Berlin, Deutschland (Weltexpress). „Was liegt jenseits des Nordpols? Ist dies eine Insel oder eine Halbinsel? Welche Art Menschen bewohnen dieses Land oder diese Provinz? Sind diese Wasserflächen offen oder gefroren? Wie können wir die Missweisung zum magnetischen Nordpol einbeziehen? Diese und ähnliche Fragen plagten die frühen Geografen, die einen Weg finden wollten, eine weitenteils unerforschte Welt auf einer Karte festzuhalten.“
Wenn die Welt so ist, wie wir sie sehen, dann hat sich unser Sehen erheblich verändert. Der vorliegende Atlas „Ansichten der Welt“ zeigt in 91 Abbildungen und vielen großformatigen Karten unser Bild der Welt im Wandel der Zeit. Vom römischen Kartografen Agrippa ausgehend (hier als Tabula Peutingerina aus dem 12. Jahrhundert abgebildet – im Original 6,75 Meter lang!), beschreibt Kevin J. Brown die Geschichte der Kartografie. In neun Kapiteln erleben wir das mittelalterlich geistlich zentrierte Weltbild, den Beginn der wissenschaftlichen Kartografie in der Renaissance, das Zeitalter des Kolonialismus, politische Sichtweisen anhand von Propaganda-Karten, Ostasiatische Kartographie sowie irreale Weltbilder.
Die farbigen Karten, manche mit fokussierten Details, sind sehr gut ausgewählt. Lange verweilt der Betrachter bei der „Übersichtskarte aller Länder des Universums aus buddhistischer Sicht“, welche vom Geburtsort Buddhas ausgehend, die Welt nach religiöser Bedeutung skaliert. Asien wirkt wie ein schneebedecktes Bergmassiv mit ausfasernden Inseln am Rand – Europa und Afrika. Eine japanische Mangakarte von 1933 zeigt die uns bekannte Welt aus japanzentrierter Sicht, mit winzigen Figuren, Fahnen, Schiffen und Bauwerken. Der Eiffelturm in Paris findet sich hier ebenso wie ein Wal vor Norwegen, Eisbären in Russlands Norden und Stierkämpfer in Spanien. Spätestens hier ist eine Lupe angebracht, um den Reichtum der Darstellung ausgiebig zu würdigen.
Konnte der Betrachter bei den ersten Karten noch über fehlende Kontinente und später arg verschwommene Konturen Australiens oder Amerikas schmunzeln, wird er angesichts der letzten Karte – „Eine alte Karte des Märchenlandes, neu entdeckt und dargelegt“, welche 1918 von Bernard Sleigh gestaltet wurde, in kindliches Entzücken ausbrechen. Meerjungfrauen ruhen auf einem Felsen vor der verzauberten See, über welcher ein Fels aufragt. Am Fuße des Felsens ist Merlins Wald zu sehen, daraus steigt ein Pfad zu einer Burg hinauf, welcher sich an Arturs Grab vorbeiwindet. Lancelot und Parsifal besteigen just die Treppe hinauf zum Schriftzug „Here is Avalon“…
Fazit: prächtige Ausstattung, sparsame und kurzweilige Textpassagen mit notwenigen Erläuterungen, sorgsam ausgewähltes, ungewöhnliches und seltenes Kartenmaterial, hervorragend als Geschenk geeignet!
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Kevin J. Brown, Ansichten der Welt – Kartografische Reisen durch die Zeit, aus dem Englischen von Melanie Köpp, 208 Seiten, 91 Abbildungen, gebunden mit Schutzumschlag, Format: 27,8 x 31,7 cm, Delius Clasing Verlag, 1. Auflage, Bielefeld 2017, ISBN: 978-3667110848, Preis: 49,90 EUR