Wer lacht? – Zum Artikel „Faschismus? Dass ich nicht lache!“ von Shlomo Avineri

Professor Shlomo Avineri

Diese Geschichte wurde mir von Yeshayahu Leibowitz erzählt, der selbst Professor von einem halben Dutzend sehr verschiedener Fächer war, von Bio-Chemie bis zur Philosophie der Naturwissenschaften. Er sah viele seiner Kollegen mit tiefer Verachtung an.

Er erzählte mir diese Geschichte, als wir besonders über einen Professor sprachen: Shlomo Avineri, der gerade damit einverstanden war, als Generaldirektor des Außenministeriums unter Minister Yigal Allon zu dienen. Allon war der Autor des „Allon-Planes“, der die Annexion weiter Teile der besetzten Gebiete vorsah.

In dieser Woche veröffentlichte Avineri einen Artikel mit der Überschrift „Faschismus? Dass ich nicht lache!“

Was ließ ihn lachen? Das (für ihn) lächerliche Argument, dass es in Israel faschistische Tendenzen gebe. Er erinnerte uns daran, dass Faschismus Gestapo, KZs und Genozid bedeutet. Wie konnten wir das vergessen?

Avineri ist ein respektierter Professor, ein Experte für Hegel und Zionismus. Er ist auch ein kühner Kämpfer gegen die „Post-Zionisten“ und andere Mistkerle, die den klassischen Zionismus kritisieren.

Ich frage mich, wenn 1923 irgend jemand seinem Vater in der polnischen Stadt Bielsko erzählt hätte, in der bayrischen Stadt München habe ein Spinner mit einem lustigen kleinen Schnurrbart den Leuten mitgeteilt, er habe die Absicht, Diktator Deutschlands zu werden und Polen zu überfallen, dann hätte er auch ausgerufen: „dass ich nicht lache!“

In jenen Tagen kamen überall in Deutschland kleine „völkische“ Gruppen auf, die ähnliche Forderungen stellten, den Juden die Staatsbürgerschaft zu entziehen, die Juden aus ihrer Nachbarschaft zu vertreiben und einen Eid der Treue gegenüber dem Reich als dem Nationalstaat der Deutschen (einschließlich der Österreicher natürlich) einzuführen.

Zu jener Zeit wurden diese Gruppen ausgelacht. Konnte sich denn jemand vorstellen, dass ein zivilisiertes Land, die Nation von Goethe, Schiller und Kant – und auch Hegel – diese Wahnsinnigen an die Macht bringen würde?

Nach einigen Jahren fanden sich viele von denen, die damals lachten, in Konzentrationslagern wieder, wo sie dann reichlich Zeit zum Nachdenken hatten und sich selbst sagten: wenn wir rechtzeitig die Faschisten gestoppt hätten, statt zu lachen, dann wäre dies nicht geschehen.

An dem Tag, an dem Avineri mit sich kämpfte, nicht zu lachen, war auch etwas anderes Unlustiges veröffentlicht worden.

Es hieß, dass eine Delegation von „Peace-Now-Führern“, angeführt von ihrem Generaldirektor Yariv Oppenheimer, sich mit dem stellvertretenden Außenminister Danny Ayalon getroffen habe.

Das Ereignis dieses Treffens und vor allem ihr Ziel lässt einige Fragen hochkommen.

Danny Ayalon gewann die Aufmerksamkeit der Welt, als er den türkischen Botschafter kommen ließ und ihn auf einem niedrigen Sofa Platz nehmen ließ, während er laut israelischen Reportern erklärte, es sei seine Absicht, die Türkei zu demütigen.

