Weitläufige Verwandtschaft – Stippvisite bei den Berggorillas

Ruanda
Porträt des Schwarzrückens der Mirwa-Gorillagruppe. © 2018, Foto: Dr. Bernd Kregel

Kigali, Ruanda (Weltexpress). Im Regenwald von Ruanda haben sich unsere stammesgeschichtlichen Vorfahren wohnlich eingerichtet.

„Kleider machen Leute.“ Und ein verpatzter erster Eindruck, das weiß jeder, lässt sich oftmals nur mit Mühe wieder kitten. Das gilt natürlich auch für den Besuch bei bislang unbekannten Verwandten. Doch ist es nicht immer leicht, diese Erkenntnis richtig umzusetzen: Ist im konkreten Fall eher ein elegantes Auftreten angesagt, um das eigene Licht nicht unter den Scheffel zu stellen? Oder sollte es lieber salopp zugehen, um möglichst niemand unbeabsichtigt in Verlegenheit zu bringen?

Die Frage nach der Kleiderordnung stellt sich sogar, wenn die beabsichtigte persönliche Begegnung nicht wie gewohnt auf der horizontalen Ebene der Onkel und Tanten, der Nichten und Neffen stattfindet. Sondern ausnahmsweise einmal im vertikalen Bereich auf der Stufenleiter der Evolution. Zwar nur eine winzige Sprosse tiefer, aber immerhin im Rahmen einer verwandtschaftlichen Beziehung der besonderen Art.

Regeln der Hausordnung

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Ankunft an der Gorilla Mountain View Lodge. © 2018, Foto: Dr. Bernd Kregel

Ranger Jerome und seine reizende Kollegin Berenice warnen: „Nur nicht auffallen! Am besten in der Farbpalette von grün bis grau.“ Das leuchtet ein. Denn dies ist auch die gängige Farbkomposition im Volcanoes National Park von Ruanda. Genau dort, wo inmitten der Virunga Mountains die heutigen Gastgeber zuhause sind. Und warum sollte man das großzügig gewährte Gastrecht durch mangelnde Achtsamkeit bei der Kleiderwahl unnötig gefährden?

Doch ist es nicht allein die Kleiderordnung die beachtet werden muss. Berenice und Jerome sind auch mit weiteren Grundsätzen der Gorilla-Hausordnung vertraut. Regel Nummer eins: nicht zu sehr auf Tuchfühlung gehen, wenn die Gastgeber dies nicht ausdrücklich wünschen. Und vor allem, so Regel Nummer zwei, immer schön bescheiden bleiben und den „sanften Riesen“ stets den Vortritt lassen. Andernfalls, so fügt Jerome hinzu, kann so ein Silberrücken als Familienoberhaupt gegenüber einem zugereisten vermeintlichen Konkurrenten schon einmal recht ungemütlich werden.

Stammbaum der Evolution

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Nyangwe Forest Lodge im Abendnebel. © 2018, Foto: Dr. Bernd Kregel

Und nicht zu vergessen Regel Nummer drei: nie länger als eine Stunde! Denn die Gastgeber zeigen sich zwar geduldig, doch haben auch sie ihren eigenen Rhythmus. Und der sollte nicht durch überzogene Neugier unnötig gestört werden. Damit steht dem fieberhaft herbei gesehnten Aufbruch nichts mehr im Wege. Zunächst durch das Unterholz eines Bambuswäldchens, das mit seinen knackenden Zweigen geradezu wie ein Frühwarnsystem wirken muss. Mit steigender Erwartungshaltung bei zunehmender Aufstiegshöhe schlägt auch das Herz höher, bis es sich dem Rhythmus der schneller werdenden Schritte vollständig angeglichen hat.

Bei dichter werdendem Buschwerk beginnen sich unbewusst auch die eigenen Nackenhaare aufzurichten. Denn schon ist sie wieder da, die bange Frage, ob man sich auf die erwartete Gastfreundschaft auch wirklich verlassen kann. Und was wohl geschähe, wenn im Extremfall alte aggressive Reflexe unkontrolliert mit den Gastgebern durchgingen unter Missachtung der von der Evolution vorgegebenen Hierarchie?

