Wie oft wir schon über Amedeo Modigliani geschrieben haben, können wir nicht überblicken, denn seit Jugendtagen steht er in unserem Interesse, wo sein blindes Mädchen über dem Mädchenbett hing, diese mit dem langen Hals und ganz jung noch. Damals hielt ich das für eine Besonderheit, erst später bekam ich mit, daß das junge Ding nicht blind ist, sondern daß es zu den Eigentümlichen des Malers gehörte, immer wieder – aber eben nicht immer – die Augen als blinde Höhlen zu lassen, ohne daß dadurch der Ausdruck des Blicks entfallen würde – eine Kunst, die man ihm erst einmal nachmachen muß. Überhaupt die Augen, das zeigen auch die Bilder in Bonn – und nun die Abbildungen im Katalog – sind völlig unterschiedlich. Da gibt es also die blicklosen wie die „Junge Brünette“ von 1917, „Anna Zborowska“, auch von 1917, „Porträt einer jungen Frau“ von 1918/19. Aber dieselbe Lunia hatte er schon einmal 1917 abgebildet und da trägt doch tatsächlich nur ihr linkes Auge einen Augapfel, während das rechte leer bleibt, während in ihrem Porträt von 1917/18 sie noch beide Augäpfel hat. Wer ist die junge Frau? Nicht eine der Geliebten, nur ein Modell? Ja, aber eines, das ihn zum sensibelsten Maler erklärte, weil er jede ihrer Stimmungen auf die Leinwand bannte.
Um diese Zeit ist längst Jeanne Hébuterne diejenige, die nach dem gemeinsamen Kind von ihm erneut schwanger ist und die er wohl liebt, auf jeden Fall heiraten wollte. Nur das Leben wollte es anders, darum einige Worte zum Leben dessen, der als der letzte Bohemien gilt, mitten in Paris in bitterster Armut, er, der aus gutbürgerlichen aufgeklärt jüdischen Verhältnissen aus Italien stammt. Dort wurde er 1884 in Livorno geboren wurde und hat sich bis 1906 in Italien sich zum Künstler auszubilden versucht, bevor er direkt nach Paris ging. Sieht man das mit heutigem Blick, hat es selten einen Künstler gegeben, der mit so sicherem Strich sein Oeuvre so deutlich von allen anderen abgrenzte und dies nicht nur mit seinen Porträts und Akten, seinen überwiegenden Werken, sondern auch mit Landschaften und erst recht mit seinen Skulpturen, seinen Köpfen, die einen archaischen Eindruck machen und doch kunstvolle Stilisierung sind.
Sie tauchten übrigens teilweise im Schlamm des Tyrrhenischen Meeres auf, obwohl er während seiner Ausbildung zwar schon Bildhauerei, dies aber erst nach 1910 in großem Stil weiterbetrieb und dann noch einmal 1913 Köpfe aus Marmor schufen. Dazu war er nach Livorno zurückgegangen, wo ihm aber auch kein künstlerischer Durchbruch gelang. In Paris hatte er um 1910 ein Verhältnis mit der russischen kapriziösen Dichterin Anna Achmatova, denn er malte nicht nur hauptsächlich Frauen, sondern diese liebten den stets kränkelnden, aber wirklich schönen und wohl auch feingeistigen Mann besonders. Diese Steinskulpturen sind länglich und so auffällig eigen, daß sie überall herausragen und man sich fragt, wieso er zu dieser länglichen Stilisierung kam. Aber auch die Funktion und Form der Karyatiden beschäftigten ihn und hierin findet sich auch eine erstmalige Überschneidung zwischen Gemälde und Skulptur, denn auch , wenn seine weiblichen Porträts den langen schmalen Hals haben und alles gelängt erscheint wie auch die Steinkulturn, so sind doch die gemalten Frauen absolut von heute und sehr feinziselierte Wesen.
