Paschel: Da ich bereits das Vergnügen hatte, Dich als Seminarleiter zu erleben, möchte ich zuerst das Geheimnis der Pferdeflüsterer lüften, nämlich dass es ist kein Geheimnis ist. Mehr will ich nicht verraten, denn das kannst du besser!
Welz: Natürlich bedeutet „Pferdeflüstern“ nicht, dass man tatsächlich mit Pferden flüstert, sondern es bedeutet im übertragenen Sinn: in jeder Hinsicht im Umgang mit Pferden so wenig Energie aufzuwenden wie möglich. Also beispielsweise: eher sanften Schenkeldruck als heftigen auszuüben, eher sanft mit den Zügeln umzugehen (oder zeitweise sogar ganz ohne Zügel auszukommen) statt heftig an den Zügel zu zerren.
„Pferdeflüstern“ bedeutet insgesamt: Gefühl für Pferde zu entwickeln – für deren Bedürfnisse und vor allem Nöte im Umgang mit uns, bei deren Erziehung und Ausbildung.
Ein/e „Pferdeflüsterer/in“, wie ich es verstehe, kennt vor allem aber sich selbst: seine eigenen Bedürfnisse und Motive, seine Ängste und Nöte und alle anderen Gefühle, die ins Spiel kommen, wenn man mit Pferden zu tun hat.
In diesem Sinn wüsste ein „Pferdeflüsterer“ (selbstkritisch) zu erkennen, dass es ihm um seine Ehre geht, wenn er nach öffentlicher Anerkennung strebt, nach Siegen oder Pokalen, und dass er Pferde für seine Zwecke benutzt, und dass es vom Benutzen zum Missbrauchen oft kein langer Weg ist.
In diesem Sinn handelt es sich beim „Pferdeflüsterer“ um einen reifen Menschen, der im Lauf seines Lebens von allen möglichen „hohen Rössern“ herabgestiegen ist und sich in Demut als gleichbedeutender Teil der Schöpfung sieht.
Paschel: In deinem Seminar „Charakter- und Temperamentenlehre“ nahm ich eine wichtige Erkenntnis mit, dass eigentlich alle Reiter unabhängig vom Menschentyp dazu neigen, das Verhalten des Pferdes mit menschlichen Maßstäben zu messen, selbst wenn man sich dessen bewusst ist.
So sagen wir: Das Pferd, das sich nur schwer bewegen lässt, sei faul oder ungehorsam.
Aus der Sicht eines beispielsweise „dominant-phlegmatischen“ Pferdes ist das jedoch ein sehr sinnvolles oder kluges Verhalten, das ihm als Beutetier nutzt, Energie zu sparen für eine mögliche Fluchtsituation.
Kannst du in kurzen Worten sagen, was die Teilnehmer in diesem Kurs erfahrungsgemäß mitnehmen?
Welz: Ich hoffe, dass sie vor allem dies mitnehmen: Dass es unterschiedliche Pferde- und Menschentypen gibt, die sehr genau zu beschreiben (und somit auch zu erkennen) sind, und dass diese unterschiedlichen Typen z. T. sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben und auch unterschiedliche Startvoraussetzungen mitbringen. Wer das weiß, und gelernt hat, wie sie „ticken“, wird anderen Menschen und Pferden, aber auch sich selbst gegenüber, gerechter sein.
Paschel: Wie ich Dich verstehe, ist das Pferd für Dich ein Wesen oder Medium, das dem Menschen helfen kann, sich selbst besser zu verstehen.
Welz: Ja und nein. Ja, wenn ich bereit bin, mir vom Pferd einen Spiegel vorzuhalten, etwa zu folgenden Fragen: Wo liegen meine Ängste? Wo kommt meine Eitelkeit zum Ausdruck? Wo und wann bin ich unfair und ungerecht? Wo projiziere ich Wünsche und Sehnsüchte auf (m)ein Pferd und lasse es ertragen, wozu ich selbst vielleicht zu feige oder unentschlossen bin?