Zottige Gestalt auf Schrittlänge

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Gorilladame der Mirwa-Gorillagruppe. © 2018, Foto: Dr. Bernd Kregel

Noch lüften Bernice und Jerome nicht ihr Geheimnis über den heutigen Aufenthaltsort der Gorillas. Denn der wechselt zwar täglich, wird aber durch aufmerksame Scouts immer wieder ausfindig gemacht. Längst müssten sie sich mit Walky Talky gemeldet haben. Und richtig: Plötzlich verwandelt sich das verschmitzte Gesichtsausdruck der Ranger in ein breites Lächeln, als ein knackendes Geräusch im nahen Gebüsch die Anspannung und die bereits prickelnde Gänsehaut noch verstärkt. Macht da etwa ein wachsamer Türsteher der heutigen „Villa Gorilla“ bereits warnend auf sich aufmerksam?

Doch die sich vor der hellgrünen Fläche abzeichnende dunkle Gestalt zeigt sich eher interessiert an dem offenbar recht schmackhaften Blattwerk. Gut so! Denn augenblicklich macht sich Erleichterung breit und schnell lockert sich die noch zu Beginn des Urwald-Abenteuers gehegte Scheu. Diese kehrt selbst dann nicht wieder zurück, als sich Uburanga, Jerome hat den stattlichen Schwarzrücken sofort wiedererkannt, wenig später bis auf Schrittlänge nähert und mit etwas unbeholfenen Fingern sogleich sein Interesse bekundet an locker herabhängenden Schnürsenkeln. Um im Gegenzug vielleicht sogar ein paar Streicheleinheiten von einem dieser nicht leicht einzuordnenden nackten Affen zu kassieren?

Wildes Treiben

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Mountain Gorilla beim Frühstück. © 2018, Foto: Dr. Bernd Kregel

Nach einer dermaßen unkomplizierten Begrüßung lässt es sich auch die Dame des Hauses nicht nehmen, ebenfalls aus sicherem Abstand heraus ihren Gästen die Ehre zu erweisen. Es ist Kabatwa, nicht gerade scheu, aber doch etwas zurückhaltender als das selbstbewusste Männchen. Denn schließlich trägt sie die Verantwortung für ein zartes Affenbaby, das sich Wärme suchend an ihrer Brust festklammert. Sicherlich hat die Erfahrung sie gelehrt, dass das Gesetzbuch des Dschungels für unvorsichtiges Verhalten nicht zu unterschätzende Strafen in Aussicht stellt.

Erst vor wenigen Jahren hat sie, so erklärt Jerome, ein Zwillingspaar geboren und mit Hilfe der Familie fürsorglich aus dem Gröbsten herausgebracht. Munter hüpfen die beiden Halbwüchsigen Gakura und Gato durch das Gebüsch. Mehr sogar als allen lieb ist, die sich nach ausgedehntem Frühstück vor dem Mittagessen noch eine kleine Verdauungspause gönnen möchten. Ist denn keine Respektsperson in der Nähe, die dem wilden Treiben Einhalt gebietet?

Ehrfurchtsvolle Demutsgebärde

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Ruhepause der Mountain Gorillas. © 2018, Foto: Dr. Bernd Kregel

Und schon ist sie zur Stelle in Gestalt des Silberrückens Munyinya. Von der Natur ausgestattet mit massigem Kopf, muskulösem Körper und durchdringendem Augenpaar. Bei einer solchen Erscheinung gibt es hier wohl niemand, der sich um des lieben Friedens willen nicht freiwillig dieser Autorität unterordnen würde. Selbst die Besucher senken – Evolution hin und her – respektvoll ihren Kopf zur Demutsgebärde. Nur nicht den geringsten Zweifel an der fest gefügten hierarchischen Ordnung aufkommen lassen!

Denn genau die, so weiß Bernice sogleich im Flüsterton zu berichten, ist der wunde Punkt für Munyinya. Auch wenn dieser es sich inzwischen im weichen Blattwerk gemütlich gemacht hat und drei seiner Familienmitglieder ihn mit intensiver Fellpflege verwöhnen. Endstation Sehnsucht für den Silberrücken, so Bernice weiter, dem seine Position als Respektsperson allerdings nicht einfach in den Schoß gefallen ist.

