Berlin, BRD (Weltexpress). Der Auftritt von Sahra Wagenknecht im ZDF-Jahresrückblick war zum Gruseln. Weil sie es für angebracht hielt, sich bis zur Selbstverleugnung bei den Vertretern der herrschenden Meinung anzubiedern, statt zu beanspruchen, für die Mehrheit zu sprechen.

Es war ja im Grunde bereits beim Betrachten der ersten Pressekonferenz zu ahnen, dass vom BSW bestenfalls eine weichgespülte Simulation einer linken Antikriegspartei zu erwarten war, die statt einer klaren Opposition in den Fragen Frieden und Souveränität nur ein sanftes „Ja, aber“ zustande bringt.

Und das kurze Parteiprogramm, das es bisher gibt, orakelt zwar ein wenig herum über die Führungsmacht des Militärbündnisses, in dem sich Deutschland befindet, aber eine Forderung nach Austritt aus der NATO klingt anders. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf die EU – der relevante Satz lautet: „Unser Ziel ist ein eigenständiges Europa souveräner Demokratien in einer multipolaren Welt und keine neue Blockkonfrontation, in der Europa zwischen den USA und dem sich immer selbstbewusster formierenden neuen Machtblock um China und Russland zerrieben wird“, aber der Aussage, dass das nur über eine Zerschlagung der heutigen EU zu erreichen ist, wird ausgewichen.

Die bisherigen Koalitionsverhandlungen waren auch kein Ruhmesblatt, auch wenn das Ergebnis ohne das persönliche Eingreifen der Vorsitzenden Sahra Wagenknecht womöglich noch schlimmer geworden wäre. Nur – auch die Galionsfigur des BSW leidet unter einer unheilbaren Sucht nach falschen Kompromissen.

Ihr Auftritt im ZDF-Jahresrückblick (ab Minute 40:30, für jene, die sich das unbedingt antun wollen) ist dafür geradezu symptomatisch. Er war unnötig defensiv, an manchen Punkten geradezu schmerzlich kenntnisfrei, und Wagenknecht war jederzeit bereit, sich bei den beiden „Gesprächspartnern“ anzubiedern. Und das, obwohl sie es mit Katrin Eigendorf zu tun hatte, einer ZDF-Journalistin, die schon mit ihrer Berichterstattung aus dem Donbass im Jahr 2014 dazu beigetragen hat, die Stimmung für den heutigen Krieg vorzubereiten.

Es ist höchst bedauerlich, dass ihre alten ZDF-Berichte nicht mehr online zu finden sind. Sie hat damals, noch vor den Aufständen in Donezk und Lugansk, über die dortigen Bergarbeiter in einem Tonfall berichtet, für den man wahrlich eine höhere Tochter aus einer reichen Hamburger Familie sein muss: voller Verachtung und Klassendünkel, eine in Schriftform gegossene gerümpfte Nase sozusagen. Jemand wie sie respektiert bestenfalls seinesgleichen. Dass sie damals nicht wahrheitsgemäß berichtete, hat historische Konsequenzen; sie ist keine Beobachterin, sie ist Mittäterin, und so hätte sie behandelt werden sollen.

Aber betrachten wir erst den Wortwechsel mit Lanz, ehe Eigendorf mit hinzustößt. Lanz fragt, ob Wagenknecht zu Wladimir Selenskij in die Ukraine fahren würde. Darauf hätte man vieles antworten können. Beispielsweise, dass Selenskij nach der Verfassung der Ukraine bereits seit Mai gar nicht mehr Präsident dieses Landes ist. Oder, dass er jener Präsident ist, der es geschafft hat, das Volk seines Landes gleich zweimal zu verraten: Das erste Mal, als er sich als Präsident des Friedens wählen ließ, ohne danach auch nur zu versuchen, die Minsker Abkommen umzusetzen und stattdessen den Krieg gegen den Donbass fortsetzte. Und das zweite Mal, als er im April 2022 auf Anweisung des Westens einen bereits weitgehend ausgehandelten Friedensvertrag mit Russland in den Papierkorb entsorgte, um an seine Stelle den Tod Hunderttausender zu setzen. Oder dass die Ukraine sich auch unter Selenskij stetig weiter von einem demokratischen Staatswesen entfernt hat, mit Partei- und Sender- und sogar Religionsverboten. Das alles hätte man sagen können. Oder auch nur: „Wissen Sie, warum er ein olivgrünes Hemd trägt? Weil das, wie das Preußischblau, eine Farbe ist, auf der man das Blut nicht so sieht.“

