Von Räumen in der Malerei, Großstadt Obsessionen und Hurengesprächen – Serie: Zum Jahresübergang die alten und neuen Bücher aus vielen Bereichen (Teil 14/20)

War das Thema „Farbe“ noch ein sehr populäres, so sind die „Räume in der Malerei“ durchaus anspruchsvoller, weil der Laie erst auf den zweiten Blick weiß, was damit gemeint ist. Der Blick allerdings lohnt, denn hat man sich erst einmal mit den kunsthistorisch völlig abgesicherten Aussagen zu den Räumen in der Malerei beschäftigt, so wird man kein Bild mehr ohne diese Erfahrung im Hinterkopf anschauen können. Das können wir versprechen, die wir uns selbst schon vor Jahren mit dieser Fragestellung beschäftigt hatten.

Er beginnt mit dem Auf und Ab in der Wahrnehmung der Räume in der Malerei. Tatsächlich war das, was wir als Erfindung der Renaissance feiern, die Perspektive und damit die Entdeckung des gestaffelten Raumes im Bild schon in der Antike als Anspruch vorhanden, in dem nämlich aus einer planen Fläche durch Malerei ein Hinten, Mitte und Vorne wurde. Beispielsweise in der griechischen Bühnenkunst, aber sichtbar bis heute in den Wandmalereien in Pompeji und ihren vier verschiedenen Stilen. Dann aber kam das christliche Byzanz und Rom und auf stets goldenem Hintergrund die starren flächigen Figuren. Schön, aber ohne Raum. So schildert Düchting im Vorwort, was dann mit dem Licht geschah, wie es das Bild auffächerte, neue Räume schuf usw.

Dieser Schnelldurchgang wird dann in den einzelnen Kapiteln mit Bildbeispielen verifiziert. In der „Illusion des Raumes“ wird die Geschichte der Perspektive erzählt, in der Bildnisse wie der gemalte Himmelsdurchblick von Andrea Mantegna in der Camera degli Sposi in Mantua von 1474 nicht fehlen dürfen. Wie diese Perspektive nach dem flachen Mittelalter in der Frührenaissance in Florenz zum Tragen kam, wird ebenfalls anhand vieler Bildbeispiele bewiesen.

Es wird der Blick in die Landschaft genauso untersucht wie die Innenräume und dann auch noch die augentäuschende Malerei mit dem Trompe l’oeil. Es gibt die Wand- und Deckenmalerei und die Panoramamalerei, die mit Albrecht Altdorfers Alexanderschlacht 1529 einen Höhepunkt hat. Natürlich darf die ver-rückte Welt nicht fehlen, seien es die Surrealisten oder den Perspektiven-Spuk, in dem sich keiner mehr zurechtfinden kann und wie bei Escher alles wunderbar perspektivisch aussieht, aber pausenlos endet.

Um Räume geht es auch in „Rudolf Schlichter. Großstadt Porträt Obsession“ aus dem Kehrer Verlag Heidelberg. Das Buch ist eigentlich der Katalog zur Ausstellung gleichen Namens, die bis zum Januar 2009 in der Pforzheimer Galerie gezeigt wurde. Und weil Rudolf Schlichter ein Stern in den Zwanziger Jahren war und zu den Verlorenen im Dritten Reich zählt, die auch nach 1945 nie wieder an ihre alte künstlerische Bedeutung anknüpfen konnten, weil der Zug der Zeit die aus den USA kommende Abstraktion in den Himmel hob und die gegenständliche Malerei ad acta legte, weil dies so ist, nehmen wir jede Gelegenheit wahr, über diese Maler zu berichten. Außerdem macht es einem dieser Katalog einfach, dies als vollgültiges Buch über Schlichter zu werten. Da wird nämlich vor den 28 Aquarellen, Ölgemälden, Tusche- und Bleistiftzeichnungen, die faßt immer ganzseitig abgedruckt auch inhaltlich gewürdigt werden, da wird also zuvor in einem Vorwort von Isabel Greschat und einem Geleitwort von Joachim F. Rösch von Siegrid Lange eine Einführung geboten, in der es um all das geht, was der Mensch von heute nicht weiß.