Es ist schwierig, den Grad der Dummheit dieses infantilen Tuns und des Mannes, der dies tat, zu messen. Die öffentliche Demütigung einer stolzen Nation, die eine strategische Schlüsselposition in unserer Region inne hat, führte zu einer Reihe von Ereignissen: die türkische öffentliche Meinung wandte sich gegen Israel, ein türkisches Schiff segelte nach Gaza, und sein gewaltsames Kapern verursachte einen weltweiten Sturm; die Türkei verbündet sich jetzt wieder mit dem Iran und Syrien – und die Geschichte ist noch nicht vorüber. Es stimmt zwar, Ayalon machte das nicht alles allein, aber ihm gebührt sein Teil des Ruhmes.

Wie konnte es diesen „ Frieden Jetzt-Führern“ in den Sinn kommen, ausgerechnet diesen Mann zu treffen und ihm so Legitimität gewähren?

Und nicht nur ihm. Es könnte behauptet werden, dass Ayalon als Dorftroddel bekannt ist, so dass man ihm kein Maß an Legitimität anheften kann. Aber hinter Ayalon steht bedrohlich der Mann, der ihn ernannt hat: der Außenminister Avigdor Lieberman.

Lieberman ist ein internationales Symbol des Rassismus, ein Siedler und Verteidiger der Siedler. Der Hauptassistent von Binyamin Netanyahus Bemühungen, den Frieden zu zerstören und die Besatzung zu verewigen. Genau jetzt gibt er Netanyahu den Vorwand, gegen den Siedlungsbaustop zu sein und die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern zu torpedieren.

Viele Außenminister der Welt weigern sich, Lieberman zu treffen. Kein arabischer Führer gibt ihm die Hand. Die Ägypter hassen ihn, für die Palästinenser ist er ein Symbol des Bösen. Er kann sich in einer geachteten internationalen Gesellschaft nicht sehen lassen.

Um Himmels Willen, was veranlasste die „Frieden-Jetzt-Führer“, diese Person zu legitimieren?

Das Thema des Treffens ist sogar noch erstaunlicher. Wie berichtet wird, schlug Peace Now eine „Kooperation“ mit dem Außenministerium vor. Es würde für dieses gut sein – sagten sie ihren Gastgebern, Peace Now-Material in aller Welt zu verteilen, um zu zeigen, dass Israel nicht nur ein Staat der Besatzung und der Siedlungen sei, sondern auch der Friedensaktivisten. Dies würde das Image des Staates verbessern und dem Außenministerium helfen, die Kritiker zum Schweigen zu bringen.

Mit anderen Worten: die „Peace-Now-Führer“ sind bereit, als Feigenblätter der Netanyahu-Regierung und Liebermans Außenministerium zu dienen. Sie bieten ihm ein Alibi an.

Die Peace-Now-Bewegung genießt in aller Welt einen guten Ruf. Die Leute erinnern sich an die riesige Demonstration nach dem Sabra- und-Shatila-Massaker. Es besteht weltweit der Eindruck, dass dies die einzige Friedensbewegung in Israel sei. Die Weltmedien behandeln sie großzügig, während alle anderen israelischen Friedenskräfte praktisch von ihnen ignoriert werden.

Deshalb ist dieses Treffen so gefährlich. Viele in aller Welt werden sich sagen: wenn Peace Now sich mit Liebermans Leuten trifft und ihnen Zusammenarbeit anbietet, kann sie ja nicht so schlecht sein.

So dient Peace Now Lieberman, wie Shimon Peres und Ehud Barak Netanyahu dienen und wie Shlomo Avineri zu seiner Zeit Yigal Allon diente. Der König von Hannover wusste, worüber er sprach.

Wie kam Peace Now / Frieden jetzt zu diesem Punkt?

Ich bin nicht gegen die Bewegung. Im Gegenteil. Ich schätze ihren Kampf gegen die Siedlungen. Sie hat sich zwar nicht dem Boykott der Produkte der Siedlungen angeschlossen, die wir vor 12 Jahren begonnen haben, aber sie überwacht die Bauaktivitäten in den Siedlungen und macht die Welt darauf aufmerksam. Dies ist eine bedeutende und sehr lobenswerte Aktion.

Das Problem ist, dass diese Bewegung, die einmal Hunderttausende mobilisieren konnte, heute nur noch ein paar hundert auf die Beine bringt.

