Benjamin Tienti legt mit seinem Romanfragment ein bitteres Stück Prosa vor, die immer stärker abwärts strudelnde Verzweiflung eines Siebenjährigen, der mit ansieht, wie seine fragile Welt auseinanderbricht. Die Sprache des Debütanten ist so knapp wie emotionslos. Großartig. Er versetzt sich in das Schauen eines Kindes. In der oben zitierten Szene muss er mit seinem Vater und dem kleinen Bruder Tobi aus der Bahn aussteigen. „Die Leute im Abteil sehen mich an, als ich an ihnen vorbei zur Tür gehe. Ein Mann schüttelt mit dem Kopf. Es fühlt sich an, als ob ich gerade hingefallen wäre. Man steht wieder auf und sieht das blutende Knie und läuft weiter, man merkt gar nicht, dass es weh tut, bis man da ist, wo einen jemand tröstet.“
Wo ist das, wo einen jemand tröstet? Wo man merkt, dass es weh tut? Zu Hause blutet der Vater nachts über dem Waschbecken aus der Nase, die Mutter weint. Er soll aufhören mit den Drogen. Im Supermarkt will der Junge eine Tafel Schokolade klauen, wird erwischt. Man hat nur einmal im Leben Glück, sagt der Detektiv, der ihn aus Mitleid laufen lässt. Das war es dann wohl schon mit dem Glück in diesem Leben, denkt der Leser. Was dann kommt, ist so folgerichtig wie traurig. Der Vater geht fort, in ein neues Leben.
Benjamin Tienti, 1981 in Esslingen geboren, arbeitete selbst als Erzieher in Wohngruppen und Schulen, heute lebt er in Berlin und schaut in einer Neuköllner Schule den Kindern in die Herzen – möge sein Einfühlungsvermögen uns weiter bereichern, hier bleibt einiges zu erwarten!
Benjamin Tienti, Raubvogel, 105 S., Luftschacht Verlag, Wien 2009, 14, 60 €