Diejenigen, die auf dem Platz standen, bewegten nur das Nötigste, ließen über lange Strecken zwar Ball und Gegner laufen, verwalteten aber die 1:0-Führung, statt sie auszubauen, bis Hertha merkte, daß Werder nicht mehr wollte. Wie aus heiterem Himmel siegte der Berliner Sportclub über die Küstenkicker vom Weserstrand. Was machte der HSV? Nichts dergleichen, keine Schonung im Duell mit Hannover 96, das immerhin gewonnen werden konnte.
Auch beim ersten von vier Aufeinandertreffen in nur 19 Tagen mühten sich die Hamburger und rannten 90 Minuten plus Nachspielzeit. Werder lief zwar auch, aber besser und zwar ohne wie mit dem Ball. Da es nach der regulären Spielzeit 1:1 stand, weil die Bremer den Sack nicht zumachten, kämpften die einen leichtfüßig im Vorwärtsgang und die anderen in der Rückwärtsbewegung mit einem Mann weniger. Nach Verlängerung und Elfmeterschießen rannte vor allem einer der letzten Adrenalin-Junkies: Torwart Tim Wiese, der zuvor drei Elfmeterduelle souverän für sich entschied.
Auch am vergangenen Samstagnachmittag machte Werder alles richtig. Stammkräfte und Erfolgsgaranten wie Claudia Pizarro, Mesut Özil, Clemens Fritz und Sebastian Boenisch saßen auf der Bank und ruhten sich aus wie vor dem DFB-Pokal, als sich Werder Bremen beim Spiel gegen Hertha BSC für den Sieg gegen den HSV schonte. Schaaf nannte das Spiel seiner Elf nach der Niederlage „nachlässig“. Von Wettbewerbsverzerrung wollte er nichts wissen.
Gegen den VfL Bochum machten es alle Mann noch einmal. Wenig Bewegung und wenig Spielfluß in der ersten Hälfte. Wiese nannte das „Arbeitsverweigerung“. Kein Wunder also, daß Bochum im Weserstadion mit 2:0 führte. Dann entschied sich Schaaf für den Wechsel, um möglicherweise weiteren Nachfragen wegen Wettbewerbsverzerrung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Mit Pizarro und Özil brachte er zwei Spieler, die nicht nur mit dem Ball umgehen können wie wenige anderen, sondern mit ihren Mannschaftskameraden gerne auch den Gegner beherrschen, wenn`s drauf ankommt. Das Spiel drehte sich erwartungsgemäß, weil mit dem kongeniale Mittelfeld-Duo Özil, der ausdrücklich von Gästetrainer Marcel Koller gelobt wurde, und Diego Sturm aufkam. Werder fegte forant über den VfL hinweg und gewann am Ende hochverdient mit 3:2. Auch dieser Heimsieg hätte höher ausfallen können, ja müssen, denn 45 Minuten lang stand der Gast unter Dauerdruck. Die drei Tore schossen der Portugiese Almeida und die Brasilianer Naldo und Diego, den die Medienvertreter wieder einmal zum Mann des Spiels kürten.
Was machte der HSV? Humbug, nachdem sich alle Mann zuvor vergeblich mühten. Vor über 80 552 Zuschauern im ausverkauften Stadion in Westfalen ging der Mannschaft von Trainer Martin Jol im Meisterschaftskampf die Puste aus. Bis zur 32. Minute ging es noch, von da an liefen die Hamburger einem Rückstand hinterher. Nur in der ersten Viertelstunde waren sowohl eine geordnete Raumaufteilung wie auch manch sichere Ballstafetten zu sehen. Ivica Olic saß zwar auch 45 Minuten auf der Bank, sah und ruhte, doch seine Einwechslung brachte keinen Erfolg. Am Ende folgte erneut ein Rückschlag. Die Borussia besiegte die Rothosen mit 2:0, die alle Schuld beim Schiedsrichter sahen.
Marcus Bark meinte in der Tageszeitung, „dem HSV mangelt es an Frische und Stärke“. Er führt zudem an, daß es für Hamburg das 48. Pflichtspiel der Saison gewesen sei. „Das hinterlässt Spuren. Die Betroffenen erkannten sie erst beim zweiten Hinsehen.“ (3) „Kein anderer Verein muß eine solche Belastung ertragen“, heißt es im Tagesspiegel. (4) Immerhin, da ist der HSV nicht allein.
Wenigstens verstand Jol halbwegs, woran es lag und log nicht als er meinte, daß nach dem Pokalspiel, „in dem wir so viel Kraft vergeudet haben“, es für uns gegen Dortmund natürlich schwer gewesen sei. Jedoch sah er seine Männer, die auf den fünften Tabellenplatz abrutschen, „nicht platt“ und weiter im Rennen. Zwar wäre man mit einem Sieg wieder dran am Spitzenreiter aus Wolfsburg, doch auch nach unten ist wenig Luft. Selbst um diesen UEFA-Cup-Platz wird der HSV, der wie München (auf Platz drei) und Stuttgart (auf dem vierten Platz) 54 Punkten auf der Habenseite verbuchen darf, noch schwer kämpfen müssen, denn die beiden anderen ewigen Rivalen, die aus Dortmund und Gelsenkirchen, liegen mit je 49 Punkten auf der Lauer.
