Berlin, Deutschland (Weltexpress). In Teil I hat der langjährige Bundesvorsitzende des 1929 gegründeten Deutschen Freidenker-Verbandes, Klaus Hartmann, die aktuell weitverbreitete Begriffsverwirrung über „links“ und „rechts“ unter die Lupe genommen und belegt, dass die von Regierung und Medien geschürte „Bewegung gegen rechts“ ein Fake ist.
(Die Rede von Hartmann kann hier nur gekürzt wiedergegeben werden und soll ein Appetitanreger für die Lektüre des ganzen Vortrags auf der Internetseite des Freidenker-Verbandes sein, der unter diesem Link aufgerufen werden kann.)
Die Rolle und Politik der AfD
„Vielen gilt die AfD geradezu als Inbegriff einer rechten Partei, Urteile beziehungsweise Aburteilungen zur ‚Alternative für Deutschland‘ sind zahllos und schnell gesprochen. Die Schnelligkeit ist meist der Feind der Genauigkeit. Man sollte die unterschiedlichen Ebenen des ‚Phänomens AfD‘ zu unterscheiden versuchen und insbesondere auseinanderhalten. Mit den Ebenen meine ich die Gründungsphase, die Programmatik, konkrete Äußerungen zu verschiedenen Themen und Aktionsschwerpunkten, schließlich die Wirkung ihrer Aussagen auf das Publikum und Schlussfolgerungen zum Umgang damit. Ohne dies hier grundlegend ausbreiten zu können, gehe ich von folgenden Thesen aus:
An der Wiege der AfD standen einerseits neoliberale Professoren, andererseits vormalige Vertreter der ‚Stahlhelmfraktion‘ der CDU. Die Parteigründung zielte unter anderem auf enttäuschte CDU-Wähler, die diese Partei durch [Angela] Merkel ‚entkernt‘ und ’sozialdemokratisiert‘ empfanden, sich politisch heimatlos fühlten. Ihnen sollte das Angebot einer ‚alternativen‘ Systemopposition gemacht werden.
Sozialpolitisch bekennt sich die AfD zur Beibehaltung des gesetzlichen Mindestlohns, sie fordert grundlegende Reformen der sozialen Sicherungssysteme, ohne konkret zu werden, frühere neoliberale Forderungen wie die Privatisierung der Arbeitslosen- und Unfallversicherung finden sich nicht mehr im Grundsatzprogramm. In der Sicherheitspolitik bekennt sich die AfD zur NATO-Mitgliedschaft und zur Erfüllung der Verpflichtungen gegenüber den Bündnispartnern, zur Stärkung der Bundeswehr (sprich Aufrüstung) und Wiedereinführung der Wehrpflicht; andererseits heißt es dort: ‚Sicherheit in und für Europa kann ohne Russlands Einbindung nicht gelingen‘.
Aus dieser ‚Mischung‘ ergibt sich im praktischen Verhalten, dass einerseits der Parteivorsitzende [Tino] Chrupalla seine Partei als einzige Friedenspartei in Deutschland preist, andererseits fast die Hälfte der AfD-Fraktion den 100 Milliarden Kriegskrediten der Ampelregierung zugestimmt hat. Während das Hamburger Bundesvorstandsmitglied [Alexander] Wolf ein ‚allzu großes Verständnis für die russische Position im Ukraine-Krieg ‚kritisiert, hält Chrupalla dagegen: ‚Der Ukraine-Krieg darf nicht weiter eskalieren, Deutschland nicht zur Kriegspartei werden. Statt immer mehr und immer schwerere Waffen in das Kriegsgebiet zu schicken, muss die Bundesrepublik mit Diplomatie auf ein möglichst schnelles Ende des Kriegs hinarbeiten.‘
Wir dürfen nicht übersehen, dass die AfD weiterhin stramm antikommunistisch agitiert. Reden über ‚Den grünen Kommunismus‘, ‚Das Gespenst der DDR geht wieder um‘ oder ‚Das Erbe des Marxismus ist der Postkolonialismus‘ zeugen wohl weniger von erheblicher Bildungsferne, als von dem Vorsatz, mit der Diffamierungskeule zurückzuschlagen und den Antikommunismus als ideologisches Rüstzeug dieser Republik weiter zu pflegen. Wir übersehen auch nicht, dass die AfD sich als besonders Zionismus-freundlich profilieren will und zum Beispiel für ein Verbot der BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestition, Sanktionen) in Deutschland auftrat.
