Zwar keine Sieger, aber Gewinner doch: die Finalisten Rainer Merkel und Stephan Thome mit ihren Büchern – Serie: Die Verleihung des deutschen Buchpreises 2009 (Teil 3/3)

Buchdeckel

Es gibt Dinge, die laufen einfach so. Wer von uns hätte solche Gefühle von Nähe und Entfernung nicht schon verspürt. Für unseren Icherzähler kommt aber belastend hinzu, daß er merken muß, daß er selber es war, der aktiv diesen Prozeß betrieb, in dem es Haltepunkte gab, wo alles hätte anders laufen können. So ist dieser Roman auch ein Hinweis darauf, daß unabhängig, welchen Einfluß wir dem Schicksal oder der Vorsehung Gottes oder dem Zufall angedeihen lassen, wir selbst es sind, die unser eigenes Leben durch Leben und Verhalten bestimmen. Rainer Merkel, der deshalb medial nicht so hervorstach, weil er in Afrika arbeitet und nur jetzt zur Buchmesse in Frankfurt anwesend ist, hat seinem Roman als Vorwort ein Zitat von Emmanuel Bove vorangestellt: „Bis dahin hatte ich nur darauf gewartet, aber jetzt hatte ich endlich begriffen, daß ich keine Minute länger warten durfte, daß ich, wenn ich glücklich sein wollte, es augenblicklich sein mußte.“ Wir wollen dem Roman als Nachwort die Weisheit C.G. Jungs verpassen: „Es ist soviel unmittelbarerer, auffallender, eindrücklicher und darum überzeugender, zu sehen, wie es mir zustößt, als zu beobachten, wie ich es mache.“

Stephan Thomes „Grenzgang“ – übrigens das Buchpreisjahr der kurzen Titel“ – aus dem Suhrkamp Verlag, ist sein Erstling und wurde im Hessischen als potentieller Buchpreissieger stark favorisiert. Das liegt an Zweierlei. Er schreibt klar und verständlich und schreibt von Menschen in der oberhessischen Region, so richtig deutsche Provinz, die an sich erleben, daß die Blütenträume der Jugend nicht nur geplatzt sind, sondern sich gute Entwicklungen ins Ende zusammengekrümmt haben und sich die Gescheiterten neu erfinden müssen, wenn sie sinnvoll weiterleben wollen. Wie macht man das am besten? In einen Swingerclub zu gehen – eindeutig das am besten erzählte und auch spannendste Kapital des Buches – hilft diesen hier nicht weiter und scheint ja auch sonst nicht unbedingt für erfolgreiche Lebensplanung bekannt. Aber ein anderer, einer der zu einem gehört, gehört nicht nur zum Glückbegriff unserer Lebenswelt, sondern evoziert ja auch stärker als alles andere, das Gefühl von einem selbst und damit die ewigalte Frage, wer ich bin und was ich will.

Was ich noch will, müßte man hier ehrlicherweise schreiben. Und so handelt der Roman an dem siebenjährlich wiederkehrenden Volksfest „Grenzgang“ als Zeitraster im Roman – insgesamt viermal also 28 Jahre – genau davon, was war, nicht wurde, sein kann. Man lernt im Roman viel über das Biertrinken, über Nachbarn, sowohl die Nähe wie die Distanz und lernt Leute kennen, die unsereiner bisher nicht kennt, aber auch nicht weiß, ob man wirklich an ihnen als Gesprächspartner interessiert ist. Nachdenklich hat uns nur eines gemacht: Schon vier Männer haben den im Buch präsenten Studienrat Thomas Weidmann als ihren eigenen Lebenslauf erkannt. Der wollte eine wissenschaftliche Karriere an der Uni weiterverfolgen, durfte nicht, ließ deshalb eine tolle Frau laufen und ging zurück ins fiktive Bergenstadt, wo er herkommt. Sein weibliches Pendant, Kerstin Werner dagegen, hatte nach Bergenstadt eingeheiratet, was nicht gut ging, weil der Ex-Ehemann schon vor längerem sie gegen eine Jüngere ausgetauscht hat. Warum sollte das in der Provinz anders sein als in der Großstadt? Kerstin versauert gerade am Anfang des Romans mit demenzkranker Mutter und pubertierendem Sohn und holt sich mit eigener Hilfe und später, sehr spät erst zum Ende des Romans dann auch mittels Hilfe von Thomas aus ihrem Sumpf heraus. Kein weibliches Wesen sprach uns darauf an, sich darin wiederzuerkennen. Was uns das sagt, wissen wir auch nicht.

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Info:

Die Liste der nominierten Romane in alphabetischer Reihenfolge und ihrem jeweiligen Erscheinungsdatum sind:

– Rainer Merkel, „Lichtjahre entfernt“ im Fischer Verlag, März 2009

– Herta Müller, „Atemschaukel“ beim Verlag Hanser, August 2009

– Norbert Scheuer, „Überm Rauschen“ im Verlag Beck, Juni 2009

– Kathrin Schmidt, „Du stirbst nicht“ im Verlag Kiepenheuer & Witsch, Februar 2009

– Clemens J. Setz, „Die Frequenzen“ im Residenz Verlag, Februar 2009

– Stephan Thome, “Grenzgang” beim Suhrkamp Verlag, August 2009

Weitere Informationen und Termine des Preisträgers rund um die Frankfurter Buchmesse können abgerufen werden unter www.deutscher-buchpreis.de.

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