Das wurde aber alles nicht gesagt. Stattdessen antwortete sie brav, ja, sie würde zu Selenskij fahren. Als dann Lanz nachfragt, warum sie dann bei seiner Rede im Bundestag den Saal verlassen hätte, versucht sie es mit einem Verweis auf den kurz davor erfolgten ukrainischen Angriff auf das russische Überhorizontradar, aber ohne selbst verstanden zu haben, was es ist und warum ein Angriff auf eine derartige Anlage so kritisch ist. Sie versucht, das Thema Nuklearstrategie zu eröffnen, ohne die Grundlagen zu kennen, und Lanz grätscht ein, triefend vor falscher Emotionalität „Der Präsident eines gequälten, geschundenen Landes, das einen unglaublichen Preis bezahlt hat.“

Man kann diese Konversation gar nicht sehen, ohne ständig die Antworten mitzudenken, die es hätte geben können. Die es hätte geben müssen. Hier hätte es genügt, den Satz von Lanz aufzugreifen und abzuändern: Der Präsident, der sein Land geschunden und gequält hat, und das in fremdem Interesse einen unglaublichen Preis bezahlt hat, so wie wir Deutschen täglich einen Preis für diese fremden Interessen bezahlen, einen Strom- und Gaspreis …

Die nächste Enttäuschung: „Herr Lanz, wir müssen uns doch nicht darüber unterhalten, wie furchtbar dieser Krieg ist.“

Ist das eine angebrachte Antwort, wenn gerade die ukrainischen Toten in der deutschen Berichterstattung ständig verschwinden? Und wenn es vielleicht passender wäre, anzumerken, dass es ohne die Erpressung der EU im Jahr 2013 – deren Kopie man gerade in Georgien begutachten kann – keinen Maidan, keinen ukrainischen Bürgerkrieg, kein „wir wollen in die NATO“ und damit letztlich auch keinen russischen Militäreinsatz gegeben hätte?

Lanz kann es sich leisten, vor Wagenknecht gemächlich auf und ab zu spazieren und eine verwundbare Stelle nach der anderen darzubieten, weil Wagenknecht keinerlei Anstalten macht, zuzubeißen. Als ginge es gerade eigentlich um nichts in der politischen Auseinandersetzung, und nicht um die größte Gefahr eines Weltkriegs seit der Kubakrise. Stattdessen der große Kotau: „Ich halte Politiker, die Kriege beginnen, und das gilt auch für Wladimir Putin, für Verbrecher, und dieser Krieg ist verbrecherisch. Aber es ist auch ein Verbrechen, wenn man nicht alles dafür tut, was man tun könnte, diesen Krieg zu beenden.“

Völlige Ahnungslosigkeit in Bezug auf acht Jahre Krieg im Donbass, nun gut. Obwohl sie Berater haben sollte, die ihr das wenigstens einmal hätten vorbuchstabieren können. Aber warum hält sie es für erforderlich, Putin einen Verbrecher zu nennen? Eine Bezeichnung, die sie Selenskij übrigens nicht zukommen lässt.

