Weihrauchstraßen-Romantik in Arabiens grünem Orient – Eine Entdeckungsreise im südlichen Oman

© Foto: Dr. Bernd Kregel
Es ist ein süffisantes Lächeln, dessen hochmütiger Unterton geeignet ist, andere auf die Palme zu bringen. Nicht so im Orient. Hier verzeiht man dem Kamel seine hochnäsige Überheblichkeit. So auch dem stattlichen Kamelhengst am Wadi Darbat in der südomanischen Provinz Dhofar. Mit zugekniffenen Nüstern und lässig herabhängender Unterlippe gibt er allerdings den unter schattigen Bäumen Rast Suchenden ein Rätsel auf.
Was, so fragen sie, verbirgt sich hinter diesem sphinxhaften Gesichtsausdruck? Ist es das aus dem Gefühl der eigenen Stärke und Ausdauer erwachsende übersteigerte Selbstbewusstsein, das sich hier ungefiltert der Umwelt mitteilt? Oder ist es eher das in der Kamelpsyche seit Jahrtausenden verankerte kollektive Unbewusste, der Königin von Saba in alttestamentlicher Zeit von hier aus zu ihrem Besuch bei König Salomon verholfen zu haben? So wie später auch den drei Weisen aus dem Morgenland zu ihrer Begegnung mit dem Kind in der Krippe? Oder ist es nicht vielmehr – muslimisch gewendet – das stolze Bewusstsein, dass Allah von seinen hundert Namen nur 99 der Welt offenbarte, den hundertsten jedoch allein dem Kamel anvertraute?
„Alles falsch!“ mögen einige Omani von der Südküste der Arabischen Halbinsel selbstbewusst einwerfen. „Das einzige das zählt ist ihre Erinnerung an die Wüstenroute der „Weihrauchstraße“, auf der sie das mit Gold aufzuwiegende Edelharz über 3500 Kilometer hinweg ans Mittelmeer transportierten,  hinein in das Zentrum des Römischen Weltreiches.“ 
Weihrauch-Träume

Wie auch immer: Selbst wenn das Rätsel nicht eindeutig gelöst werden kann, ist doch alles, was hier im südlichen Oman mit dem Weihrauch zusammenhängt, versehen mit den Attributen einer besonderen Wertschätzung. Ist es hier doch der Stoff, aus dem die Träume sind, wie sie im Umfeld dampfender Weihrauchgefäße erwachsen. Besonders dann, wenn die orientalische Nacht hereinbricht und der flackernde Glanz des gestirnten Firmaments wie eine bestickte Decke über die grünen Gärten Allahs hernieder sinkt. Ein unvergleichlicher Moment, von dem man wünschte, er würde länger andauern. Denn für eine kurze Zeit scheint die langsam sich abkühlende Erde der Provinz Dhofar in sanftgoldenem Blau mit dem Himmel zu verschmelzen.

Damit es zu solch ausgefallenen sinnlichen Erlebnissen kommen kann, gibt es den Weihrauch-Markt in der Provinzhauptstadt Salalah. Hier liegen die weißbraunen Harzkristalle in großen Körben bereit oder werden, handlich verpackt, in durchsichtigen Tüten unaufdringlich präsentiert von verschleierten Beduinenfrauen. Selbst aus Weihrauch gewonnene Hautöle und Cremes in kleinen Fläschchen oder Plastikgefäßen wechseln hier nach Überreichen eines Rial-Geldscheines kommentarlos ihren Besitzer. Eine Besonderheit, so erfährt man dennoch, stellen die weißen Weihrauchstückchen dar. Als zu kostbar für Räucherzwecke dienen sie, in Wasser aufgelöst, vor allem dem körperlichen Wohlbefinden und nach fester Überzeugung der Einheimischen natürlich auch der Gesundheit.
Fruchtbare Üppigkeit

Bei diesem illustren orientalischen Marktgeschehen reift irgendwann der Entschluss, den geheimnisvollen Ursprungsort des Weihrauchs aufzuspüren. Jenen Ausgangspunkt der Weihrauchstraße, der bei strikter Geheimhaltung von Eingeweihten einst sogar in den Rang eines Mythos erhoben wurde. Noch kurz nach dem Aufbruch überwiegt in unmittelbarer Nähe Salalahs die fruchtbare Üppigkeit, wie sie in dieser Fülle keine andere Stadt auf der Arabischen Halbinsel aufzuweisen hat. Mit Palmen- und Obstplantagen, die beweisen, wie geschickt man es hier seit Jahrhunderten versteht, die von den Bergen während der Monsunzeit herabströmenden Sturzbäche zu bändigen und für den Obst- und Gemüseanbau zu nutzen.