Mein „Nein“ ergibt sich aus dem Umkehrschluss: Da Pferde von Natur aus vieles hinnehmen und „schweigen“, und weil sie keinen Schmerzlaut besitzen, können mit und an Pferden auch unsere schlimmsten menschlichen Seiten zum Ausdruck kommen. Dann rechtfertige ich mein Verhalten auch noch vor anderen oder vor mir selbst, weil das Pferd „es“ ja hinzunehmen scheint. Je härter ich als Mensch bin und je technisch versierter ich im Umgang mit Pferden bin, desto eher gelingt es mir – nicht zuletzt auch durch mechanische Hilfsmittel – mein Pferd endgültig „mundtot“ zu machen und meine Lebenslüge als Könnerschaft zu verkaufen.
Paschel: Du hast außerdem noch eine Akademie für Mensch-Pferde-Kommunikation und bietest auch Führungsseminare für Manager an.
Welz: Ja, in unserer Akademie vermitteln wir in einem ersten Schritt 10 Wochenendausbildungs-Modulen umfassende psychologische Methoden, sich selbst und andere besser zu verstehen. Außerdem geht es darum, konkrete Lösungen zu finden für Lebenssituationen, die wir als belastend bis bedrohlich empfinden. Oder aber, im schönsten Fall, dass wir lernen, in uns schlummernde, unentdeckte Fähigkeiten zu entdecken und sie zu fördern.
Im zweiten Schritt binden wir Pferde in dieses Konzept ein. Hier stehen die unterschiedlichen Psychen von Mensch und Pferd im Mittelpunkt, und es geht darum, beiden ein harmonischeres Miteinander zu vermitteln. Im dritten Schritt bildet die Akademie „Horsemanship-Trainer“ aus, die in der Lage sind, Menschen und Pferde im o. g. Sinne von „Pferdeflüstern“ auszubilden und zu begleiten.
In den Führungsseminaren für Manager geht es darum, Führung nicht theoretisch zu erklären, sondern sinnlich erfahrbar zu machen und Konzepte schon fast spielerisch auszuprobieren. Auf der einen Seite sind da Menschen, zu deren beruflichen Aufgabenbeschreibungen es gehört, zu führen; auf der anderen Seite Pferde, die von Natur aus dazu bestimmt sind, folgen zu wollen. Menschen mit Führungsschwächen können dabei ihre Defizite sehr schnell erkennen, vor allem aber, was sie brauchen, um die Defizite auszugleichen.
Da Pferde nun einmal sehr sensibel sind, spiegeln sie sehr schnell zurück, welches Maß an Energie der Mensch aussendet. Ein Pferd beispielsweise von sich weglaufen zu sehen, kann für einen vermeintlich führungsstarken Menschen mindestens so viel Einsicht zutage fördern, wie ein 360-Grad-Feedback in der Firma. Der zusätzliche Vorteil des pferdischen Feedbacks liegt darin, dass es völlig nonverbal stattfindet, die Gefühle des Menschen also nicht durch (oftmals schein-) rationale Argumentationen überlagert wird.
Paschel: Das sind auch Qualitäten, die in meinem Beruf als Lehrer relevant sind. Hinter angeblichem Ungehorsam des gesunden Pferdes steht nach meiner Einschätzung in den meisten Fällen die Angst des Pferdes oder die Unfähigkeit des Reiters, sich dem Pferd zu vermitteln.
Welz: Ja, und somit eine Vielzahl möglicher „Erziehungsfehler“ durch Menschen. Selbstverständlich können Pferde ungehorsam sein, aber dann hat das immer mit Menschen zu tun, die es dazu kommen ließen.
Paschel: Damit sind wir beim Thema, das mich besonders interessiert.