Einzig Piotr Trochowski schien zu ahnen, daß „wir nicht den Kader haben, um solche 120 Minuten zu kompensieren“, sprudelte es unmittelbar nach Spielschluß aus ihm heraus. Das mußte wohl mal gesagt werden. Keine Frage, den besseren Kader hat Werder, eine traditionell konditions- wie spielstarke Mannschaft, die sich und vor allem Schlüsselspieler, die alleine ein Spiel entscheiden können, erneut schonte für höhere Aufgabe. Die beiden letzten Niederlagen stecken dem HSV in müden Knochen und im Kopf.
Um den Hamburger SV kann es einem Angst und Bange werden vor dem nächsten Spiel gegen den SV Werder, der zum vierten Mal in einem Uefa-Pokal-Halbfinale steht und berechtigte Hoffnungen auf den erstmaligen Gewinn des Cups hegt. Fragen lassen müssen sich die Spieler nur, warum sie nicht wie ihre Nachbarn um die Meisterschaft mitspielen.
Egal, schon am Donnerstag in Bremen steht das Hinspiel im ersten deutschen Uefa-Pokal-Halbfinale seit 20 Jahren an. Das Rückspiel findet eine Woche später in Hamburg statt. Und beide Male hat der HSV mehr zu verlieren als zu gewinnen. Selbst wen Jol bei der Aufstellung keine taktischen Fehler mehr macht, wie noch zuletzt im DFB-Pokalhalbfinale, als er auf Jonathan Pitroipa und Piotr Trochowski zu Gunsten von drei Spitzen und drei defensiven Mittelfeldspielern verzichtete, wodurch sich "ein riesiges Loch zwischen Abwehr und Angriff (aufgetan habe), so ausgedehnt wie die Elbe an ihrer breitesten Stelle", wie in der SZ süffisant geschrieben wurde. (5) Substanzverlust droht bei diesen Aufeinandertreffen und wir fragen, ob der HSV gegen Werder etwa auf der ganzen Linie scheitert. Denn im vierten und letzten Aufeinandertreffen geht es für den HSV im besten Falle immer noch um Messen mit den Größten Clubs in Europa, um die Champions League, im schlechtesten Fall um die erneute UEFA-Cup-Teilnahme.
Dabei müßte es für den HSV doch vor allem um die Meisterschaft gehen, welche die Verantwortlichen an der Elbe trotz dieser Auswärtsniederlage in Dortmund im Visier haben sollten. Noch ist nämlich alles drin. Denn auch die Bayern versagten kläglich – gegen Schalke 04, und die Wölfe unterlagen bei Energie Cottbus in der Lausitz. Immerhin konnte Hertha BSC in Hoffenheim gewinnen, obwohl mal wieder kaum einer weiß, wieso.
Statt sich auf die Bundesliga zu konzentrieren will Piotr Trochowski trotz der Pleite im Pokal und der Niederlage in der Liga „in den beiden anderen Wettbewerben nach vorne kommen“. Dafür bieten sich ihm und seinen Kameraden nicht mehr viele Möglichkeiten. „Was bleibt, sind Durchhalteparolen“ nennt das der Tagesspiegel. (6)
Durchhalten und nicht nur nach Berlin will auch Wiese. Wir werden sehen, ob der neue Torwart-Titan wie nach dem ersten von vier möglichen Siegen über den HSV erneut als „Tasmanischer Teufel“ (7) über den Rasen rennt. Oder hören, ob die HSV-Fans den Hoffnungshit der Verzweifelten anstimmen. "Istanbul ist schöner als Berlin“, sangen sie noch letzten Mittwoch. „In Istanbul findet am 20. Mai das Uefa-Cup-Finale statt. Aber wieder steht Werder Bremen im Weg, und wer am Mittwoch die Überlegenheit der taufrischen Bremer gegen die platten Hamburger gesehen hat, der dürfte kaum noch hohe Wetten auf den HSV abschließen.“ (8)
Anmerkungen:
(1) Ralf Wiegand, Süddeutsche Zeitung (SZ), 21.04.2009, www.sueddeutsche.de
(2) Sebastian Stiekel, Tagesspiegel und FAZ.net, 26.04.2009, www.faz.net
(3) Marcus Bark, taz, 26.04.2009, www.taz.de
(4) Tagesspiegel, 27.04.2009
(5) SZ
(6) Tagesspiegel, 27.04.2009, www.tagesspiegel.de
(7) Jürgen Schmieder, SZ, 23.04.2009
(8) Jan Christian Müller, Frankfurter Rundschau, 23.04.200, www.fr-online.de