„Die Rolle Chinas in der Welt – Selbstbild und Fremdbild“ zeichnete sich nach wenigen Minuten bereits durch einen ähnlichen Tenor aus, wie dieser auch bei der Begrüßung vorgeherrscht hatte. Harald Müller, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt, und Zhang Yunling von der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, leiteten im Tandem durch die erste Podiumsdiskussion, in der jeder der Teilnehmer ein Statement zur gegebenen Thematik abgeben konnte. So zumindest die Planung für den Dialog, der den Moderatoren zufolge „essentiell notwendig“ schien. Nicht zu unrecht!
Zum Teilnehmerfeld gehörte neben dem bereits erwähnten Mei Zhaorong noch der Sinologe Helwig Schmidt-Glintzer;, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Enrique Yang, Mitarbeiter des Observatorio de la Politica China sowie Professor Qin Hui von der Tsinghua-Universität und Huang Ping vom Institut für Amerika-Studien. Mei Zhaorong eröffnete mit einer historischen Zusammenfassung der chinesischen Geschichte bis hin zur Gegenwart. Gespickt mit imperialistischen Termini – vom chinesischen Schutzbedürfnis, der historischen Bürde der Ressourcenknappheit, von der Entschlossenheit zur Erlangung von Gleichberechtigung war da die Rede – beschrieb er Chinas beschwerlichen und langen Weg des Aufschließens zum Westen. Darüber hinaus kritisierte er die Einmischung fremder Nationen in innerstaatliche Angelegenheiten. Er schloss ab mit der Verkündung, dass der Wiederaufstieg Chinas, Großmacht und Entwicklungsland zugleich, eine geschichtliche Unvermeidlichkeit und ein Segen für die Welt sei.
Helwig Schmidt-Glintzer bekräftigte daraufhin, wie wichtig es sei, die spezifischen Rituale des anderen Landes zu kennen – eine Erkenntnis, die wie wir finden, dem einen oder dem anderen wechselseitig an diesem Tag sicher zugute gekommen wäre. Aber auch Chinas anfängliche Bemühungen, den Westen zu imitieren und die Fortschritte im chinesischen Rechtssystem gehörten zu seinem Themen. Enrique Yang sprach über die Einmischung des Westens und dessen Sicht auf ein demokratisches China. Die „Westler finden nicht alles demokratisch genug“ lautete dabei sein Statement. Eine Fülle an differierender Nachrichten wie z.B. von Hackerangriffen, High-Tech Themen oder militärischer Aufrüstung würden dort Unsicherheit generieren. Daher müssen Chinas Außenbeziehungen verstärkt dem Motto „Go World, Go International“ folgen.
Qin Hui fuhr fort. Er sprach über die „Kolonialisierung“ Chinas durch westliche Länder und wie dieser „Kolonialismus“, – denn eigentlich ist es ja keiner, da Kolonialismus in seiner klassischen Form ja Schaden für andere Länder bringt, hier wäre dies jedoch nicht der Fall – mithelfen würde, die Menschenrechte in China aufrechtzuerhalten. In der anschließenden Fragerunde, ließ sich Mei Zhaorong entlocken, daß die deutsche Moral nicht auf andere Länder übergestülpt werden dürfte. Dafür griff er tief in die Mottenkiste der Historie, indem er die sogenannte Hunnenrede von Wilhelm II. herauskramte: „So darf man das nicht mehr sehen heute!“
Vom „Nicht-Willkommen-Gefühl“ ausgehend, dass die erste Sitzung in vielerlei Hinsicht verspüren ließ, versprach auch die zweite Sitzung des Tages keine Abkühlung, der gar mulmig anmutenden Stimmung. In dieser ging es um „Viele Bilder – viele Missverständnisse? Die Bilder Chinas in den Medien – Chinas Bild von den Medien“, projizierte sich beinahe gänzlich auf die deutschen Medien und deren Sicht auf die Volksrepublik. Moderiert von dem Journalisten Peter Sturm sprachen hier neben Mei Zhaorong auch der spanische Autor und ehemalige Diplomat Enrique Fanjul und der Deutsche Welle-Journalist Shi Ming über die Wahrnehmung der Medienöffentlichkeit. Indem Peter Sturm darauf verwies, dass die im Folgenden präsentierten Bilder nicht objektiv erscheinen werden, gab er damit den Ton für die weitere Sitzung an.