Unzählige Verkaufsstände säumen die Ausfahrtstraße, wo Händler in der flach einstrahlenden Morgensonne durch gekonnte Schläge mit einer schweren Metallklinge bereitliegende Trinkkokosnüsse für durstige Passanten öffnen. Prasad, eingewandert aus dem südindischen Kerala, versteht sein Handwerk. Er gehört  zu jener ausländischen Volksgruppe, die wesentlich dazu beitrug, dass das Land in den letzten vierzig Jahren nach langem Dornröschenschlaf endlich wiedererwachte.
Politische Erfolgsgeschichte

Denn mit dem Amtsantritt von Sultan Qaboos im Jahr 1970 kam es zu einer rasanten politischen Kehrtwendung. In einer kaum vorstellbaren Renaissance erblühte das Land neu und gehört heute wegem nachhaltiger Strukturpolitik zur Spitzengruppe der Arabischen Staaten. Die Geschichte dieses Aufbaus liest sich so wunderbar und unglaublich wie ein orientalisches Märchen aus Tausendundeiner Nacht, das wegen seiner kaum mit Ideologie beladenen praktischen Umsetzung auch anderswo in der Region Schule machen könnte.

Diese Erfolgsgeschichte ist einer der Gründe, warum die Omani sich einig sind in ihrer Zuneigung zu „ihrem“ Sultan. Denn dessen Autorität wurde während der Protestdemonstrationen im Rahmen der Arabischen Freiheitsbestrebungen dieses Jahres nie infrage gestellt. Nur einige der beim Volk in Ungnade gefallenen Minister mussten auf seine Veranlassung hin innerhalb kürzester Zeit ihre Stühle räumen. Auch dies ein deutliches Zeichen für Augenmaß und zielgerichtete Flexibilität.
Trostlos schöne Gegend

Nach Verlassen der Stadt in westlicher Richtung weisen der schneeweiße Strand und die bizarren Kalksteinformationen von Mughsail den Weg. Ebenso die hoch in den Himmel aufsprühenden Wasserfontänen, die wie eine unerwartete Fata Morgana vom hereinbrandenden Meer durch kleine Löcher in den Bodenplatten kraftvoll nach oben gepresst werden. So entsteht in ihrer unmittelbaren Nähe bei ansteigenden Mittagstemperaturen der heimliche Wunsch, den leichtem Windzug zu nutzen und die in kurzen Abständen aufsprühende Fontäne über sich hernieder rieseln zu lassen.

Je mehr sich nun die Straße der Jemenitischen Ostgrenze nähert, umso mehr türmt sich ein schroffer Gebirgszug vor ihr auf. Wo Einkerbungen in die Bergkuppe nicht mehr ausreichen, da erweisen sich unglaublich verschlungene Serpentinen als das geeignete Mittel, sich durch Fels und Geröll beiderseits des Asphaltbandes seinen Weg nach oben zu bahnen. Auf dieser berüchtigten „Zick-Zack Road“ kann es bisweilen geschehen, dass beim konzentrierten Blick auf die Straße der eigentliche Grund für den Abstecher in diese trostlos schöne Gegend übersehen wird. 
Knorrige Äste und schorfiger Stamm

Es sind die Weihrauchbäume, die sich in knorriger Gestalt in der Ferne wie kleine Punkte von den Berghängen abheben. Als dann unverhofft hinter einer Biegung eine der gesuchten Baumgruppen auftaucht, lässt sich die Neugier nicht mehr bremsen. Als nahezu blattlos erweisen sich die bizarr in den Himmel ragenden Äste, als wollten sie der Sonne keine unnötige Angriffsfläche bieten.

