Beim Betrachten wird es mindestens drei Besuchergruppen geben. Es wird die geben, die Mara Eggert gut kennen, weil sie die Aufführungen kennen, die sie fotografiert hat. Dann wird es diejenigen geben, die noch nie ein Foto von ihr gesehen haben und wahrscheinlich auch die Theatergeschichten nicht, die sie abbildete, und dann wird es die geben, die vage schon mal von ihr hörten, weil sie einen Abdruck der Fotografien von den Aufführungen in Stuttgart, Mannheim, Hannover, Deutsche Oper Berlin, Salzburger Festspiele und vor allem Frankfurt in der Zeitung sahen oder sogar eine der abgebildeten Werke auf der Bühne sahen. Wir, besser sagen wir es gleich, gehören zur ersten Gruppe und kennen Mara Eggert als Theaterfotografin aus Frankfurt, weshalb wir auch einen Großteil ihrer Fotografien als konkrete Erinnerungen wiedersehen können und wissen, die Aufführungen sind vergangen, aber Bilder halten die Erinnerung daran am Leben. Auch unsere.
Das gilt für Leute aus Frankfurt am allerstärksten für die „Gielen-Ära“. Ein ganzes Zeitalter, gewiß, das 10 Jahre währte, aber die Aufführungspraxis und die Rezeptionsästhetik der Zuschauer nachhaltig prägte. Unterm Strich sogar so, daß aus erbitterten Gegnern vielfach die enthusiastischsten Verehrer wurden. Sie verstehen Bahnhof? Und was das mit den Fotografien der Mara Eggert zu tun hat? Sehr viel und der Zusammenhang ist schnell erklärt. Michael Gielen, der Dirigent und Opernchef in Frankfurt von 1977 bis 1987 war, hat in Zusammenarbeit mit seinem Dramaturgen Klaus Zehelein (der dann wiederum Intendant in Stuttgart wurde und die gemeinsame Tradition von Musiktheater dort fortsetzte) eine Art von Inszenierung auf die Opernbühne gebracht, die sagen wir mal die Hälfte der Abonnenten, vielleicht auch nur ein Drittel, aber das ist auch viel, dazu brachte, ihr Abonnement zu kündigen und am Schluß seiner Ära konnte man gar keine Abonnements mehr bekommen, weil die Oper Frankfurt zum interessantesten Aufführungsort Deutschland geworden war, wenn nicht sogar Europas. Und das hat Mara Eggert im Bild festgehalten.
Bleiben wir erst mal dabei. „Aida“ in der Inszenierung von Hans Neuenfels brachte das Theater um das neue Theater, das Regietheater, so richtig zum Kochen. Wenn jetzt gerade zur Eröffnung in Salzburg der uns angenehme Daniel Kehlmann aus persönlichen Gründen gegen das Regietheater wetterte, was uns ein Missverständnis zu sein scheint, weil Theater ohne Regie nicht auskommt, so geht es doch um den Grundvorwurf, daß sich Regisseure für wichtiger nähmen als die Werke. Aber die Fotografien von Mara Eggert zeigen eine andere explosive Wirkung dieses Regietheaters aus. Auf Seite 88/89 des Katalogs ist das Foto abgebildet, das wir in Bonn vergeblich suchten und nun annehmen müssen, wir seien ob der vielen in Bonn aufgehängten Bilder von drei Ausstellungen schon blind geworden. Genau dieses Foto haben wir nämlich gesucht, nicht gefunden und sind nun glücklich, es ihm Katalog gefunden zu haben. Neuenfels hatte die so ägyptische Aida nicht nur aufgefrischt, sondern sie dem archäologische Handwerk zugeteilt, das war schon skandalträchtig genug. Aber der Oberskandal war dann doch die hier abgebildete Szene, wo das Publikum sich auf der Bühne selber in die Augen sah. Neuenfels hatte nämlich die gesamte hintere Bühnenfront als Theaterlogen gestalten lassen, wo sich die Statisten als fein gekleidete Premierengäste verärgert diesen Skandal auf der Bühne ansehen. Die Spiegelung von der Spiegelung. Mara Eggert hat das in einer der Farbfotografien in Braun, Beige und Gold szenisch lebendig wiedergegeben.
