen die Habsburger Herrschaft Karls V. und das Heilige Römischen Reich deutscher Nation.

    11 Forcher, S. 174.

    12 Leutpriester (lat. Plebanus), im Mittelalter ein Priester, der an Stelle eines Pfarrers an einer Kirche die Seelsorge mit den Rechten eines Pfarrers ausübte, ohne Inhaber des Pfarramtes, der Pfarrpfründe zu sein.

    13 Französisch-Schweizer Reformator (1509-1564), Gründer der Theologischen Akademie in Genf. Die Calvinisten widersetzten sich im 16. Und 17. Jahrhundert entschieden der katholischen Gegenreformation.

    Siehe auch die Beiträge

    im WELTEXPRESS.

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