Zoran Drvenkar ist 1967 in Kroatien geboren, kam als Dreijähriger nach Deutschland, nach Berlin, wo er seit 1989 als freier Schriftsteller und Drehbuchautor lebt. Er hat sich in vielen Genres versucht, ist auch ein beliebter Kinderbuchautor, was man nicht glauben mag, wenn man sich die doch sehr harten Krimisujets anschaut. Übrigens hatte er auch schon im Jahr 2003 den Krimi „Du bist zu schnell“ veröffentlicht, der derzeit wie auch „Sorry“ verfilmt wird.
Dieses Mal geht es in „Du“ wieder einmal um alles. Um das Leben. Und gleich um das von 26 Menschen, die von einem Wahnsinnigen?, einem Amokläufer?, einem kalkulierenden Killer? auf der nächtlichen Autobahn in Thüringen bei einem Stau im Schneesturm wahllos erschossen werden. Aber er entkommt. Seine Spur findet sich erneut, als zwei Jahre später in einem Motel 36 Opfer tot aufgefunden werden. Es geschieht sechs Jahre darauf ein drittes Massaker, wobei erneut die Leichen auf 59 potenziert werden. Diesmal in einem Dorf in Brandenburg. Aber wer ist dieser Täter, von dem es heißt: „Daß du auf der Suche bist, daß du die Dunkelheit erforschen mußt“.
Sie sind alle „Du“, die angeredet werden, von denen die fünf Sechszehnjährigen aus Berlin das ungewöhnlichste Krimipersonal sind, aber gerade in der Darstellung der Welt der Halbwüchsigen hat Drvenkar seine heiße Nummer. Denn die wollen diese Mädchenclique drehen, als die verschwundene Tanja wiederauftaucht, allerdings im Gepäck mit vielen Drogen und ihrem toten Vater. Die Fortsetzung spielt in Norwegen und ziehen Sie sich warm an beim Lesen.
Auch der bewährte Heinrich Steinfest ist mit „Batmans Schönheit“ aus dem Piper Verlag gleich in den vorderen Bereich vorgestoßen und belegt Platz 5. Hier geht es um den Detektiv Markus Cheng, den einarmigen Chinesen in Wien, der längst das blutige Geschäft aufgegeben hat und inzwischen Krebse züchtet. Allerdings auch mit Todesfolgen. Aber der urzeitliche Salzkrebs Batman überlebt. Deshalb interessieren ihn die ganz Wien aufmischenden Todesfälle weniger, wo ein Schauspieler nach dem anderen als Leiche aufgefunden wird, natürlich ermordet, noch dazu mit einem merkwürdigen Begleiter: alle haben eine norwegische Briefmarke auf der Zunge. Aha, denkt man, wenn man „Du“ von Zoran Drvenkar gelesen hat: Norwegen ist das neue Dunkelland und löst Finnland oder Schweden ab. Und Steinfest ist ein konzentrierter und verwegener Erzähler, der einen nicht losläßt, bis „Chengs letzter Fall“ – wer glaubt wird selig – gelöst ist.
Nun haben Sie mit den bisherigen Besprechungen erst einmal genug zu lesen. Die weiteren auf der KrimiBestenliste neuplazierten folgen das nächste Mal.
Lfd. Nr. |
Rang |
Vor-monat |
Titel |
1 |
1 |
(1) |
Don Winslow: Tage der Toten Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte Suhrkamp, PB, 689 S., 14,95 € USA/Mexiko/Mittelamerika: Dreißig Jahre Drogenkrieg, Antikommunismus, Mord, Folter, Armut und imperiale Gewalt. Don Winslows Epos um US-Drogenfahnder Art Keller und seine keineswegs private Fehde mit den Barreras aus Guadalajara ist das „Krieg und Frieden“ unserer Tage. Epochal, grandios, erschütternd. |
2 |
2 |
(-) |
Zoran Drvenkar: DU Ullstein, geb., 576 S., 19,95 € Berlin/Norwegen: Du. So wird jeder im Roman angeredet: der Serienkiller, der Gangster, die fünf sechzehnjährigen Mädchen, die im Haus eines ihrer Väter auf ein Drogenreservoir stoßen, und der tote Vater selbst. So angesprochen, haben sie Teil am blutig-schrillen Kosmos des Erzählers. Très noir. |
3 |
3 |
(5) |
David Peace: Tokio, besetzte Stadt Aus dem Englischen von Peter Torberg Liebeskind, geb., 352 S., 22,00 € Tokio 1948: Als Amtsarzt, vorgeblich im Auftrag der US-Besatzungsbehörden, impft er die Angestellten einer Bank: von 16 Vergifteten überleben 4. Nach Polizeifolter geständig verurteilt: Aquarellmaler Hirasawa. Peace auf neuem Weg: 12 Zeugen, 12 Wahrheiten über Kriegs- und Nachkriegsverbrechen, Biologische Waffen, Besatzung. Meisterhaft. |
4 |
4 |
(4) |
Nii Parkes: Die Spur des Bienenfressers Aus dem Englischen von Uta Goridis Metro im Unionsverlag, PB, 224 S. 16,90 € Accra/Sonokrom: Yaw Poku, traditioneller Jäger, und Kayo, in England ausgebildeter Tatortanalytiker. Zwei Ermittler, zwei Kulturen, zwei Lösungen. Ohne die Mätresse des Ministers wäre im Dorf Sonokrom nur ein Stück Fleisch vergammelt, jetzt ist es Mord im unzivilisierten Hinterland Ghanas. Satirisch, poetisch, ein Kleinod. |