Mangelnde Sprachkompetenz

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Mountain Gorilla im Buschwerk. © 2018, Foto: Dr. Bernd Kregel

Gehörte er doch noch vor wenigen Jahren zur benachbarten Suza-Familie, in der er allerdings selbst als Silberrücken dazu verdammt war, in der Gruppenhierarchie nur die zweite Geige zu spielen. Dieses offenkundige Defizit ließen ihn besonders die Damen spüren, die ihn beim „djiggi djiggi“ zurückwiesen und sich zu allem Überfluss sogar noch über ihn lustig machten. Ein Gipfel der Demütigung, der er sich nur mit einem beherzten Auf und Davon entziehen konnte.

Um stattdessen seine eigene Familie zu gründen, was ihm offensichtlich auch bestens gelang. Denn mit 19 Familienmitgliedern, darunter vier Ehefrauen, ist Munyinya nun als Chef der Hirwa-Gruppe hervorragend aufgestellt und hat den aufreibenden Kampf um die Führungsposition in einem Familienbetrieb zum Glück längst hinter sich. Warum dann aber sein nachdenklicher Blick? Weil er vielleicht unbewusst spürt, dass – selbst bei anklingender emotionaler Verbundenheit mit der angereisten Verwandtschaft – ein Gedankenaustausch auf höherer Ebene mangels Sprachkompetenz nicht möglich ist? Denn sicherlich gäbe es viel zu erzählen.

Wortloses Lebewohl

Immerhin erzeugt die geduldige Friedfertigkeit am Ende der einstündigen Stippvisite auch bei den Gästen eine tiefe Sympathie für die stammesgeschichtlichen Vorfahren. Sensible Verwandte, die seit ihrer Entdeckung vor gut hundert Jahren inzwischen bereits vom Aussterben bedroht waren. Und es nun zum Glück aber erst einmal geschafft haben. Vor allem durch den Einsatz der Ahnenforscherin Dian Fossey, in deren Fußstapfen viele engagierte Tierschützer seither treten.

Inzwischen hat Munyinya seine Augen ganz geschlossen. Ein Beweis für das Vertrauen, das er gegenüber seinen Besuchern hegt? Wer von denen würde da nicht noch gern bis zum Mittagessen bleiben? Doch die Blicke von Bernice und Jerome erinnern unmissverständlich an die abgelaufene Uhrzeit. Unerwartet öffnet Munyinya in diesem Augenblick noch einmal die Augen, als wollte er seinen Gästen ein wortloses Lebewohl mit auf den Weg geben. Und auch die zeigen sich beeindruckt von dieser bewegenden Stippvisite bei den Berggorillas von Ruanda.

Reiseinformationen „Ruanda“:

Anreise: Günstig mit Ethiopian Airlines von Frankfurt über Addis Abeba nach Kigali.
Weitere Fluglinien sind Brussels Airlines, KLM und Turkish Airlines.

Einreise: Mit mindestens 6 Monate gültigem Reisepass; ein 3 Monate gültiges Besucher-Visum gibt es für 30 USD bei der Einreise.

Reisezeit: Ganzjährig. Die große Trockenphase Juni bis September sowie die kleine Trockenphase von Ende November bis Ende Januar eignen sich besonders gut für Gorilla-Tracking und Waldexkursionen.

Reiseveranstalter: Besonders erfahren in Deutschland mit Ruanda-Tourismus ist Abendsonne Afrika GmbH, Telefon: 07343 929980, E-Mail: info@abendsonneafrika.de; in Kigali: Web: www.primatesafaris.info

Unterkunft: Nyungwe Forest Lodge; Gorilla Mountain View Lodge: www.3bhotels.com; Ruzizi Tented Lodge: www.ruzizilodge.com; Serena Hotels Kigali und Lake Kivu: www.serenahotels.com

Auskunft: Kamageo. African Destination Marketing, www.kamageo.com; Akomasa. Creative Connection, Telefon: 06171-5868580, E-Mail: germany@rwandatourism.org; Web: www.rwandatourism.com

Reiselektüre: Heiko Hooge, Iwanowski’s Ruanda, Tipps für individuelle Entdecker, 1. Auflage, Juni 2015, ISBN 978-3-86197-126-9, Euro 19,95

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