Bleiben wir noch in Frankfurt bei Michael Gielen und Ruth Berghaus, seiner DDR-Regisseurin, mit der er auch den Ring gestalte – und was für einen. Siegfried in Gestalt des wuchtigen amerikanischen Tenors William Cochran – liebe Leute, wir wollen nicht beckmesserisch sein, aber in der Ausstellung unter dem Bild William Cochem zu lesen, tat schon weh, aber dann auch im Katalog diesen Fehler wiederzufinden, was sich bis in die Opernlegende fortsetzt, wenn schon falsch, dann systematisch durch!! Am Katalog kann man nichts mehr ändern, aber bitte in der Ausstellung sofort berichtigen – also Siegfried in Gestalt des wuchtigen Tenors in kurzen weißen Hosen. Das war uns allen bei der Generalprobe furchtbar und wir befürchteten den erneuten Skandal, hatten es aber schon nach genau sieben Minuten vergessen, weil dieser Cochran genau einen solchen naiven Kurzbehosten im Spiel auf die Bühne brachte, wie seine Verkleidung andeutéte. Schauen Sie sich das Bild an, das wir abdrucken, und wo die Verlorenheit des Siegfried genauso zum Ausdruck kommt, wie seine gläubige Naturverbundenheit, den wer ihn an der Hand hält, ist das Waldvögelein, das ihm”¦aber nein, wir erzählen hier nicht die Opern und deren Bilder, sondern halten Ausschau nach dem, was die Theaterfotografien von Mara Eggert noch sagen.
Beispielsweise, daß es Zeitstücke gibt und daß Inszenierungen Teil des reflexivenAusdrucks der jeweiligen Gegenwart ist. An zwei Beispielen kann man das schön verfolgen. Wir sehen in Bonn – im Katalog auf den Seiten 96/97 – im Dickicht der Städte von Bertold Brecht. Genau, auch daran erinnern wir uns, wie Michael Grüber, dieser tiefsinnige Regisseur, zum Entsetzen der Zuschauer 1973 ganze Müllberge auf die Frankfurter Bühne brachte, – das Regietheater als Form des dramaturgischen Genaunehmens von Stücken gab es also schon immer. Ja, wir erinnern uns genau, an die vielen Menschen auf der Bühne, die im Müll, sprich Dickicht wateten. So intensiv müssen auch für die Fotografin diese Bilder geblieben sein, so daß sie noch ein weiteres Bild dieser Aufführung bringt. Genug von Frankfurt.
Ein wunderschönes Foto sind die mehr als Halbnackten, nämlich Ganznackten, die über der ebenfalls ganz nackten Frau in Moses und Aaron von 1970 ausgebreitet sind. Es ist die Nacktorgie aus der Oper und wir können nichts dafür, aber schon wieder ein Bild aus Frankfurt und dankbar sehen wir, daß die schönen Leiber einer Pantomimengruppe geschuldet sind und sich nicht die Sänger ausziehen mußten. Denn 1970 wäre das von den meisten keine Augenweide gewesen. Aber, so denken wir, „Die Hochzeit des Papstes“ von Edward Bond 1975 ist endlich etwas aus anderem Stall, wo hinter verschmiertem Glas/Plexiglas das mürbe gewordene Gesicht des Schauspielers Axel Bauer unseren Blick fixiert, eine Aufführung übrigens inszeniert von Luc Bondy mit dem Bühnenbilder Erich Wonder, die noch heute zusammenarbeiten. Aber, was soll man sagen, schon wieder Frankfurt.
All unsere Bemühen, den eigenen Erinnerungen zu entgehen und sich auf Neues einzulassen, macht Mara Eggert zunichte. Doch, doch, wir fanden dann noch viele und sehr schöne Fotografien von anderen Bühnen. So ist die mit Calablumen bestückte Schöne aus „Wenn der Körper eine Stummheit ist…“ aus einer Aufführung in Darmstadt 2003 unter der Regie von Birgitta Trommler das vielleicht schönste Bild, weil es uns ins 19. Jahrhundert zurückversetzt, obwohl es sich um modernes Tanztheater handelt. Überhaupt der Tanz. Klar, daß Orpheus von 1977 – ach, vielleicht ist doch dieses das allerschönste Foto – Ballett, aber leider schon wieder aus Frankfurt – wo ein Schwarzer mit weiß geschminktem Gesicht uns anschaut, die Hände hochgestreckt und wir hinter ihm am Rücken drei völlig weiße Figuren mit weißen Haaren sehen, die ebenfalls die Arme ausgestreckt haben, aber in der Form der indischen Gottheiten nur ein Körper sichtbar ist, aber acht Arme. Nein, wir können nicht alle Fotografien beschreiben, aber den Tip geben, sich in Bonn bei den gegenwärtigen drei Ausstellungen sich auch um diese zu kümmern. Sie nehmen viel mit. Vielleicht auch den Katalog, denn der ist wie ein Bilderbuch der Zeit, zumal hinten die Bilder auf ihre Aufführungen, die Regisseure, die Schauspieler rückbezogen sind, also gleichzeitig auch ein kleines Theaterlexikon darstellen.
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Ausstellung: bis 4. Oktober 2009
Katalog: Mara Eggert, Theater der Bilder, Prestel Verlag 2009