5 |
5 |
(-) |
Heinrich Steinfest: Batmans Schönheit Piper, TB, 272 S., 8,95 € Wien: Krimi und literarische Engelserscheinung, Apotheose eines Krebses namens Batman und – vorläufig – letzter Fall des einarmigen chinesischen Detektivs Cheng aus Wien. Cheng rettet Red und Red rettet ein Kind, heißt eigentlich Ernest Hemingway und ist ein sanfter Mann. Kryptosurrealistisches Mentaltraining. |
6 |
6 |
(9) |
Thomas Willmann: Das finstere Tal Liebeskind, geb., 320 S., 19,80 € Deutsches Gebirgstal/Wilder Westen: Greider dringt in das abgelegene Hochtal vor, wo die Brenners mächtig sind. Den Winter über malt er ein Gruppenbild. Am Ende werden alle Porträtierten tot sein. Eine Gewaltgeschichte – jedes Komma 19. Jahrhundert. Alpin-Western und Blutheimat-Roman. Tolles Stück. |
7 |
7 |
(-) |
Anne Holt: Gotteszahl Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs Piper, geb., 464 S., 19,95 € Oslo/Bergen: Mit bloßen Füßen steht das Kind im Schnee und singt – und bemerkt die heranrollende Straßenbahn nicht. Ähnlich ahnungslos ist die Polizei. Erst spät begreift sie, dass Hassmörder Homosexuelle ausrotten. Das entdecken Kriminologin Inger Johanne und Mann, aber verhindern können sie das Morden nicht. |
8 |
8 |
(3) |
Jenny Siler: Verschärftes Verhör Aus dem Amerikanischen von Susanne Goga-Klinkenberg Fischer, TB, 320 S., 8,95 € Afghanistan/Vietnam/Marokko/Spanien: Geheimdienstler gieren überall nach Information. Der junge Jamal behauptet, in Madrid einen iranischen Ex-Mitgefangenen gesehen zu haben. Kat hat Jamal in Bagram verhört, jetzt zieht sie los, ihn zu finden. Oder hilft sie, ihn umzubringen? Silers US-Empire: ein Weltmeer der Gewalt. |
9 |
9 |
(-) |
Oliver Bottini: Das verborgene Netz Scherz, geb., 320 S., 14,95 € Freiburg/Berlin: Nach dem Entzug darf Louise Boní¬ wieder arbeiten. Ein Routinefall im Halbdunkel eines Berliner Hotelflurs: Mann zusammengeschlagen, der Frau bedrohte. Im 5. Fall Boní¬s geht es um Licht und saubere Energie, die Allgegenwart der Spione und gierige Frauen. Leise Paranoia-Induktion. |
10 |
10 |
(-) |
Martin Booth: The American Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini Rowohlt, TB, 400 S., 9,95 € Eine kleine Stadt in Italien: Hier lebt in einem turmähnlichen Gebäude Signor Farfalla, der Schmetterlingsmaler. Ganz im Geheimen – und doch nicht so geheim: Sonst gäbe es dieses Buch nicht. Farfalla redet. So erfahren wir nach und nach, warum er auf der Hut lebt: Er ist ein Ästhet besonderer Art. |
Die „Bestenliste“ wird im Hörfunk immer am letzten Wochenende des Monats: Samstag, 30. Oktober 2010 gegen 8.40 Uhr live; Sonntag, 31. Oktober, 15.05 – 16.00 Uhr in der „Literaturzeit“ des NordwestRadio vorgestellt sowie in der Literarischen Welt am 31. Oktober 2010. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem letzten Samstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury hat sich gerade verändert und setzt sich zusammen aus:
Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt Volker
Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, Berg, „Druckfrisch“, Dlf, BR
Sven Boedecker, Zürich, Sonntagszeitung
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Ekkehard Knörer, Berlin, Perlentaucher, Crime Corner
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau
Jochen Vogt, Literaturwissenschaftler
Hendrik Werner, Bremen, DIE WELT
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist Freitag, Plärrer
In der Jury der KrimiWelt-Bestenliste hat es einige Veränderungen gegeben: Kathrin Fischer und Jochen Schmidt sind ausgeschieden. Neu hinzugekommen ist Jochen Vogt, einer der wenigen akademischen Literaturwissenschaftler, der den Kriminalroman schon vor Jahrzehnten erforscht hat.
Alle weiteren plazierten Krimis entnehmen Sie bitte den Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Dreimal darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die diesmal Ende Januar herauskommt.
Unter www.arte.tv/krimiwelt finden Sie die Bestenliste mit Kurzrezensionen der Juroren, Kommentaren des Jurysprechers („What’s New?“) und weiteren Informationen zu Büchern und Autoren („Krimiautoren A-Z“).