Und dies zeigt auch die Bonner Ausstellung deutlich. Wir lieben die Langhalsigen besonders, die allesamt egal welchen Alters sie sind, etwas dezidiert Mädchenhaftes behalten, aber die Kunstwelt horchte auf, als er die sitzenden und liegenden Akte schuf, wobei der lange Hals nicht sein mußte, aber im „Sitzenden Akt“ von 1917 eine durchaus dralle schwarzhaarige Schöne, die in den schwarz umränderten Augen auch skeptisch blickende Augen hat und einen fast gotisch kurzen, aber lippenbewußten Mund Noch beliebter wurden die Akte, die wie der „Liegende Akt auf roter Couch“ ebenfalls von 1917 die weibliche Ascham offenbart, aber es stimmt, was ihm die großen Erotiker, Pablo Picasso, Kees van Dongen und andere fast vorwarfen, es sind keine aufheizenden Akte, sondern die Nacktheit ist eher eine wie die der gotischen Madonnen, pure Schönheit in absoluter Ruhe. Der große Akt von 1919 zeigt eine oft gemalte Haltung, der Oberkörper flach auf dem Rücken, der Unterkörper zum Betrachter zugewandt, was einen absoluten Hüftschwung mit sich bringt, aber nichts Aufreizendes hat.
Und wenn wir jetzt wieder zu den blicklosen Mädchen zurückkehren, so sehen wir in „Maria“ von 1918 auch das Vorbild unseres Mädchens mit schwarzem Schal und rotem Hintergrund, nicht weil auch diese einen Schal um den schmalen gelängten Hals trägt, sondern eher wegen der Stirnfransen. Vergessen darf man aber die Männer nicht. Zum einen sein einziges Selbstbildnis, das dem Katalog, dessen Cover ein Foto des Malers zeigt, im Inneren voransteht. Auch hier blicklos, aber durchaus selbstbewußt. Seine Freunde malte er gerne, denn Aufträge hatte er eh nicht, Modelle waren teuer, die Freunde freuten sich über die Abbildungen, die, das muß man mit aller kunsthistorischen Schärfe sagen, das Innere in den Porträts nach Außen bringt, seien es auch schräge Gesichtszüge oder wieder einmal die fehlenden Augäpfel.
Mit Diego Rivera von 1914 hat er einen so sinnenfrohen Typen in Tupfenmanier auf die Leinwand gebracht, ein Bild, das singulär wirkt und eben eine barocke Figur zeigt, so wie es der mexikanische Maler als Malerfürst seiner Zeit auch war. Max Jacob dagegen glüht, nicht nur die rote Gesichtsfarbe, sondern die längliche Nase und die zusammengekniffenen Lippen wirken, also ob das im Inneren ein Vulkan brodelt, den der jüdische Malerdichter zurückhalten kann. Dies ist das Porträt von 1916, das in Bonn hängt, es gibt weitere, denn die Beziehung war eng und Jacob eine eindrucksvolle Gestalt. Chaim Soutine malt er auch und Paul Guillaume, hat überhaupt jemand seine Künstlerfreunde sooft porträtiert wie er?
Es half ihm nichts. Weder verkaufte er Bilder, noch wurde er gesund. Als er 1920 mit erst 35 Jahren an Meningitis starb, brach auch die Welt für seine Geliebte zusammen. Hochschwanger sprang sie tags darauf in Paris aus dem Fenster und ließ die zweijährige Tochter zurück. Das ist sehr ungewöhnlich und gibt dem ganzen Leben von Modigliani etwas noch Traurigeres, der sich mit großem Talent ausgestattet, nie hat durchsetzen können, aber auch heute ein Liebling der Moderne ist. Wenn man von Mythos spricht, dann auch deshalb, weil er weder Vorgänger, noch Schüler und Nachfolger hat, sondern singulär aus einer Zeit herausragt, die zwar viel ausprobierte, aber in diesem Malversuchen der eine vom anderen abkupferte. Das sollen so heißt es, nun die Fälscher mit Amedeo Modigliani selber tun. Das können wir nicht beurteilen, sehen es nur als Schizophrenie der Geschichte an, daß man mit einem Maler, der seine Bilder nicht verkaufte, nun durch Fälschen Geschäfte machen kann.
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Der Katalog der Bonner Ausstellung ist weiterhin erhältlich
Amedeo Modigliani. Ein Mythos der Moderne, hrsg. Von Christoph Vitali, DuMont Verlag 2009