Der heute über 70-jährige Berghofer scheint offensichtlich in einem Dutzend Jahren offensichtlich zu dem Ergebnis gekommen zu sein, mehr Preis zu geben statt ins Grab zu nehmen. Vor allem wolle er das Bild, das im vergangenen Vierteljahrhundert seiner Meinung nach entstanden sei, zurechtrücken und die Bedeutung des Ministeriums für Staatssicherheit auf seine Aufgaben beschränken, denn „die wahren Machtverhältnisse in der Diktatur des Proletariats“ lag bei der Sozializistischen Einheitspartei Deutschlands (SED).
Für Berghofer war, das sei vorweggenommen, die Deutsche Demokratische Republik (DDR) weder Himmel noch Hölle gewesen, wie „für viele“, doch weil es nicht das versprochene Paradies auf Erden war sondern für iele Perspektivlosigkeit bot, wollten DDR-Bürger „das Land unter Einsatz ihres Lebens verlassen“, gab „es unzählige Opfer der Diktatur“.
Über die SED, dessen Nachfolgepartei PDS Berghofer zwar im Dezember 1989 und Januar 1990 vorstand, doch noch am 21. Januar 1990 mit der Forderung verliess, die SED-PDS aufzulösen, notiert er, dass sie „immer recht“ hatte und genau das „der Kern ihres Selbstverständnisses“ war. „Wer das nicht akzeptierte, war ihr Feind“, urteilt Berghofer nach jahrelangen Erfahrungen.
Berghofers SED-Biografie scheint geprägt von „Begeisterung und Überzeugung“ über Schwanken „zwischen Skepsis und Hoffnung“ bis zum „reformwilligen Funktionär“ und war nach eigenen Worten ein „langer Weg voller Selbstzweifel und Selbstbetrug, Demagogie und Eitelkeit, Wahrheit und Lüge bis zur Erkenntnis, dass der real existierende Sozialismus weltweit ökonomisch, politisch und moralisch am Ende und nicht verteidigungswürdig ist“.
Berghofer hält nicht nur Rückschau und reflektiet den Herbst 1989, dessen Vorlauf und seine Mitläuferschaft, um zu urteilen, „keine Figur im Schachspiel“ gewesen zu sein, sondern äußert sich auch tagespolitisch. Er hält „von Sanktionen gegenüber Russland, egal ob politischer oder wirtschaftlicher Natur, überhaupt nichts“. Er wendet sich gegen die Verteufelung des „Präsidenten der Russischen Föderation ”¦, obwohl Putin aus Sicht der Russen das Land so regiert, wie es russischer Mentalität entspricht und von der absoluten Mehrheit der Russen auch gebilligt wird.“ Berghofer beklagt „die öffentliche Meinung“ der Mainstreammedien und kann keine „neue Ostpolitik der Europäischen union, die sich befreit hat von den Rudimenten des Kalten Krieges“ erkennen und scheint für eine „Freihandelszone von Wladiwostok bis Lissabon“ zu plädieren. Siehe da, Berghofer war und ist „ein politisch denkender Mensch“, der sich aus den Niederungen der Tagespolitik fernhält.
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Wolfgang Berghofer, Keine Figur im Schachspiel, Wie ich die ‚Wende‘ erlebe, 256 Seiten, broschiert, ISBN: 978-3-360-01854-0, Preis: 14,99 EUR (D)