Was folgt daraus praktisch?
Wenn man im Bundestag Stimmen gegen den Krieg gegen Russland und gegen die Wirtschaftssanktionen und gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine hört, dann sind das in der Regel Reden von AfD-Vertretern, Ausnahmen bilden einzelne Abgeordnete der Partei Die Linke, wenn zum Beispiel Sevim Dağdelen oder Andrej Hunko das Wort erhalten. Das muss man ganz nüchtern zur Kenntnis nehmen. Wenn eine AfD-Rede den Titel trägt ‚Das Volk will keinen Krieg‘ – was soll man dagegen einwenden? Gegenwärtig leben wir unter einer massiven Bedrohung des Friedens, mit einer akuten Kriegsgefahr, keiner der unverantwortlichen Politiker des ‚kollektiven Westens‘, keine Bundesregierung kann garantieren, dass Russland nicht irgendwann die ‚Rote Linie‘ überschritten sieht.
Von daher sind alle Stimmen, von welchem Politiker auch immer, die vor der Kriegsgefahr warnen, die eine Wiederinbetriebnahme der Nordstream-Pipelines fordern, die Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnen, und die irgendwie Gehör, einen Weg in die Öffentlichkeit, in die Medien finden, grundsätzlich hilfreich und positiv. Und wenn das ein AfDler macht, dann ist es egal aus welchen Motiven, wenn die Bevölkerungsmehrheit, die in Frieden leben will, und die diesen abenteuerlichen Harakiri-Kurs gegen Russland nicht mitträgt, aus solchen Reden eine Bekräftigung und Stärkung ihrer Überzeugung erfährt, dann kann das nur positiv sein.
Wenn daraus folgt, dass Menschen für solche Inhalte auf die Straße gehen, eine Einheit in der Aktion für Frieden und gegen Waffen zustande kommt, dann sollten wir uns ohne Ansehen der Person oder Kontrolle des Parteibuches daran beteiligen. Antikriegsaktionen mit demokratischen Rechten oder ‚Wertkonservativen‘, wie sie genannt werden, falls sie dazu bereit sind – das sollte selbstverständlich sein, und wir sollten uns davon auch nicht von den ‚Kontaktschuld‘-Predigern abhalten lassen. Dabei vergessen und verdrängen wir keinesfalls die Widersprüchlichkeiten, den ‚Kampf der Gegensätze‘ in den Positionen von Mitwirkenden. Aber wir müssen die Prioritäten auf die Herstellung von Handlungsfähigkeit legen.
Das wirkliche links-rechte Parteienspektrum
Betrachtet man das alte Parteienspektrum, ist die AfD natürlich eine rechte Partei. Aber rechts von der AfD sitzt die SPD, mit dem Zeitenwende-Kanzler, der unentwegt Waffen für den Stellvertreterkrieg gegen Russland an die Ukraine liefert, dessen Kriegsminister [Boris] Pistorius ‚Deutschland wieder kriegstüchtig‘ machen will.
Und rechts von der SPD sitzt die CDU/CSU, deren Fraktionsvorsitzender [Friedrich] Merz im Verein mit seinen militaristischen Sekundanten [Jürgen] Hardt und [Johann] Wadephul einen noch schärferen Kriegskurs will, unter anderem durch Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern.
