Zeitlos – „John Heartfield: Zeitungsausschnitte“ in der Berlinischen Galerie abgelaufen

Plakat zur Ausstellung in der Berlinischen Galerie.

Aber das ging nicht gut aus, denn die insgesamt vier Kinder wurden in Pflegefamilien großgezogen, weil 1899 die Eltern spurlos verschwanden. Helmut machte 1905 eine Buchhändlerlehre in Wiesbaden und studierte danach bis 1911 an der Kunstgewerbeschule in München und arbeitete gleich als Graphiker in der Werbung. Nichts, was ihn begeisterte, dafür aber motivierte, in Berlin weiter zu studieren. 1915 – da war er gerade 24 Jahre – wurde ein entscheidendes Jahr für ihn. Er wurde im Ersten Weltkrieg zum Militär und einer Grundausbildung eingezogen und im Herbst lernte er George Grosz kennen, der auch als Georg Ehrenfried Groß deutsch in Berlin geboren wurde und sich aus demselben Grund wie sein bald enger Freund Helmut einen anglisierten Namen zulegte. Die Namen sind das eine, die Kunst, die sie aus ihrer antimilitaristischen Haltung heraus entwickeln das andere.

John Heartfield, wie wir ihn nun nennen wollen, war nicht nur aufmerksam und kritisch dem Zeitgeschehen gegenüber, sondern verfügte zunehmend über künstlerische Mittel, diesen Protest durch eine völlig neue Kunst der Fotomontage auszudrücken. Er ist einer der ganz wenigen – so wie etwas heute Klaus Staeck –, der sich in seinem Werk als Spiegel der Zeit ausdrückte, indem er durch Kunst das der Politik zugrundeliegende Interessengeflecht offenlegte und dieses Prinzip sein Leben lang verwirklichte. Dies alles war in der Ausstellung in Berlin, die aus der Kunstsammlung der Akademie der Künstler in Berlin stammt, zu sehen, die in Form eines Kataloges die Ausstellung überdauert, der zudem mit vielen klugen Kommentaren das Bildmaterial bereichert. So etwas braucht man fürs Leben, denn das Geheimnis der Heartfieldschen Montagen ist einfach, daß sie geniale Gebilde sind, die sich durch häufiges Angucken einfach nicht abnutzen.

Da kann man zum Beispiel schon vor 30 Jahren über „Adolf, der Übermensch: Schluckt Gold und redet Blech“ vom Juli 1932 gelacht und geweint haben und die Voraussicht des Heartfield bewundert haben und seinen durchsichtigen Hitler bestaunt haben. Die Montage nutzt sich nicht ab, sie wirkt jedesmal neu. Hier sieht man den schwarzbehemdeten Hitler im Röntgenblick. Da, wo andere Leute ein Rückgrat haben, steht bei ihm eine Geldsäule, und da, wo ansonsten das Herz pumpt, sind die Widerhaken der Swastika, die bei Hitler zum Hakenkreuz verkommen. Aber da sind wir schon der Zeit voraus, denn die Ausstellung und der Katalog halten insgesamt die Zeit von 1918 bis 1938 fest. Heartfield selbst konnte sich ins Exil retten und auch 1950 nach Deutschland zurückkehren, wo die DDR ihm Heimat wurde und er 1968 starb, nachdem er oft und lange krank war und tatsächlich von heute her sein Hauptwerk 1938 endet.

Mit Bruder Wieland machte John den Malik-Verlag groß, der nicht nur die politischen Fragestellungen aufgriff, sondern auch die Kultur selbst und ihre Entwicklung zum Thema hatte. Das war damals die DADA-Bewegung, als dessen Prophet sich John bezeichnet. Als am 31. Dezember 1918 die deutsche KPD gegründet wird, tritt er am selben Tag ein und die Überzeugung, daß der Mensch nur ein Mensch bleibt, wenn er Arbeit und zu essen hat, und Reichtum der Erde umzuverteilen ist unter alle, bleibt ihm sein Leben seine Maxime. Und diese in Kunst umzusetzen, wird dann einfach Lebensaufgabe, denn sowohl die Entwicklung der Weimarer Republik hin zu einer bürgerlichen Einrichtung und erst recht der Nationalsozialismus lassen ihn auf die täglichen politischen Katastrophen reagieren. Fängt man einmal an, entkommt man der Maschinerie nicht, denn jede neue Schurkerei muß durch Kunst durchsichtig gemacht werden. Mehr als ein Agitator ist John Heartfield ein Aufklärer.

