Berlin, Deutschland (Weltexpress). Kurz bevor Regierende begannen, die Reisefreiheit zu beschränken, war er noch in der Stadt seiner Kindheit und Jugend. Bescheiden und bodenständig ist er geblieben, ein echter Vorpommer: Hendrik Born (76), gebürtiger Loitzer, stammt aus einer zehnköpfigen Großfamilie, wo er selbst als Jüngster schon viele Pflichten zu übernehmen hatte. Dafür sorgte die gestrenge Mutter, während sein Vater als Zugführer mit der DR unterwegs war.
„Zum Glück zogen wir 1958 nach Stralsund in die Friedrich-List-Straße“, lächelt er, „denn mein Geburtsort lag am Rande der Welt, während es am Sund, trotz der gravierenden Kriegszerstörungen, bessere Möglichkeiten gab.“ Auch 27 Jahre Dienstzeit bei der Volksmarine und eine steile Karriere konnten ihn nicht verbiegen.
Vor jetzt 30 Jahren beförderte ihn DDR-Staatschef Erich Honecker zum Vizeadmiral, „wortlos“, wie Born sagt, „aber seine Gedanken waren wohl ganz woanders.“ Ein breiter und zwei schmalere goldene „Kolbenringe“, so die Bezeichnung für Offiziers-Ärmelstreifen, wiesen ihn fortan als Chef der Volksmarine aus. Dass er damit einer der jüngsten Admiräle war, ließ ihn nicht abheben. Borns früherer Pressesprecher in Rostock war Dieter Flohr, der seinen Vorgesetzten als „aufrichtig, gradlinig, ehrlich, sehr sozial, kritisch, kooperativ und – nicht unwichtig – humorvoll“ beschreibt, „aber er war auch ein Querdenker, womit er sich nicht überall Freunde schaffte.“
Admiral Theodor Hoffmann, DDR-Verteidigungsminister der Regierung Modrow, erkannte jedoch seine für einen befehlsgewohnten Offizier ungewöhnlichen Eigenschaften und beförderte Born gerade deshalb und mit den Worten: „Diese Zeit braucht neue Köpfe, Sie sind akzeptiert in der Truppe, Sie müssen das einfach machen.“ Born war beliebt, auch wegen seines unorthodoxen Führungsstils sowie untergebenenfreundlicher Entscheidungen. „Erst kommt der Mensch“, ist quasi zu seinem Motto geworden. „Ich kann keine hohen Leistungen erwarten“, meinte er am vergangenen Freitag vor dem Nautischen Abend im Hotel „Baltic“, „wenn ich meine Leute schikaniere, sie nicht als Menschen wahrnehme und damit demotiviere.“ Alles Eigenschaften – neben hoher Kompetenz -, die einen guten Chef ausmachen sollten.
Schon als junger Steuermann eines K-10-Kutters der vom ihm gegründeten GST-Schulsportmannschaft vom Hansa-Gymnasium, wobei er seine Liebe zur Seefahrt entdeckte, stach er aus seinen Mitschülern heraus. Nicht zuletzt auch dadurch, dass er 1963 ein Spitzen-Abi baute und später die Offiziershochschule Schwedenschanze mit Auszeichnung abschloss.
In wenigen Stichworten skizziert er seine vielfältigen weiteren Verwendungen: „Dienst u.a. als Kommandant eines Minensuch- und Räumschiffes in der Warnemünder 4. Flottille.“ Ende 1972 aufgrund guter Führungseigenschaften zur Seekriegsakademie in Leningrad delegiert, Abschluss 1976 mit Auszeichnung. Alles natürlich in russischer Sprache, die vorab intensiv gebimst wurde.“ Ein Erlebnis habe sich ihm bis heute tief eingeprägt: „Russische Kinder, die viele Kriegsfilme gesehen hatten, beschimpften uns auf der Straße wegen der deutschen Uniformen als ´Faschisti`.“
Nach verschiedenen Verwendungenin der 4. und 1. Flottille in Peenemünde 1988 – nun als Flottillenchef mit Dienstgrad Konteradmiral. Damit war Hendrik Born der jüngste Admiral der Volksmarine und zugleich jüngster aller Generäle der NVA in diesem letzten Zeitabschnitt. Mitten im Umbruch der DDR.