Pferde werden im Sportreiten überwiegend ausgebildet nach dem Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“: Wenn du etwas falsch machst, wirst du bestraft, wenn du gehorsam bist, wirst du gelobt. – Das Lob besteht oft in einem Leckerli nach der überstandenen Tortur im Viereck.
Nach welchem Prinzip arbeitest du?
Welz: Grundsätzlich möchte ich zunächst darauf hinweisen, dass nicht jeder Reiter ein Tierquäler ist, auch nicht jeder Sportreiter. Dennoch ist die Verführung groß (und ich bin ihr früher selbst erlegen), um des Ruhm und des Geldes willen, Pferde über die Maßen zu fordern – bis hin zur Tortur. Meine eigenen Prinzipien im Umgang mit Pferden habe ich beim Thema „Pferdeflüsterer“ und in der Skizzierung unserer Akademie-Inhalte bereits beschrieben.
Heute, mit 66 Jahren, interessiert mich bei der Ausbildung von Reitpferden vor allem „nur“ noch, dass sie gesund bleiben: also ein physiologisch angemessenes Training. Doch dazu gehört, wie Du als Sportwissenschaftler noch besser weiß als ich, unter anderem der richtige Aufbau von Muskulatur. Und dazu wiederum gehört, die Muskeln des Pferdes zu belasten, oder simpel gesagt: Druck. Druck wird das Pferd jedoch nur hinnehmen und in die angemessene und gewünschte Bewegung umsetzen, wenn es gehorsam ist. Und um den Gehorsam eines Pferdes zu erreichen, bedarf es außer dem Wissen um die pferdische Natur und Psyche, „technischen“ Kenntnissen zur Umsetzung, vor allem des menschlichen Gefühls.
Bodenarbeit mit Gefühl ist m. E. eine wesentliche Grundlage, um Pferde zu erziehen.
Paschel: Die körperliche Züchtigung (Prügelstrafe u. a.) für Kinder ist ja zum Glück in Deutschland und 38 weiteren Ländern verboten. Soll das auch für das Pferd gelten oder gibt es da Einschränkungen?
Welz: Das ist eine heikle Frage, vor allem, wenn man sich vorstellt, dass ein Hengst im Extremfall beispielsweise zähnefletschend auf mich zustürzt. Ich verwende am liebsten den Begriff der „Grenzsetzung“. Ich setze Pferde deutliche Grenzen. Das beginnt interessanterweise mit dem liebevollen Streicheln oder dem funktionalen Putzen des Pferdes (auch Hände und Bürsten sind Arten von Begrenzung) und kann durchaus mit einem heftigen Schlag meinerseits enden. Das hängt von dem Erziehungsstand des Pferdes ab und dem Umstand, in dem es stattfindet.
Paschel: Der Spornstoß ist die stärkste und nachdrücklichste Einwirkung mit dem Sporn. Er verursacht dem Pferde augenblicklich heftigen Schmerz und erregt außerdem durch die Verletzung der Haut Entzündung und Anschwellung der getroffenen Teile, wodurch deren Empfindlichkeit auf längere Zeit sehr gesteigert wird…. – Phlegmatische Pferde und solche, die mit ihren Kräften zurückhalten, werden durch den Spornstoß zu lebhafter Tätigkeit angetrieben, außerdem aber Eigensinn, Widersetzlichkeit und Bosheit damit bestraft. Der Reiter muss den Spornstoß kräftig und entschlossen setzen…
Der Spornstich dient dazu, dem Pferde den Sporn in lebhafte Erinnerung zu bringen, wenn es sich auf leichte Hilfen der Wade unaufmerksam oder nachlässig zeigt. Das ist ein Zitat von Gustav Steinbrecht „Das Gymnasium des Pferdes“ S. 24 ff.
Was kannst du dem entgegnen?
Welz: 1. Ganz verständlich ist mir der Unterschied zwischen Stoß und Stich hier nicht, aber dieser Unterschied ist auch wohl nur von „akademischer Bedeutung“.