Was Ausstellung und Katalog nun deutlich machen können, ist genau diese Kontinuität im Werk Heartfields. Denn wir kennen gemeinhin die Blüten seiner Montagen oder die schönsten seiner Buchumschläge für den Malikverlag, wobei viele Leute die Bücher nur seiner Gestaltung wegen kauften. So heißt es. Aber tatsächlich sind das Bücher, die erstmals die Strukturen und Wirkungsweisen des verschärften Kapitalismus, hier Amerikas, in Romanform deutlich machen wie Upton Sinclairs „100 %“ oder „Der Sumpf“, wo ein Industrieareal abgebildet ist, mit rauchenden Schloten und einer so unwirtlichen Gebäudeformation, daß einen die Kälte den Rücken herunterkriecht.

Diese Mischung aus Realität, Emotion, politischer Durchsicht und künstlerischer Zuspitzung bleibt sein Markenzeichen durchgehend, was uns heute, sobald es um den Nationalsozialismus geht, tatsächlich so aktuell wie von heute scheint. Das liegt natürlich auch daran, daß bei aller Aufarbeitung des Dritten Reiches, wie es dazu kam, wie Völkermord und Brudermord durchgezogen wurde und auch nach 1945 nur sehr mühselig analysiert wurde, daß also das uns auch heute noch so gegenwärtig in seiner Erklärungsnotwendigkeit ist, daß diese Bilder tiefe Zustimmung und auch psychische Entlastung mit sich bringen: „Aha, man konnte das damals wissen!“ Seine auf Dauer vielleicht bekannteste Montage „Der Sinn des HITLERGRUSSES“ zeigt diesen im Verhältnis zur dicken übermächtigen Silhouette hinter ihm mit nach hinten angewinkelten Arm und offener Handfläche, in die der Beringte die Tausender schiebt, wobei man im Dickbäuchigen sofort den zur Gestalt gewordenen Kapitalismus evoziert und auch für den Stupidesten das Motto noch hingeschrieben wird: „Millionen stehen hinter mir“ und unten drunter: „Kleiner Mann bittet um große Gaben“.

Zwei Dinge fallen dazu sofort ein. Diese Fotomontagen waren nicht in Kellern versteckt, sondern sehr lange in der AIZ, das war die in Berlin und Prag von 1921 und 1938 erscheinende Arbeiter Illustrierte Zeitung, wofür Heartfield von 1930 an arbeitete, abgedruckt. Die von der Finanzierung Hitlers durch die deutsche Großindustrie erschien im Oktober 1932!! Noch 25 Jahre später hatte die darin aufscheinende poltische Wahrheit ein Mathematiklehrer eines humanistischen Gymnasiums in Frankfurt am Main immer noch nicht erkannt. Denn dieser, der im Mathematikunterricht seine Kriegskunst des Stechschritts vorführte und von Hitler schwärmte, ging in selbigem auf die Schülerin zu und knallte ihr eine Ohrfeige, weil diese ihm auf seine Hitlerschwärmerei hin zugerufen hatte: „Hitler? Ach, Hitler wurde doch von der deutschen Großindustrie finanziert.“

So ist das eigentliche Debakel, das einem angesichts dieser wundervollen, phantasievollen, scharfen wie spitzen und auch poetischen Collagen und Montagen überkommt, eigentlich dieses: Wen erreichten diese aufklärerischen Plakate, Bilder, Drucke? Damit ist nicht nur die Reichweite gemeint, sondern auch die Schere im Kopf von Menschen, die das, was sie hätten sehen können, nicht haben sehen wollen. Und das macht traurig. Aber die, die sich bestätigt fühlen, weil hier ein politischer Kopf die Kunst für die Aufklärung von Menschen nutzte, die macht dies glücklich.

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Katalog:

John Heartfield Zeitausschnitte. Fotomontagen 1918 – 1938, HatjeCantz 2009

Folgeausstellung Berlinische Galerie gerade eröffnet:

BERLIN 89/09 – KUNST ZWISCHEN SPURENSUCHE UND UTOPIE ab 18. September 2009 – 31. Januar 2010

Mit dem Mauerfall stand Berlin über Nacht im Zentrum einer neuen Aufmerksamkeit. Vom Repräsentant zweier gegensätzlicher Gesellschaftssysteme wurde die Stadt zum Grad ­messer der Wiedervereinigung und zur Projektionsfläche gesellschaftlicher, kultureller und politischer Widersprüche.

www.berlinischegalerie.de

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