„Schon Mitte der 80er Jahre“, berichtet Born rückblickend, „traten politisch wie ökonomisch immer mehr Krisenerscheinungen in der DDR deutlich zu Tage. Junge Menschen verließen in Scharen das Land gen Westen. Ungarn öffnete den Eisernen Vorhang.“ Die Eindrücke während des Studiums in der Sowjetunion hatten bei ihm schon zu ersten Zweifeln an der Lebensfähigkeit der in allen Belangen von der Sowjetunion abhängigen DDR geführt. Andererseits war man es gewohnt, mit Widersprüchen zu leben. Doch den Gedanken an ein Ende der DDR habe er nie zu Ende gedacht, resümiert er heute. Er versuchte auf all die Zerfallserscheinungen im Lande und in der Volksmarine mit Augenmaß zu reagieren. „Fassungslos“ erlebte er auf einem Lehrgang für höhere Offiziere an der Militärakademie der NVA hautnah die Ereignisse in Dresden, als am 4. Oktober 1989 aus der Tschechoslowakei kommende DDR-Bürger den Hauptbahnhof passierten. „Wir werden als Armee des Volkes unsere Einheiten nicht gegen diese Menschen einsetzen, schon gar nicht auf sie schießen“, so sprach man sich untereinander ab. Daran hielten sich alle Kommandeure der NVA. Da traf ihn – „völlig unerwartet“ – die Nominierung als neuer Chef der Volksmarine: „Sofort nach Amtsantritt überschlugen sich die politischen Ereignisse in der zerbröselnden DDR. Und bald stellte sich heraus, dass die Modrow-Regierung die Soldaten sozusagen links liegen ließ. Die PDS und das SED-Organ ´Neues Deutschland` traten sogar offen gegen die NVA auf.“ “In manchen Kneipen bekamen daraufhin Soldaten als ´Systemträger` nicht hat mal mehr ein Bier“, erinnert sich Born. Da hielt er die Zeit für gekommen, die SED zu verlassen.
“Die neue Führung“, berichtet der Ex-Admiral weiter, „der Volksmarine machte sich daran – ermutigt durch die ‚Ein-Staat-zwei-Armeen‘-These des neuen Ministers für Abrüstung und Verteidigung, Rainer Eppelmann, eine verkleinerte und ausschließlich auf Verteidigung ausgerichtete Marine zu konzipieren und erste praktische Schritte zur Umsetzung einzuleiten.“ Doch bald zeigte sich nach den überraschenden Ergebnissen des Treffens von Gorbatschow und Bundeskanzler Kohl vom 14.7. bis 16.7.1990 im Kaukasus, dass die Vorstellungen von Eppelmanns mittlerweile Makulatur geworden waren.
Am 22. September wurden alle NVA-Generale zu Staatssekretär Ablaß nach Strausberg bestellt. Er überreichte ihnen mit dürren Worten ein Entlassungspapier. Am 2. Oktober 1990 dann der letzte Befehl von Admiral Born, dem man wegen seiner Fähigkeiten als einzigem Admiral einen gleichwertigen Posten in der damaligen Bundesmarine versprochen hatte: die Dienstflagge der Volksmarine im Kommando und in allen Dienststellen der Volksmarine niederzuholen. „Der schlimmste Tag im Leben eines Flottenchefs“, resümiert er nachdenklich.
Born zu den Hintergründen: „Gorbatschow hatte die DDR und ihre Armee sozusagen aufgegeben. Das Volk und keine Partei wollten uns mehr, selbst die PDS rückte von der NVA ab. Wir hatten keine Lobby und objektiv gab es nun auch keinen Grund mehr, diese Armee zu erhalten“.
Er nimmt seine Aufgabe als zivilen Berater des neuen West-Admirals – „ein schlecht honorierter Job mit nicht immer freundlichem Umgangston“ – noch einige Wochen wahr, dann erhält er die Chance, in der Wirtschaft neu zu beginnen. Für deutsche und ein englisches Unternehmen arbeitete er von seiner neuen Heimat Bremen aus bis zu seinem 65. Lebensjahr im Marketing- und Vertriebsbereich in Russland, Nahost, der Türkei und in Zentralasien aus. „Andere Kameraden strandeten in der Arbeitslosigkeit, ein Admiral wurde nicht mal als Pförtner angenommen“, schüttelte er den Kopf.
„Am Morgen des 3. Oktober“, erzählt Born, „sagte meine Frau: ´Fahr mit dem Fahrrad in die Kaufhalle, wir brauchen Milch`. Das Leben ging einfach weiter. Da wir nie abgehoben waren, gab´s auch keinen Absturz. Damit hatte sich Omas Prognose erfüllt: Es kam alles ganz anders.“
Seit 2016 ist er Vorsitzender der Stiftung zur Förderung der Schifffahrts- und Marinegeschichte. 2018 veröffentlichte der Hamburger Mittler-Verlag sein lesenswertes historisch-politisches Buch „Es kommt alles ganz anders“.
Bibliographische Angaben
Hendrik Born, Es kommt alles ganz anders, Erinnerungen eines Zeitzeugen, 512 Seiten, zahlreiche bisher unveröffentlichte Fotos, Taschenbuch, Broschur, Format 14 x 21 cm, Verlag: Mittler, ISBN: 978-3-8132-0982-2, Preise: 19,95 EUR (Deutschland), 20,55 EUR (Österreich), 27,90 SFr