2. Absatz 1 klingt nach einer Beschreibung einer tierquälerischen Maßnahme.
3. Absatz 2, Satz 1 ist m. E. tendenziell falsch, weil Sporeneinsatz reflektorisch zunächst zur Muskelkontraktion führt und nicht zum lebhaften Antrieb. Satz 2 ist Aufforderung zu einer tierquälerischen Maßnahme.
4. Absatz 3 kann funktionieren und bedeutet Leistung aufgrund von Schmerzandrohung.
Allerdings stammt von demselben Gustav Steinbrecht auch folgender Satz: „Fortschritte macht Dein Pferd nur, wenn Du auf gutem Fuße mit ihm stehst. Selbst wenn Du seine schlechten Neigungen, sein natürliches Widerstreben bekämpfst, muss Dein Umgang mit ihm stets von einer wohlwollenden Gemütlichkeit angehaucht sein.“
Vielleicht lässt sich an diesem seltsamen Widerspruch die ganze „Schizophrenie“ exemplifizieren, unter der wir Pferdeleute grundsätzlich leiden.
Paschel: Reitern wird schon lange ein „barbarischer“ Umgang mit Pferden unterstellt.
Der bekannte Journalist und Tierschützer Horst Stern hat schon 1972 darüber ein Buch „Bemerkungen über Pferde“ geschrieben und der Psychologe und Verhaltensforscher Prof. Heinz Meyer hat 1982 „Geschichte der Reiterkrieger“ das Thema wissenschaftlich durchleuchtet. Beide verweisen auf die Tradition des Reitens in der Kavallerie und im Krieg.
Haben wir als Menschen vielleicht diese barbarischen Anteile in uns, die situativ nicht nur im Krieg ausbrechen können?
Welz: Definitiv. Wie wir aber auch die „heilsamen“ Anteile ihn uns tragen. Und barbarisches Handeln kann die unterschiedlichsten Ursachen haben: vom nackten Überlebenskampf bis zur brutalsten Räuberei. Deshalb tun Menschen gut daran, sich über sich selbst klar zu werden: ihre geheimsten Antriebe, Ängste, Emotionen und Bedürfnisse kennen zu lernen.
Paschel: Lass uns noch mal zur Praxis kommen. Ich werde oft von Reitern gefragt, teilweise von Müttern, die mich bei der Bodenarbeit beobachten, ob ich ihnen nicht zeigen könne, wie das geht. Der Theorie von gegenseitigem Vertrauen zwischen Mensch und Pferd stimmen sie spontan zu. Spätestens aber, wenn ich ihnen sage, dass sie Ihrem Pferd mit dem Gebiss und einem festgezurrten Sperrriemen oder Sporen Schmerzen bereiten und das Vertrauensverhältnis zum Pferd empfindlich stören, ist der Privatunterricht vorbei, auch wenn er nichts kostet. Viele wollen ein Rezept, kritische Selbstreflexion ist nicht erwünscht. Typisch war für mich neulich der Ausspruch einer Reiterin: Ich will hier nicht die Welt verändern, ich will meinen Spaß haben. Solche Situationen kennst Du sicher auch?
Welz: Selbstverständlich. Da sind wir beim Benutzen des Pferdes angekommen. Von Formen der Sklaverei ist das in den extremsten Ausprägungen nicht weit entfernt. Hinter der Ablehnung gebißlosen Reitens verbirgt sich meist aber auch die pure Angst – ohne Gebiss im Maul des Pferdes die Kontrolle zu verlieren. Für diese Menschen stellt ein solches Pferd die pure Provokation dar.
Paschel: Die Versammlung als höchste Stufe der deutschen „FN-Skala der Ausbildung“ steckt als unantastbares äußeres Erscheinungsbild des Pferdes und seiner Gesunderhaltung weithin in den Köpfen der meisten Reiter und Ausbilder, selbst bei einigen Kritikern der Zustände. Meines Erachtens wird darin übersehen, dass dies modernen Erkenntnissen der Veterinärmedizin und Verhaltensforschung, sowie auch – aus meiner Sicht – der Sportwissenschaft widerspricht.