Und noch weiter rechts sitzt die FDP, deren Rüstungslobbyistin [Marie-Agnes] Strack-Zimmermann immer mehr Waffen für Kiew fordert, und womöglich [Wladimir] Selenskij schon bald adoptieren könnte.
Ganz am rechten Rand sitzen noch die Grünen, die Rechtsextremisten, die Russland ruinieren und besiegt sehen wollen, deren [Annalena] Baerbock ‚einen Krieg gegen Russland führt‘ und deren [Anton] Hofreiter völlig entfesselt immer mehr Sanktionen gegen Russland fordert und den ‚zögerlichen Kanzler‘ mit Dauerkritik beschallt.
Gehen wir zurück in diesem Parteienspektrum, sehen wir links von der AfD, in der Mitte und etwas links der Mitte die Partei Die Linke. Und links von ihr die sich neuformierende Gruppe um Sahra Wagenknecht. Damit ist die linke Seite bereits abschließend aufgezählt, im Ergebnis ein völliges Ungleichgewicht, eine gähnende Leere. Das ist ein Versagen der Linken insgesamt, die sich zu großen Teilen auf Lifestyle- und Haltungsthemen sowie sprachpolizeiliche Ersatzübungen eingelassen hat, und darüber ihr Kerngeschäft, die Interessenvertretung der Nichtprivilegierten, vergessen hat. Nachdem ihr mit den Begriffen auch die Inhalte abhandengekommen sind, müssen die Inhalte, was links ist, sein soll oder sein müsste, dringend zurückgewonnen und neu gefüllt werden.
Es kann nicht schaden, sich dabei an Marx als Kompass zu erinnern. Gegen Krieg ist links – und deshalb sind die Grünen rechts. Wer für die Rettung der Bankprofite eintritt, ist rechts, wer für bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen, in der Altenpflege kämpft, ist links. Wer Abrüstung, den Abzug der ausländischen Truppen aus Deutschland und den Austritt aus der NATO fordert, ist links, wer Kriegskredite bewilligen lässt, wie Herr [Olaf] Scholz und seine Entourage, ist rechts. Wer den Notstand der Demokratie verordnet und wer dazu strammsteht, ist rechts, wer dagegen opponiert und die demokratischen Rechte verteidigt, ist links. Solche einfach zu begreifenden Inhalte führen nicht zu einer abgehobenen Theoriedebatte, das ist kein Laborprogramm, sondern ein praktisches Aktionsprogramm.
Ergänzen sollte man noch: Wer Russenhass predigt und antislawischen Rassismus, der ist rechts. Wer für Völkerverständigung, wer für Freundschaft mit Russland und China eintritt, der ist links.
Und wer dann fragt, ist [Wladimir] Putin eigentlich rechts? – dem sage ich: Der Putin ist natürlich ein absoluter Linker: Er steht auf der Seite des Antifaschismus. Er ist ein Antiimperialist. Er ist ein Verteidiger der UN-Charta. Er tritt für eine multipolare Weltordnung gleichberechtigter, souveräner Staaten ein. Und er hat das Wirtschaftssystem in Russland dahingehend verändert, dass dort jetzt Staatskapitalismus besteht, also nicht die Kapitalisten bestimmen, was der Staat zu tun hat, sondern umgekehrt, der Staat bestimmt, was die Oligarchen als Staatsbeamte zu tun haben.
Die uns geläufigen linken Forderungen, alle Verstaatlichungsforderungen für die Bodenschätze, die Grundstoffindustrie, die Energieversorgung, die Verkehrswege – alles umgesetzt, alles ist wieder in staatlicher Hand. Das sind alles Gründe, warum Putin dem Imperialismus als Feind gilt. Deshalb ist der russische Präsident für die imperialistische Propaganda ein ‚Rechter‘, aber damit haben wir selbst hierzulande zur Genüge Bekanntschaft machen können.“
Anmerkung:
Vorstehender Beitrag von Rainer Rupp wurde am 10.12.2023 in „RT DE“ erstveröffentlicht.