Berlin, Oberstdorf, Deutschland ( Weltexpress). Die Deutschen hoffen auf einen ersten Gesamtsieg seit Sven Hannawald 2002. Die Japaner erwarten einen weiteren seit Kazuyoshi Funaki 1998 und die Polen eine Fortsetzung der Siegesdoppels in den letzten zwei Jahren durch Kamil Stoch.
So in etwa darf man die Erwartungshaltung bei der 67. Auflage der Vierschanzen-Tournee der Skispringer vom 29. Dezember bis 6. Januar umreißen. Ausgetragen wird die Tour traditionell in Deutschland und Österreich mit den Stationen Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen.
Etwas bescheidener sind die Siegeshoffnungen bei auch mit ordentlichem Preisgeld verbundenem Wintersport-Spektakel in Norwegen und bei Co-Ausrichter Österreich. Dort setzt man die größten Hoffnungen auf den beständigen Johan Andre Forfang und den routinierten Skiflug-Weltrekordler Stefan Kraft. Die Slowenen drücken dem Bruderpaar Domen und Peter Prevc die Daumen.
Kraft beschloss 2015 eine eindrucksvolle Serie von Austria-Triumphen mit fünf verschiedenen Siegern in Folge.
Dann folgten zweimal Nacheinander die Sternstunden bei diesem prestigeträchtigen Ereignis für das von der Einwohnerzahl kleine Slowenien, das sich mit Peter Prevc vorneweg als Schanzen-Großmacht präsentierte.
An dessen Stelle trat 2017 und 2018 der Pole Kamil Stoch. Im Januar schaffte er als zweiter Akteur nach Hannawald die Maximal-Ausbeute von allen vier Tagessiegen.
Eindeutiger Favorit ist diesmal sowohl in Fachkreisen wie an den Wettbörsen der 22-jährige Japaner Ryoyu Kobayashi. Im Vorjahr noch unter ferner liefen, drückte der Mann mit dem mächtigen Absprung und dem Raketenantrieb in der FlugphasGesamtsiege mit bislang vier Siegen bei sieben Weltcups dem aktuellen Geschehen nachhaltig seinen Stempel auf.
Die beiden 31-jährigen polnischen Teamkollegen Kamil Stoch und der Spätzünder Piotr Zyla gelten als nächste Anwärter auf den Gesamtsieg. Dahinter rangiert ein breites Feld von Akteuren vom Deutschen Karl Geiger bis zum Norweger Johan Andre Forfang, denen man jederzeit einen Überraschungscoup zutrauen sollte.
Neidvoll mussten die deutschen Springer um den Gesamtzweiten Andreas Wellinger im Vorjahr die springerische Dominanz und mentale Stärke des polnischen Weitenjägers anerkennen. Wenige Wochen später bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang wurde Stoch auch Olympiasieger von der Großschanze und Dritter mit der Mannschaft. In Südkorea erwischte jedoch Andreas Wellinger die bisher erfolgreichsten Tage seiner Springer-Karriere: Erster von der Normalschanze, Zweiter auf der Großschanze und mit der Mannschaft hinter Norwegen!
Der gebürtige Traunsteiner ist erst 23 und dennoch schon Weltmeister und mit dem Mannschafts-Gold von Sotschi 2014 bereits zweimaliger Olympiasieger. Sein früher und scheinbar müheloser Aufstieg in die Weltspitze brachte ihm in deutschen Medien die kaum zu steigernde Einstufung als „Jahrhundert-Talent“ ein. In seiner bereits heute überaus erfolgreichen Vita fehlt der Triumph bei der anspruchsvollen Tournee, deren Stellenwert im Skispringen vergleichbar ist mit der Tour de France für den Radsport.
Ein Gesamtsieg nach acht Wettkampftagen mit acht Wertungsspringen plus jeweiliger Qualifikation ist eine ungleich härtere Prüfung als zwei möglichst optimale Versuche bei einem Eintageswettbewerb bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen. Zumal die jeweiligen Qualifikationen bei der Tournee längst ihren Probiercharakter verloren haben, seitdem deren Ergebnisse bei Abbruch der Wettkampfauftritte wegen Wetterkapriolen offiziell in die Wertung eingehen.