Nein, das ist keine notwendige Anpassung, um überhaupt noch zu Wort kommen zu dürfen in diesem heutigen, unglaublich freien Deutschland. Es gibt immer noch die Möglichkeit der Neutralität. Es wäre möglich, schlicht zu sagen: „Ich habe den Eindruck, dass die Informationen, die wir durch unsere Medien erhalten, nicht alle Aspekte darstellen; ich will keine Stellung beziehen, ehe ich und auch die Zuschauer im Land alles wissen, was dafür erforderlich ist.“ Oder so ähnlich. Es ist Teil des politischen Handwerks – und das ist auch nicht notwendigerweise verwerflich – zu wissen, welchen Fragen man ausweicht. Und wie man das tut.

Wagenknecht wird in diesem Moment gar nicht nach Putin gefragt. Wenn sie dennoch einen solchen Satz sagt, ist das ihre eigene Entscheidung. Dass sie es für angebracht hält, als Parteivorsitzende und Spitzenkandidatin so etwas zu sagen, heißt zum einen, dass diese Aussage in ihrer Partei mehrheitsfähig ist, und zum anderen, dass sie zwar derzeit unter „Kanzlerkandidatin“ firmiert, aber nicht einmal versucht, sich für eine solche politische Rolle angemessen zu verhalten. Es ist eine doppelte Preisgabe in einem einzigen Moment: die Preisgabe einer Position, die Frieden mit Russland sucht, und die Preisgabe des politischen Anspruchs, das Land zu führen und nicht nur die Partei. Und das auch noch ohne Not.

Es plätschert noch ein wenig zwischen Wagenknecht und Lanz, der dann auch noch unwidersprochen erklärt, „wir“ hätten „die Moral der Ukrainer auch durch unsere Unentschlossenheit unterwandert“, und dann folgt der Auftritt der großen Russenhasserin Eigendorf.

Eigentlich genügen bereits die ersten Sätze: „Das, was Russland da macht, ist ja ein Krieg, der vor allem gegen die Zivilbevölkerung geführt wird.“

Hier, genau hier, hätte eigentlich Schluss sein müssen. Hier hätte es einen Einwurf gebraucht. „Sind Sie sicher, dass Sie da nicht zwei Länder verwechseln? Den Gazastreifen und die Ukraine, beispielsweise?“ Eigendorf lügt und Eigendorf weiß sicher, dass sie lügt. Sie tut es aus Überzeugung. Wagenknecht sitzt daneben und schweigt. Während ihr in der Folge Eigendorf eifrig ins Wort fällt, gibt sie das gesittete Mägdelein und lauscht folgsam.

„Das, was wir in der Ukraine erleben, ist ein Völkermord.“

Zugegeben, ich wäre in diesem Moment mindestens versucht gewesen, ihr eine zu scheuern. Weil sie die Opfer des Genozids im Gazastreifen verhöhnt. Eigendorf war übrigens auch in Gaza. Seitdem kann man sich fragen, wie Blinde zu Fernsehreportern werden können.

Wagenknecht schweigt. Eigendorf setzt zu einer Suada an, die eigentlich nach einer psychiatrischen Untersuchung schreit. (Und ich bitte schon vorab um Verzeihung, diese Sätze wiederzugeben, aber es muss sein, weil man sich die ganze Zeit über die schweigende Wagenknecht dazu denken muss, und weil sie wichtig sind, um dann zu verstehen, wie tief sie tatsächlich bei diesem Auftritt gesunken ist.): „Was die Ukrainer in Trump sehen, ist, dass er keine Angst vor Putin hat. Ich glaube, Angst ist ein Faktor, der auch in unserer Debatte viel zu viel Raum eingenommen hat. Gucken wir uns einmal die Fakten an: Wir haben es hier mit einem Regime zu tun, einem Land, das den globalen Frieden massiv gefährdet. Also ich würde die These aufstellen, eine Welt mit Wladimir Putin kann und ist keine friedliche Welt. Das heißt, das einzige Ziel, was ich erkennen kann, zum jetzigen Zeitpunkt, ist, dass man Russland so weit zermürbt, dass es nicht mehr in der Lage ist, Kriege zu führen. Kriege gegen seine Nachbarn, Kriege in Afrika, Kriege im Nahen Osten, also es ist ja nicht der einzige Kriegsschauplatz, wo Russland aktiv ist, und deswegen glaube ich, ist die einzige Lösung, Russland muss so weit in die Enge getrieben werden militärisch, und wir sehen ja erste Erfolge, wenn man sich im Moment die wirtschaftliche Lage in Russland ansieht, die wirtschaftlichen Eckdaten sehen nicht gut aus, manche Militärexperten sagen, bis Ende 2025 wird Russland nicht mehr in der Lage sein, den Krieg so weiterzuführen. Wir sehen zum Beispiel, Syrien ist ja auch ein Indikator dafür, wo war denn das russische Militär, das dieses Regime jahrelang an der Macht gehalten hat?“