Das Wichtigste jedoch ist ihr schorfig wirkender Stamm, der mit einer dünnen braunen Borke überzogen ist. Die in ihr erkennbaren Einkerbungen erbringen den Beweis, dass der für diese Gegend zuständige Beduinenstamm von seinem Recht Gebrauch macht, die Stämme an unterschiedlichen Stellen anzuritzen, um das austretende Harz nach zweiwöchigem Trocknen abzuernten. Sortiert nach Farbe und Qualität gelangt es dann als Weihrauch auf den Markt – so wie bereits Jahrtausende zuvor zur Zeit der alten Weihrauchstraße.
Transportschiffe und „Wüstenschiffe“

Doch bereits am nächsten Tag kommt Verwirrung auf, die die traditionelle Sichtweise auf eine harte Probe stellt. Beim Besuch der archäologischen Ausgrabungsstätte von  Sumhuram  stellt sich die Frage, was denn in antiker Zeit von dieser Küstenstadt aus verschifft wurde, deren Hafeneinfahrt inzwischen durch einen Erdriegel versperrt ist. Vish aus Sri Lanka, der sich nach seinem Studium in Deutschland mit diesem UNESCO-Weltkulturerbe näher beschäftigt hat, hält es für erwiesen, dass Weihrauch auch von hier aus auf den Weg gebracht wurde.

Eine maritime Weihrauchstraße also mit Ausläufern auch nach Ostafrika, Indien und China? Eine Annahme, die Vish sogleich bestätigt. Wie jedoch wollen die Transportschiffe auf den Wasserstraßen passen zu den „Wüstenschiffen“ entlang den östlichen Sandufern des Roten Meeres? Vishs Erklärung  leuchtet sofort ein: Demnach wurde das kostbare Material hier zunächst auf Schiffe verladen, da sich der Landweg an der Südküste der Arabischen Halbinsel durch Jemen hindurch wegen verbreiteter Wegelagerei als zu gefährlich erwies.
Weihrauchmythos mit orientalischer Romantik

Dann jedoch, auf der Nordroute durch das Rote Meer, verstellten Piraten den Dhaus der Händler den Weg, sodass hier auf Kamele umgeladen werden musste, um nicht ganze Schiffsladungen zu verlieren. Eine aufregende Geschichte, die an die Zeit der alten „Seidenstraße“ erinnert, die von Chinas wildem Westen ausgehend ebenfalls ans Mittelmeer führte, um dort der Nachfrage im römischen Imperiums gerecht zu werden.

So erweist sich Weihrauch neben der Seide als das Naturprodukt, dessen Nimbus seit Jahrtausenden nichts von seiner Strahlkraft verloren hat. Und in Arabiens grünem Orient im südlichen Oman ist der Weihrauchmythos noch bis in die Gegenwart hinein fest verankert. Als ein Zauber, der nicht nur aus der Vergangenheit nachwirkt, sondern auch als eines der größten arabischen Kulturgüter, das noch heute mit all seiner orientalischen Romantik aufgespürt werden kann.
Reiseinformationen „Oman“
Anreise: Günstig mit Oman Air, täglich von Frankfurt nach Muscat, viermal wöchentlich von München nach Muscat; Anschlussflüge von Muscat nach Salalah drei- bis viermal täglich.
Einreise: Mit mindestens noch 6 Monate gültigem Reisepass; Visum wird nach Ankunft in Muscat für ca. EURO 40,- ausgestellt.
Reisezeit: Optimal von September bis Mai; Regenzeit von Juni bis August; der „grüne Orient“ präsentiert sich am Besten im September.
Auskunft: Sultanate of Oman, Ministry of Tourism, Karl-Marx-Allee 91A, 10243 Berlin, Web: www.oman.travel; Email: info@omantourism.de; Telefon: 030-42088012 
Reiseliteratur: Peter Franzisky und Kirstin Kabasci, Oman, Reise Know-How, Bielefeld 2011, 7. Aufl. neu bearbeitet, ISBN 978-3-8317-1965-5, EURO 24,90
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