Welz: Ich möchte der Ausbildungsskala und ihren Zielen gar nicht widersprechen. Takt, Losgelassenheit, Anlehnung, Schwung, Geraderichtung, Versammlung sind beachtenswerte Eigenschaften. Und die Variante der deutschen Westernreiter: Takt, Losgelassenheit, Nachgiebigkeit, Aktivierung der Hinterhand, Geraderichten, absolute Durchlässigkeit, hat auch einiges für sich.
Allerdings kommt es in beiden Varianten auf die Durchführung an – und da sehe ich erhebliche Mängel, bei der deutschen Sportreiterei mehr als bei den deutschen Westernreitern. Was allerdings nicht heißt, dass die Westernreiter die besseren Reiter wären (im Gegenteil: die Umstände dort sind schreckenerregend!). Das Ziel der Westernreiter lautet Durchlässigkeit – und das ist ja nichts anderes als Gehorsam, und dagegen ist ja nun wirklich nichts zu sagen (außer, wie dieser Gehorsam dort oft erzwungen wird”¦).
Versammlung hingegen wird zu oft verwechselt mit rein physischer Versammlung und endet in der Wirklichkeit allzu oft im sinnlosen Zügeln von Pferden. Der Begriff Durchlässigkeit beinhaltet Versammlung als mentale Komponente des sichtbaren Pferdeverhaltens und hat den psychologischen Vorteil, Reiter von der Notwendigkeit abzulenken, ihre Pferde auf Biegen und Brechen „auf die Hinterhand“ zu bekommen.
Paschel: Prof. Heinz Meyer hat neben seinem Buch über die Rollkur dazu einen unübersehbaren Beitrag geleistet „Die Skala und das System der Ausbildung – eine kritische Interpretation“ , der von der FN totgeschwiegen wird. Dieses Thema separat zu diskutieren, würde sich lohnen, wenn Du interessiert bist.
In den höchsten Klassen S und M und teilweise L ist die Kandare vorgeschrieben, wobei dem Pferd zwei Eisenstangen im Maul zugemutet werden. Der ursprüngliche Zweck der Kandare war für den Krieger das Pferd mit einer Zügelhand zu kontrollieren. Jetzt wird es „Kunst“ genannt, dieses Folterwerkzeug mit „Feinen Hilfen“ zu betätigen.
Verstehst Du diesen „Sinneswandel“?
Welz: Ich muss mich zunächst einmal denen anschließen, die mantramäßig den Hinweis verbreiten, dass jedes Gebiss nur so scharf wirke, wie die Reiterhand sei, die die Zügel führt. Das ist natürlich richtig, nur glaube ich nicht an diese feinen Reiterhände. In „Cavallo“ wurden einmal wissenschaftliche (kommt selten vor) Messergebnisse veröffentlicht. Danach hatte die (nach eigner Einschätzung) feinste Reiterhand in der Spitze bis zu 12 Kilogramm Gewicht im Maul des Pferdes aufgebaut.
Andererseits kann ich mir aber auch vorstellen, dass physiologisch sinnvolles Muskelaufbautraining mit Gebiss besser praktiziert werden kann, weil ich den „Hebel“ vorne besser ansetzen kann, um im Zusammenspiel von Zügelhilfen und treibenden Hilfen die Bauchmuskulatur des Pferdes zu aktivieren. Drittens räume ich allerdings auch ein, dass ich Pferde 15, 20 Jahre gebisslos mit Knotenhalfter geritten bin, ohne körperlichen Schaden bei ihnen anzurichten.