Dies kann dem allgemeinen Kollaps der israelischen Friedensbewegung seit 2000 angerechnet werden, als Ehud Barak erklärte: „Wir haben keinen Partner für Frieden.“ Aber der Fall von Peace Now verdient eine besondere Analyse.

Die Bewegung entstand 1978, als es schien, Menachem Begin lasse die Sache schleifen und reagiere nicht genügend positiv auf Anwar Sadats historische Friedensinitiative. Begin, von Beruf und dem Wesen nach ein Rechtsanwalt feilschte über jedes kleine Detail. So bestand die Gefahr, dass die einzigartige Gelegenheit verpasst werden würde. Die Demonstrationen der jungen Peace-Now-Bewegung half, Begin in die richtige Richtung zu stoßen.

Der Höhepunkt von Peace Now’s Erfolg war die „Demonstration der 400 000“ nach dem Sabra- und Shatila-Massaker im ersten Libanonkrieg. Selbst wenn die Zahl übertrieben wurde, war es eine riesige Demonstration und einzigartig auf ihre Weise, die einen wirklichen Aufstand von Israels öffentlicher Meinung ausdrückte.

Aber dieser Erfolg hatte einen Preis. Am Vorabend des Krieges gingen Shimon Peres und Yitzhak Rabin, die Führer der Arbeiterpartei, zu Begin und drängten ihn, mit dem Krieg zu beginnen. Und siehe da, diese beiden erschienen als Hauptredner beim Peace Now-Protest. Es war ein Deal. Peace Now gab den beiden ein Kosher-Zertifikat und die Laborpartei brachte dann die Massen ihrer (damaligen) Anhänger auf den Platz.

Es erinnerte mich an den Deal, den Faust mit Mephistopheles machte, als Dank für den materiellen Erfolg verkaufte er seine Seele.

Die Strategie von Peace Now war nicht ohne Logik.

Dies wurde von Tsali Reshef erklärt, der während einiger Jahrzehnte der wirkliche Führer der Bewegung war. 1992, als Rabin 415 islamische Aktivisten an die libanesische Grenze deportierte, fand in Tel Aviv eine öffentliche Debatte über die passende Antwort statt. Ich schlug vor, Protestzelte gegenüber dem Amtssitz des Ministerpräsidenten aufzuschlagen und dort zu bleiben, bis den Deportierten erlaubt werde, zurückzukehren. Reshef wies dies zurück und sagte offen: „Peace Now wendet sich an eine große Öffentlichkeit, und wir sollten nichts tun, das sie von uns wegzieht. Avnery kann es sich leisten, all die richtigen Dinge zu sagen. Wir können uns diesen Luxus nicht leisten.“

Wir genehmigten uns den Luxus, bauten Zelte auf und blieben dort – Tag und Nacht bei Temperaturen unter Null. (In diesen Zelten wurde Gush Shalom geboren). Während der Jahre übernahm Peace Now nach und nach unsere Position an, aber immer erst nach einer Verzögerung von Monaten oder Jahren. So übernahm sie verspätet die Zwei-Staaten-Lösung, die Notwendigkeit mit der PLO zu reden, das Prinzip der zwei Hauptstädte in Jerusalem, etc.

Diese Strategie würde legitim gewesen sein, ja sogar gerechtfertigt – hätte sie sich bewährt. Aber im wirklichen Leben, geschah genau das Gegenteil: die Massen verließen Peace Now, und jetzt ist die Bewegung – wie wir alle – in einer verzweifelten Nachhut-Schlacht engagiert gegen die wachsende Flut des rechten Flügels.

Und anders als Professor Avineri – empfinde ich keine Neigung zum Lachen.

* * *

Anmerkungen:

Vorstehender Artikel von Uri Avnery wurde aus dem Englischen von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Die Erstveröffentlichung erfolgte unter www.uri-avnery.de am 20.11.2010. Alle Rechte beim Autor.

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