Dann bebt die Erde. 35 Sekunden lang. Chaos. Schreie. Trümmer überall. Ein Nachbar bringt Samuel und Christie ins Krankenhaus. „Die beiden wurden dort voneinander getrennt und Samuel kannte seinen Namen noch nicht. Deswegen wusste keiner, wohin er gehört“, sagt Vater Emmanuel Octave heute. „Mir war klar, dass er noch lebt, aber ich konnte ihn nicht finden, es war zum Verzweifeln.“
Samuel wird nach der Behandlung seiner Wunden ans Rote Kreuz übergeben, das sich bis zur Genesung in einem Notlager um ihn kümmert. Im Mai kommt der Kleine dann ins SOS-Kinderdorf in Santo, einem Vorort von Port-au-Prince. Hier finden nach dem Erdbeben mehrere Hundert elternlose Kinder Schutz und Betreuung. 270 dieser „Erdbeben-Waisen“ wohnen noch immer dort.
Im Juli dann entdeckt ihn seine Tante auf einem Foto, das Rote Kreuz hatte es an einer Wand gegenüber vom Nationaltheater aufgehängt. Dort hingen noch viele andere Fotos von Kindern, die von ihren Eltern getrennt wurden – von den Behörden wurden 1676 unbegleitete Kinder registriert, bis Juli konnten nur rund 300 wieder mit ihrer Familie vereint werden.
Seither ist Samuel wieder zu Hause. Aber das Beben und die Zeit danach haben ihn geprägt. „Er ist hibbelig geworden“, sagt der Papa. Kann kaum einen Moment ruhig sitzen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ihm sein Zwillingsbruder fehlt. Der wurde von einer umgestürzten Mauer erschlagen. Vielleicht hat Samuel es gesehen, sie waren nie weit voneinander entfernt. „Er starb ohne zu leiden“, sagt Papa Octave, in seiner Stimmung klingt Hoffnung mit, die sich gegen alle Zweifel stemmt. Samuel sagt nichts dazu.