Offiziell sollte m. E. die Wahl der Zäumung freigegeben werden, dann hätten Pferde und Reiter ehrlichere Chancen. Allerdings fürchte ich, dass die Sportpferde-Hochleistungszucht zum größten Teil mittlerweile Pferde „produziert“, die nur mithilfe entsprechender mechanischer Hilfsmittel kontrolliert werden können.
Mein Kunstverständnis bezieht sich auf andere Gegenstände. Reit-„Kunst“ würde ich nur dort sehen, wo Pferde von Reitern „geformt“ werden, ohne dass Formwerkzeug notwendig wäre.
Paschel: Formwerkzeug ist ein guter Begriff. Wenn ich im Fernsehen Berichte über Reitveranstaltungen sehe, in der z. B. beim Springen Reiter anstatt weich und elastisch, wie es in den Richtlinien steht, wild am Zügel reißen, die Pferde gegen den Zügel gehen und deutlich ihr Unwohlsein ausdrücken durch wildes Schlagen mit dem Schweif , die blau angelaufene Zunge in Großaufnahme gezeigt wird oder in der Dressur die meisten Pferde aufs Viereck traben mit sabbernden Mäulern und in einer deutlichen Verspannung, die sichtbar ist für jeden, der sich ein wenig im Sport auskennt, muss ich abschalten, da ich das Leid der Pferde nicht mehr ertrage.
Wie geht es dir dabei?
Welz: Ich schaue schon seit Jahren keine Pferdesportveranstaltungen mehr und auch Pferdeshows sind mir in weiten Teilen schon verdächtig. Allerdings gibt es dort auch wunderbare Pferdemenschen, wie zum Beispiel Christophe Hastaluego, den ich bei sich zu Hause in Ní®mes bei seiner Ausbildungsarbeit beobachten konnte, oder die Pignon-Brüder und auch Lorenzo, den ich als pferdefreundlichen, geduldigen (und auch genialen) Pferdemann kennen gelernt habe.
Paschel: Solche Pferdemenschen kenne ich auch, Lene Husch würde ich da nennen. Als Sportpädagogen haben wir die Frage gestellt, ob das Sportreiten mit den Ethischen Grundwerten der Olympischen Bewegung vereinbar ist. Der Präsident Thomas Bach versucht uns mit Nichtbeachtung zu bestrafen. Ich finde, das sagt sehr viel über ihn aus!
Welz: Olympia = Politik, Kommerz, Doping. Wenn es Pierre de Coubertin einst bei der Wiederbelebung der olympischen Spiele um die Formung der Einheit von Körper, Geist und Seele gegangen ist, so wird er sich heutzutage in seinem Grab nicht nur „umdrehen“, sondern als Propeller im Jenseits unterwegs sein.
Paschel: Das ist kurz und treffend formuliert!
Gern hätte ich von Dir noch eine Einschätzung zu unserer letzten Initiative an den Petitionsausschuss und die Fraktionen im Deutschen Bundestag, die ja anscheinend dort nicht von allen Fraktionen positiv aufgenommen wird. Was sagst Du zu unseren praktischen Vorschlägen?
Welz: Diesen praktischen Forderungen hinsichtlich Materialeinsatz, Umgang, Haltung und Veranstaltungen stimme ich völlig zu.
Paschel: Die Regierung will ja im Sommer das neue Dopinggesetz verabschieden, wo die Pferde mal wieder vergessen wurden, wie mir scheint. Das ist ein Grund mehr, auch die Pferde besser zu schützen. Das Gutachten des Landwirtschaftsministers, der vom Petitionsausschuss befragt wurde, sieht ja aus wie eine Stellungnahme der FN. Ich finde es nicht verwunderlich, dass der Landwirtschaftsminister die Interessen der Pferdezüchter und -Besitzer der teuren Sportpferde vertritt.
Welz: Angesichts unserer lobbygeprägten Demokratie ist allerdings auch nichts anderes zu erwarten.
Paschel: Ich bedanke mich für Deine trefflichen und offenen Worte!