Ja, Eigendorf reiht eine Aussage, die im Grunde ein Mordaufruf ist, an eine Fantasie, Russland zu zerstören, wirtschaftliche Wahnvorstellungen und Jubel über syrische Kopfabschneider. Sie würde in den Reihen der blutrünstigsten US-Neokons nicht auffallen. Wagenknecht aber greift immer noch nicht an, sagt nicht, dass Eigendorf bei weitem kein Napoleon sei, und selbst der bei dem Versuch, Russland zu „zermürben“, auf Granit gebissen hätte. Nein. Sie protestiert nur leise gegen das „Russland zermürben“, nicht damit, dass schon solche Gedanken uns Deutschen nicht anstehen –nur: „Also eine zermürbte Atommacht, weiß ich nicht, ob die sich einfach so zurückzieht.“

Was sie danach weiter sagt, ist zum Teil faktisch falsch. Wie die Behauptung, die amerikanischen ATACMS-Raketen würden nur im Raum Kursk eingesetzt. Sie hat sich weder selbst kundig gemacht noch sich kundig machen lassen. Sie setzt ganz auf einen „wir haben alle so viel Angst vor der Bombe“-Pazifismus, dessen Niveau noch unter dem evangelischer Kirchentage Ende der 1980er Jahre liegt.

Dann lässt sie sich von Lanz in die Enge treiben, der für den Fall eines Einfrierens des Ukraine-Konflikts zusätzliche ukrainische Flüchtlinge androht. Und dann kommt abermals Eigendorf: „Nicht einmal die Menschen, die in Russland leben, leben in einem Land, in dem Frieden oder Sicherheit herrscht, sondern unter einem Terrorregime, unter dem keiner von uns leben würde. Ich habe selber neun Jahre in Russland gelebt, und ich kann ihnen sagen, in so einem Land möchte keiner Staatsbürger sein.“

Und hier schlägt Wagenknecht endgültig in der untersten Etage auf: „Ich möchte auch nicht in Russland leben.“

Was zurückbleibt, ist eine eigenartige Enttäuschung. Eigenartig, weil ich nie große Hoffnungen in das Projekt setzte oder in die Person Sahra Wagenknecht, es ihr aber dennoch gelungen ist, selbst meine geringen Erwartungen eines schwachen Rückgrats noch zu enttäuschen. Denn wenn die letzten Jahre mit ihrem galoppierenden Demokratieabbau eines gelehrt haben, dann, dass in politisch kritischen Phasen die persönliche Standhaftigkeit wichtiger sein kann als die absolut richtige Bewertung der Lage (nicht, dass Wagenknecht sie hätte). Das Einzige, was an Wagenknecht Standhaftigkeit signalisiert, ist ihre Frisur, die einst Erinnerungen an Rosa Luxemburg wecken sollte. Ich denke, es ist überfällig, dass sie eine Frisur wählt, die ihr selbst entspricht.

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde unter dem Titel „Wagenknecht: Nach der Kapitulation“ am 20.12.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

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