Wie die Kunst der Zwanziger Jahre war und wie sie sich weiterentwickelte, wer Rudolf Schlichter (1890-1955) war, welche Ausbildung er hatte und was eine Kunstrichtung der Neuen Sachlichkeit ausmachte, in welche Kreise er geriet, wie er sich weiterentwickelte, wie man seine Kunst verstand, wer seine Weggenossen waren. Spannend wurde es 1919/20 als er nach Berlin zog und zu seinem Umfeld George Grosz, Bert Brecht, Alfred Döblin, Erich Kästner und später auch Ernst Jünger zählten. Muß man noch mehr sagen darüber, weshalb er erst ein geachteter Künstler und später  keinen Spielraum mehr erhielt. Das ist ein feines Buch, das einen Künstler herzeigt.

Kennen heutige überhaupt noch Heinrich Zille (1885-1929)? Noch in den Fünfzigern und –Sechzigern waren die Zeitschriften voll von seinen entlarvenden Zeichnungen, aber auch von der Dokumentation von Armut und Hinterhöfen, die er als Chronist des Berliner „Milljöhs“ aufzeichnete, auch fotografierte. Diese Schrift aber, die er selbst „Hurengespräche“ genannt hat, erschienen im Verlag Schirmer/Mosel, sind der Abdruck eines 1913 von ihm im Privatdruck unter dem Pseudonym W.Pfeifer veröffentlichten Buches, das mit Bild und Text so richtig vom Leder zieht, nämlich so, wie es die dem Volksmund abgelauschten Weisen mit entsprechenden Illustrationen in einer Doppelmoralgesellschaft wie der Vorkriegskaiserzeit niemals sein durften.

Wenn es nun mit Wolf Biermann heißt, „Was verboten ist, das macht uns grade scharf“, so gilt dies sicherlich für diese Neuauflage, vom Verlag als „Urgestein erotischer Großstadtliteratur“ bezeichnet. Auch die Kennzeichnung als „preußischer Boccaccio“ gefällt uns, vor allem aber die „fetten Weiber“, die halt sein müssen, wenn die käufliche Lust zum Thema gemacht wird. Das fällt schon auf, daß die Frauen drall und die Männlein immer wieder Striche sind. Welcher Kulturverfall, daß wir die Schrift nicht mehr lesen können und ist das deutsche Schrift/Sütterlinschrift und beides dasselbe?

Weil wir heute solche Banausen sind und daher viele alte texte nicht mehr selbst lesen können, sind die handschriftlichen, auf einem Stein geschriebenen und dann gedruckten Texte zwar mit den Bildern im Original abgebildet, aber dann auf der gegenüberliegenden Seite auch noch einmal in lateinischer Schrift wiedergegeben. Das ist wichtig, weil zwar die Illustrationen eindeutig sind, aber der Text eben den Kontext herstellt. Ein Vorwort von Winfried Ranke gibt dann noch den historischen und auch editorischen Hintergrund. Sie werden nicht glauben, was Ihnen „Der neue Tag“ auf dem letzten Blatt bringt.

***

Hajo Düchting, Bildraum. Räume in der Malerei, Belser Verlag 2010

Hajo Düchting, Farbrausch. Die Farbe in der Malerei, 2009

Rudolf Schlichter, Großstadt.Porträt.Obsession, hrsg. von Isabel Greschat, Kehrer Verlag 2008

Heinrich Zille, Hurengespräche, Schirmer/Mosel 2008

Vorheriger ArtikelSchläft die Vernunft oder träumt sie? Und welche Folgen hat das jeweils? – Helmut C. Jacobs „Der Schlaf der Vernunft. Goyas Capricho 43 in Bildkunst, Literatur und Musik“
Nächster ArtikelKreativer Weihnachtsmuffel bastelt eine Perücke aus handgeschöpftem Papier – Serie: Auf einen Schlag: Paperworld, Creativeworld, Christmasworld und Hair & Beauty auf dem Frankfurter Messegelände (Teil 1/5)