Mei Zhaorong zufolge würden die deutschen Medien durch ihre Berichterstattung Vorurteile vertiefen und destruktiv ein Prinzip der „ideologischen Abgrenzung“ folgen. Er stempelte dies als Sichtweise des Kalten Krieges ab und beschuldigte die Europäer sich als Lehrmeister aufzuspielen. Immer wenn Zhaorong das Wort ergriff schien ein Hauch von Ressentiment in der Luft zu liegen. Der ehemalige Botschafter, der in der Vergangenheit durch seine langjährige diplomatische Arbeit zu einem der wesentlichen Akteure der Deutsch-Chinesischen Annäherung wurde, beanstandete des Weiteren die deutsche Haltung zu Tibet und die teils stereotypischen Vorurteile und Verleumdungen, wie z.B. jene, das etwa Chinesen deutsche Arbeitsplätze stehlen würden.
Enrique Fanjul, der sich selbst als Freund des Landes und der Chinesen vorstellte, griff diese negative Haltung auf und sprach über die kommunistisch-marxistische Vergangenheit des Landes. Er entdeckte dabei die westlichen negativen Elemente beispielhaft auf der Webseite eines bekannten Onlinegroßhändlers. Bücher, die China thematisch behandeln, hätten sich angeblich hauptsächlich durch „negative perceptions“ ausgezeichnet. Bis hierhin konnte den Anwesenden der Eindruck nicht fern bleiben, dass die bisherigen Podiumsredner doch größtenteils einseitige Laudatio gehalten hatten. Die Reaktionen im Publikum, abgesehen von den Begleitern der chinesischen Delegation, spiegelten durch abflachenden Beifall dieses Bild deutlich wieder.
Erst Shi Ming gelang es mit einem intelligenten und charmanten Beitrag das Eis vorerst wieder zu brechen. Er sprach dabei über die vom reinen Unterhaltungswert dominierten deutschen Medien, die erstens zu überhastet und zweitens zu selbstsicher nach eigenen Maßstäben werten, ob ein Ereignis positiv oder negativ aufgefasst werden sollte. Ji Yun folgte diesem Beispiel, in dem sie zuallererst lobte, dass die deutschen Medien überhaupt über China sprechen würden. Auch sprach sie deutlich die deutschen Zukunftsängste über den wirtschaftlichen chinesischen Aufschwung an, ein Thema, das sich wie ein roter Faden an diesem Tag durch die einzelnen Podiumsdiskusionen zog.
Davon war auch die dritte Sitzung mit dem Thema „China auf dem Weg zu einer Wissensgesellschaft“ nicht gänzlich frei. Jedoch versprachen schon die Moderatoren Klaus Birk (DAAD) und Pan Jiahua von der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaft, eine Abkehr vom Schwarz-Weiß-Denken, das den Großteil des Tages bestimmt hatte. Teilnehmer am letzten Programmpunkt des ersten Tages des Symposiums waren Jiang Feng, von der chinesischen Botschaft in Deutschland, Nicola Spakowski von der Bremer Jacobs University und Xuewu Gu von der Ruhr-Universität Bochum.
Pan Jiahua leitete ein mit einem kurzen Abriß der Entwicklungsschiene Chinas, von der Agrar- über die Industrie- hin zur Wissensgesellschaft reichend. China, das noch immer dabei wäre, sich zu urbanisieren wäre demnach noch dem Industriezeitalter verhaftet. Feng, der erste der letzten Redner des Abends, verband die Weisheit des großen chinesischen Gelehrten Konfuzius mit der derzeitigen Lage des Wissens in China. Wissen, so meinte er, hätte eine traditionelle Rolle. Wissen würde dabei genauso als Strategie für eine Wissensgesellschaft fungieren, wie Land für eine Agrargesellschaft und Kapital für eine Industriegesellschaft. Zugleich würde dies internationale Konkurrenz erst möglich machen. Dabei sah er Chinas Herausforderungen einmal in der Balance zwischen Mensch und Natur und in der Balance der Menschen untereinander.
Nicola Spakowski orientierte sich an der bereits erwähnten Entwicklungslinie, sah anders als der Moderator China jedoch, da es sich nicht homogen entwickeln würde, überall auf der Linie angesiedelt. Xuewu Gu, der als letztes zu Wort kam, sprach über die Kraft des Wissens und das diese sich erst entfaltet, wenn sie transferiert würde. Sollte die Regierung dabei hinderliche Schwellen errichten, wäre ein Transfer und somit die Entwicklung hin zu einer Wissensgesellschaft nicht realisierbar.
Mit seinem Beitrag und den Schlußworten der beiden Moderatoren endete der erste Tag des Symposiums. Ob das eigentliche Ziel, Wissen über die kulturellen und sozialen Zusammenhänge Chinas im Vorfeld der Buchmesse offenzulegen, mit diesem Diskurs wirklich erreicht wurde bleibt fraglich. Eins jedoch ist nicht von der Hand zu weisen: „Öffentlichkeit“ wurde generiert, vermutlich mehr als erwünscht!
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