Soviel zum positiven Teil der Eishatz in Berlin-Hohenschönhausen. Dass die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) jedoch in fünf der zehn Final-Wettbewerbe – zugelassen waren die jeweils 24 Besten der Welt – gar nicht mehr vertreten war, ist der Beleg, dass die Leistungssubstanz weiter bröckelt. Nicht unbedingt zuversichtlich stimmend im Hinblick auf die olympischen Rennen 2014 in Sotschi. Dieses Bild hätten auch die krankheits- oder verletzungsbedingt fehlenden Nico Ihle (Sprint), Monique Angermüller (1000 m) und Judith Hesse (1000 m) bzw. der Startverzicht von Claudia Pechstein über 1500 m nur marginal aufhellen können.
Ein weiterer Aderlass könnte nach der WM eintreten. Denn die Berlinerin Jenny Wolf ließ bei ihren Worten nach dem Auftritt auf ihrer Heimbahn Rücktrittsgedanken durchschimmern. Nach 38,37 s und Rang drei am ersten Tag hinter Weltrekordlerin Jing Yu (37,94 s) aus China und Olympiasiegerin Lee Sang-Hwa (38,00 s) wollte im zweiten Lauf angreifen "und um den Sieg kämpfen". Daraus wurden zwar 38,22 s, aber lediglich Rang vier. Geschlagen auch von der eigentlichen Mittelstrecken-Königin Christin Nesbitt (38,17 s). Damit war zugleich Rang eins im Sprint-Gesamt-Weltcup, den sie bereits sechs Mal für sich entschieden hatte, an die Chinesin verloren.
Dementsprechend enttäuscht präsentierte sich Wolf hinterher. Mit unüberhörbar resignativem Unterton meinte sie: "Es ist etwas traurig zu sehen, dass ich nicht an die Leistungen von vor zwei, drei Jahren anknüpfen kann. Und eigentlich permanent in diesem Winter rund eine halbe Sekunde langsamer als in den Vorjahren bin." In der Tat ist Wolf auf dem Berliner Oval fast ein Dutzend mal unter 38 s geblieben. Ihr Bahnrekord von 37,52 s datiert aus dem November 2009.
Ob das Hinterherlaufen möglicherweise damit zu tun habe, dass sie im Sommer / Herbst ein wenig später in die Saison eingestiegen sei?- "Nein", antwortete die diplomierte Germanistin. "Diese längere Pause habe ich einfach gebraucht. Mental und körperlich."
Danach ging es aber schon im Training nicht so leicht. Und im Weltcup profitierte sie davon, dass die stärksten Konkurrentinnen die eine oder andere Station ausließen.
"Die Entwicklung der Gegnerinnen aus Asien zeichnete sich bereits vor zwei Jahren ab", erklärte Thomas Schubert, Wolfs Heim- und Bundestrainer. Im Vorjahr habe sein Schützling den WM-Titel "nur dank einer Energieleistung" erobern können. Warum die 33-Jährige ihre langjährige Dominanz – illustriert durch 60 Weltcuperfolge, WM-Titel über 500 m und im Sprint-Mehrkampf sowie Weltrekorde – nun verloren hat?
Da sagt Schubert zunächst: "Da bräuchte es mehr Zeit bei einer Tasse Kaffee. Das ist zwischen Tür und Angel nicht so leicht erklärbar." Und unternahm auf Nachfragen dennoch einen Flash-Erklärungsversuch: "Jenny bräuchte die Form von früher. Ihre Überlegenheit im Angang auf den ersten 100 m ist weg. Das war ihr großes Plus. Und auf der Runde büßt sie halt nun deutlicher als vormals ein. Gegen Gegnerinnen, die jünger, schneller und besser sind." Das sei normal im Leistungssport – irgendwann kämen Jüngere und Bessere…
Gleichwohl – so Wolf und Schubert unisono – werde man bei der anstehenden WM ums Podium kämpfen. Schubert: "Eine Medaille ist möglich – aber von Gold reden wir nicht." Ob es noch irgendeinen Ansatz gäbe, den Rückstand zum Asienexpress bis Heerenveen zu verkürzen? – "Nein", sagt Wolf ohne zu zögern, "die halbe Sekunde kann man nicht in 14 Tagen aufholen". Und ob es bei der Ankündigung bleibe, die Entscheidung über einen Rücktritt oder Weitermachen bis Olympia in zwei Jahren (Olympiagold fehlt der Silbernen von Vancouver 2010 im Trophäenschrank) "aus dem Bauch heraus zu fällen"? Dazu sei momentan nichts zu sagen, so eine der erfolgreichsten Eissprinterinnen aller Zeiten.