Dass der talentierte Wellinger, mit seinen Erfolgen und einer gewissen Sunnyboy- Ausstrahlung längst zum Vermarktungs-Liebling interessierter Sponsoren auserkoren, diesmal nicht als vermeintlich größter Hoffnungsträger der deutschen Skiadler angesehen wird, hängt mit den aktuellen Resultaten der bisherigen sieben Weltcups zusammen. Da hinterließen Karl Geiger mit seinem ersten Weltcuperfolg sowie der konstant springende Stephan Leyhe die besten Eindrücke. Noch vor Wellinger, Markus Eisenbichler, der sich mit Hüftproblemen plagende Richard Freitag oder der nach zwei Kreuzbandrissen um Anschluss kämpfende Severin Freund.
Die Schützlinge von Bundestrainer Werner Schuster mussten sich von 2015 bis 2018 den beiden Überfliegern Peter Prevc und Kamil Stoch beugen.
Jetzt sagt Schuster:“ Vielleicht können wir in der kommenden Tournee selbst einen Überflieger stellen. Der Erfolgshunger ist groß, aber wir haben gelernt, nichts zu erzwingen“.
Und zur überraschenden Entwicklung des 25-jährigen Oberstdorfers Karl Geiger, der seine Fortschritte als Zweiter der Sommertour beim Mattenspringen erkennen ließ, meinte der Chefcoach der Deutschen: „Selbstverständlich kann Karl auch Tourneesieger werden. Er hat noch einmal einen deutlichen Schritt nach vorn gemacht – sportlich genauso wie im Kopf und in der Entwicklung seiner Persönlichkeit. „Der einstige Olympiasieger für Österreich und heutige ZDF-Experte, Toni Innauer , lobt die Absprungkraft des großgewachsenen Deutschen: „Er ist der Gegenentwurf zu den leichten Springern wie Kobayashi oder Stoch und ein konstanter Wettkampftyp.“
Der erwähnte Erfolgshunger im deutschen Aufgebot gilt auch für Werner Schuster. Denn der 49-jährige Österreicher, als Aktiver mit bescheidenen Erfolgen und nach Verletzungen zum vorzeitigen Aufhören gezwungen, hat seit 2008 als verantwortlicher Cheftrainer beim Nachbarn alles erreicht, was ein Nationaltrainer erreichen kann: Siege bei olympischen Konkurrenzen, bei Welt-Titelkämpfen jeweils im Einzel- oder Mannschaftsklassement, oder bei Skiflug-WM, dazu diverse Podiumsränge bei Weltcups sowie bei der Saison-Gesamtwertung.
Nur bei dieser Heim-Tournee gelangte die Siegertrophäe, ein goldig leuchtender Adler, noch nie in die Fänge der von ihm so ehrgeizig wie akribisch betreuten deutschen Adler!
Ein Manko – trotz der oben erwähnten Ausweise hochqualifizierter Arbeit!
Dennoch gab es beim nachbarlichen Rivalen Bemühungen, Schuster wieder „heim nach Österreich“ zu holen. Denn die Nachfolger des erschöpften Erfolgstrainers Alexander Pointner, der für die beispiellose Erfolgsserie der„Austria-Superadler“ bis 2015 sorgte, Andreas Felder und nun Heinz Kuttin vermochten die dominante Position nicht zu behaupten. Gegen die Deutschen mit Schuster, gegen die Polen mit dem Österreicher Stefan Horngacher als Trainer oder gegen die Norweger mit dem Österreicher Alexander Stöckl in dieser Funktion.
Zu Spekulationen über die Rückkehr des Vorarlbergers in den österreichischen Verband meinte jener (vermutlich nach intensiven Überlegungen): Nein, er sähe noch Herausforderungen als zuständiger Betreuer der deutschen Springer! Da dürfte als Nächstes diese verflixte Tournee anliegen und bald darauf die Nordischen Weltmeisterschaften 2019 im österreichischen Seefeld.
Ob er dann auf halbem Weg zu den Winterspielen 2022 im dafür exotisch anmutenden Peking und Umgebung noch für Austrias aktuell schwächelnde Superadler die Verantwortung übernimmt, dürfte so gut wie ausgeschlossen sein.