Von der anspruchsvollen Massenkultur für Erwachsene zur japanisch geprägten neuen Jugendkultur in China – Serie „Wortbilder. Comics aus China“ im Cartoonmuseum Basel (Teil 1/2)

Was sind Wortbilder? Sind es Bilder aus Worten, Worte, die zu Bildern werden, Bilder, in denen Sprechblasen reden, oder wie in den ägyptischen Hieroglyphen eine Bilderschrift, die aber immer mehr war, nämlich genauso eine Lautschrift? Was ist mit den mexikanischen Varianten, der Mayabilderbegriffeschrift, und dann sind wir noch lange nicht in China, wo schon die chinesischen Schriftzeichen wie graphische Bilder aussehen. Nachdem wir es genauer wußten, daß man nämlich zu diesen Wortbildern auch Bildergeschichten sagen kann oder – wie die Chinesen – Kettenbilder und nachdem uns klar wurde, daß diese rare Ausstellung aus dem Bestand des Nationalmuseums in Peijing stammt, deren Sammlung zum 60. Jahrestag der Volksrepublik China um Animationsfilme, Karikaturen und Bilder Bücher für Kinder erweitert wurde, nachdem wir von allen Verästelungen und präzisen sprachlichen Begriffen wissen, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als einfach Comic zu sagen, denn wir wollen endlich schreiben, was es zu sehen gibt.

Das Rührendste steht gleich am Anfang. Da sind auf einem Ständer in Reihen kleine, dünne quadratische Heftchen versammelt, die man anfassen darf und in denen sich die Grundform solcher Bildergeschichten findet, die man – sehr billig – in China auf der Straße kaufte. Das war die Straßenbibliothek für die, die Bilder brauchten, um besser verstehen zu können und an der großen Literatur Chinas durch diese Adaptionen teil hatten. Hier sieht man alle Formen und Geschichten in Klein, die man in der Ausstellung dann in großen Blättern sieht, die an der Wand hängen. Manchmal sogar nur eine Zeichnung pro Seite im Buch.

Herrlich die Tuschezeichnung von 1960, wo Bi Keguan lauter Buben zeigt, acht an der Zahl, die um ein aufgeschlagenes Buch herumhocken. Man spürt ihre Aufgeregtheit, ihr Interesse – „Ein interessantes Buch“ heißt das Blatt und wird damit zum Motto dieser Ausstellung – und man spürt die sanfte Kritik des Zeichners, wenn da ein einziges Mädchen dabei ist, wie Pippi Langstrumpf mit zwei Zöpfen, die sich allerdings zum Himmel strecken, wenn dieses Mädchen nicht neben den Bubenköpfen, sondern hinter einem eben nicht erhaschen kann, was die kleinen Männer sehen, sondern nur gerne sehen möchte. Aber dieses Mädchen hat daraus gelernt, denken wir uns, hat ihre Phantasie in Gang gesetzt, schreibt jetzt selber und würde 2010 einen Buben wegschubsen, wenn der nicht gleich Platz für ihre Augen macht. Und -denken gleich weiter – , wieder typisch mitteleuropäisch mit Kritik auf das Blatt reagiert, weil das unsere Grundstimmung bei Karikaturen ist, weshalb sie gesellschaftlich entstanden, was schon nicht mehr für Cartoon oder Comic gilt.

Das mit dem ’unterdrückten` Mädchen gleich zu Beginn und ihrer notwendigen Reaktion empfanden wir so. Es kommt noch doller. Diese wunderbare Ausstellung, die mit den historischen Comics beginnt, was in China so um 1925 auf der Grundlage von literarischen Motiven geschah, wo die klassischen Stoffe der Kaiserzeit erst in historische Bilder und Sprache, dann zeitnahe übertragen wurden, und dann in weiteren Stationen die Entwicklung des Comics in China uns in überaus reicher Fülle vorführt, diese Ausstellung zeigt auf einmal ästhetisch und inhaltlich einen Bruch, den sie selber zum Thema macht. Die traditionellen chinesischen Inhalte und Bildverfahren, die vornehmlich der Erwachsenenwelt galten, wurden aufgegeben und die in Japan entwickelte Jugendkultur der Mangas eingeführt und mit ihnen diese seltsam europäisierten Mädchen, die mit großen Kulleraugen und verrückt angezogen durch die Lüfte segeln und nebenbei die Welt erobern, diese auch besser machen, denn sie siegen immer!

Diese japanischen Vorgaben werden in China übernommen, machen damit den Comic zu Mangas, auf Chinesisch Manhua, womit man zuvor die Karikatur und spontane Grafik bezeichnete. Heute schließt dieser Begriff auch die ebenfalls vom Anime übernommenen Animationsfilme ein, die in der Ausstellung zu sehen sind. Aber hier geht es nicht nur um die Übernahme von Zeichen und Formen, so daß man, so man die japanischen Mangas kennt, am Schluß tatsächlich dauernd den Eindruck hat, eine japanische Ausstellung zu sehen. Hier geht es tatsächlich darum, daß Sie im letzten Raum, wo Sie die jüngsten Filme und Bilder ausgestellt sehen, überhaupt nur noch Mädchen als Protagonisten sehen. Vergleicht man dies mit dem Anfang, wo fast nur Männer abgebildet waren, sieht man, was passiert ist.

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Bis 13. März 2011

www.cartoonmuseum.ch

Der Katalog: Comics aus China entzückt schon beim Durchblättern. Hier sind die Bildergeschichten wie „Das Wanderleben von Sanmao“, das ist der widerständige Junge mit den drei Haaren, im Großformat zu sehen und erst beim Schauen kommt der Aspekt heraus, der in einer Ausstellungsbesprechung immer zu kurz kommt: die außerordentliche Vielfalt der ästhetischen und inhaltlichen Vorlagen. Gegliedert ist der Katalog in „Revolution und Gesellschaft“, „Literarische Wurzeln“ und „Moderne Künstler – Moderne Comicformen“, die dem Aufbau der Ausstellung entsprechen.

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