Wintermärchen – …der Gebrüder Grimm führt dieses Jahr wieder die „Märchenhütte“ in Berlin auf

So wunderbar grausig geht es zu in der Märchenhütte. „Nur für Erwachsene" werden in dem schummrigen Holzhäuschen in der Winterzeit grimmsche Märchen aufgeführt. „Wenn es mich doch nur gruselte…", denken sich auch kleine Zuschauer und drängen sich nicht nur zu den an ein Kinderpublikum gerichteten Nachmittagsvorführungen näher an die Erwachsenen. Uralt ist diese Tradition des gemeinschaftlichen Erzählens. In Berlin wird sie durch das Ensemble der Märchenhütte erst seit einem Jahr wiederbelebt. Fast wäre es bei dem einmaligen Erfolg geblieben, denn im Sommer drohte dem Häuschen der Abriss. „Ist das denn alles erlaubt?", fragte im letzten Winter auf der Bühne ein Himmelsbote den Teufel (der mit den drei Goldenen Haaren). „Das ist ein schwebendes Verfahren.", erwiderte der. Doch gewendet hat sich, wie es sich für ein Märchen gehört, zum Guten. Seit Ende November heißt es wieder: „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute." Wenn – denn häufig geht es wie in den Originalen der Gebrüder Grimm in der Märchenhütte blutrünstig zu. Mitunter erinnert die Aufführungen an mittelalterlichen Bänkelgesang oder die Schauspieler, die eine gräuliche Moritat gewürzt mit Horror, einer Spur Erotik und (Schein)Moral auf wackelige Bühnen brachten. Eine eigene Atmosphäre, ideal für Märchen- und Spukhaftes, entsteht in dem niedrigen Häuschen auf dem Bunkerdach. Glühweinnebel, Zimt und Puderzuckertau – denn vor der Aufführung kann man sich vor Ort mit Gebackenem, Gekochtem und heißen Getränken stärken – schweben über den rustikalen Holzbänken, auf denen das Publikum immer dichter zusammenrückt. Ein Glöckchenklingeln, der Vorhang hebt sich und die Märchenhütte wird zum Zauberwald. Giftige Äpfel wachsen darin an den Bäumen, verwunschene Spiegel sprechen. Das Grauen lauert, wo es am sichersten scheint, dies lehrt die Weihnachtszeit alljährlich aufs Neue. Zu Hause bei der lieben Familie warten Mord und Totschlag. Da schlägt die Stiefmutter dem Söhnchen den Kopf ab und setzt das Kind mit wieder angebundenem Totenschädel vor die Tür. Als Festtagsschmaus wird jenes tote Kindlein serviert und Vater lobt, so gut habe es ihm noch nie geschmeckt.

Gerade zur Weihnachtszeit kann man so manche Lehre aus den Märchen ziehen. Wer zu viele Lebkuchen nascht, auf den wartet der Backofen, wer zu viele Wünsche äußert, kriegt am Ende nichts. Nicht immer siegt das Gute. Wenn doch, schon mal in Form eines Mühlsteins, der die böse Stiefmutter erschlägt. Vor Weihnachtskitsch und Frömmelei bietet die Märchenhütte Zuflucht. Das Ensemble der Märchenhütte rührt in seinen knappen Aufführungen an amoralische und düstere Untertöne in den Märchen. Meist stehen nur zwei Akteure im Grand Guignol der Brüder Grimm auf der Bühne. Jorindes eigene behandschuhte Finger schlängeln sich so als Klaue der Erzzauberin, um die es tatsächlich in dem Zaubermärchen geht, um Joringels Kehle. In raffinierter Inszenierung wird die Schurkin zum alter ego der romantischen Heldin. Vor überschaubarem Kreis tritt das Ensemble an fünf Abenden pro Woche auf. Viele Zuschauer faßt die Märchenhütte nicht, doch die Sehnsucht nach gespanntem Lauschen ist groß. Eine vielköpfige Schlange bewacht die Tür zum Märchenreich. An ihr entscheidet sich, ob man Hans im Glück oder Pechmarie ist. Schon kurz nach Beginn der winterlichen Märchensaison sind viele Vorstellungen ausverkauft. Die Schauermärchen ab 18 bleiben den Großen vorbehalten. In ihnen fließt das Blut – so herrlich wie in dem zitierten Märchen von „Fichters Vogel". Nicht nur denen, die auszogen, das Fürchten zu lernen, werden die nächtlichen Horrormärchen besonders unterhaltsam sein. Denn Schrecken und Grausamkeit sind untrennbar mit den klassischen Grimms-Märchen verbunden, in denen Aschenputtels Tauben den bösen Schwestern die Augen aus picken, Schneewittchens Stiefmutter in glühenden Schuhen tanzen muss, bis sie tot umfällt und der Vater dem „Mädchen ohne Hände" eben diese abhackt.

Siebzehn auf einen Streich, so viele grimmsche Erzählungen bietet das Repertoire. Zwei werden in verschiedenen Kombinationen jede Vorstellung aufgeführt, darunter drei Märchenpremieren und ein eigens kreiertes modernes Lustspiel. „Turbine William wie die Birne" war es letztes Jahr; diesmal heißt es „Pink Grimm". Bis zum 28. Februar gibt es altvertraute und unbekannte Märchen der Brüder Grimm, dann wartet das windschiefe Blockhäuschen, bis die langen Nächte zurückkehren, die Bäume des Monbjouparks ihre kahlen Äste wie Gespensterhände nach den Besuchern ausstrecken und im Hexenhaus böser Wolf, Teufel und leichenblasses Schneewittchen locken. Und wer weiß, ob die bösen Eltern einen bis dahin nicht mit dem Schlachtermesser zerlegt haben? „Diese zwölf Päckchen, guter Mann, melde ich als Geschenke an."

Ort: Märchenhütte auf dem Bunkerdach, Monbijoupark, Berlin

Vorstellungen: Märchen für Erwachsene Di. – Sa. 19.30, 21.00, So. 19.30 ; Schauermärchen (ab 18): Fr. und Sa. 23.00

www.maerchenhuette.de

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