Verbotene Liebe – Stefan Arsenijevics erzählt zwischen Märchen und Drama über “Liebe und andere Verbrechen”

Filmszene aus "Liebe und andere Verbrechen"

Zu spät hat Anica (Anica Dobra) erkannt, dass es in Neu-Belgrad für sie keine Zukunft gibt. Als Geliebte des Ganoven Milutin (Fedja Swtojanovic) hat sie ihre Jugend hinter sich gelassen. Dass ihr armseliger Beschützer todkrank ist, ahnt Anica nicht. Dass er sich nicht mehr zu ihr hingezogen fühlt, weiß sie seit langem. Mit dem Geld aus Milutins Safe will sie im Ausland ein neues Leben beginnen, überhaupt erst zu leben beginnen. In der Steinwüste lässt sich die Vergangenheit von Krieg und Tod nicht abschütteln. Mit feiner Beobachtungsgabe enthüllt “Liebe und andere Verbrechen”, wie ungleich die Bewohner ihrer Umgebung sind. Hinter kalten Steinmauern verbergen sich verwundetet  Seelen, welche die Perspektivlosigkeit ihre abgestumpft hat. Junge Menschen wie Stanislav (Vuk Kostic) übernehmen die kriminelle Existenz der vorherigen Generation wie Milutin. Der desillusionierte Ganove empfindet väterliche Gefühle für Stanislav, der sich um seine geistig wegdriftende Mutter kümmert und Milutins autistische Tochter Ivana (Hanna Schwarnborn) vom Selbstmord abhält. Mit Anica, die er seit Kindertagen liebt, will Stanislav fliehen. Wie in einem Spiegel zeigt “Liebe und andere Verbrechen” in den bestehenden und gewesenen Paarbeziehungen der übrigen Figuren, was sein könnte, wenn Stanislavs Wunsch sich erfüllte.

Regisseur Arsenijevics Drehbuch läßt eine hoffnungsvolle Note in “Liebe und andere Verbrechen” anklingen, welche sich zunehmend ins Märchenhafte versteigt. Zu wohlgesinnt sind die Protagonisten einander unter der rauen Schale. Bandenchef Milutin bemitleidet seine zahlungsunfähigen Schuldner, liebt seine autistische Tochter und trauert um seinen erschlagenen Hund. Wie ein Schutzengel wacht er über Anica und ermöglicht ihre Flucht, ohne sie davon erfahren zu lassen. In dem jungen Stanislav erkennt er sich selbst und erhofft für ihn das für ihn unerfüllbare Liebesglück.

Stanislav und Anica umsorgen Ivana. Der in ihren Erinnerungen verlorenen Mutter Stanislavs begegnen alle mit Verständnis.  Es ist verführerisch, Sanftheit in der trostlosen Umgebung wachsen zu sehen, doch “Liebe und andere Verbrechen” übertreibt Zartheit zu Sentimentalität. Der authentische Erzählton mischt sich mit einer fantastischen Melodie, welche zu den konturstarken Figuren in ihrem harschen Umfeld nicht passen will. Mit der mangelnden Glaubwürdigkeit büsst das anfangs gelungene Drama seine anrührende Kraft ein. Gelungen ist “Liebe und andere Verbrechen” in seiner ungeschönten Dokumentation der städtischen Eintönigkeit. Selbst an die geringste Existenz klammern sich die Bewohner und zementieren ihre Armut unbewusst umso mehr. Schönheit verkümmert in der Betonwüste unweigerlich. Die Mauern werden zum sichtbar-unsichtbaren Gefängnis für die Bewohner des Viertels.

Die trübsinnige, aber wahre Widerspiegelung des Alltags umzukehren, verzerrt “Liebe und anderer Verbrechen” zur unglaubwürdigen Mutmachergeschichte. In einer letzten Handlungswendung scheint Arsenijevic den Film herumreißen zu wollen. Ausgerechnet hier hebt “Liebe und andere Verbrechen” endgültig vom Boden der Tatsachen ab, wie Anicas Flugzeug in die Lüfte steigt. Traurig wie die Betonlandschaft ist es anzusehen, wie Arsenijevic seinen feinfühligen Anfang zur fantastischen Mär verdirbt. Die überzeugenden Darsteller, unter deren herben Zügen sich Sehnsucht und Feingefühl verbergen, können die Last des überlangen Drehbuchs samt Handlungsumschwung nicht mehr tragen. Eine wahre Tragödie würde den Charakteren gerechter, als ein unaufrichtiges frohes Ende. Mit der Romantisierung in “Liebe und andere Verbrechen” betrügt Arsenijevic nicht nur seine Protagonisten, sondern sein Publikum und sich selbst.

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Titel: Liebe und andere Verbrechen

Originaltitel: Ljubav I Drugi Zlocini

Genre: Drama

Land/Jahr: Deutschland/Österreich/Serbien/Slowenien 2008

Kinostart: 17. September 2009

Regie und Drehbuch: Stefan Arsenijevic

Darsteller: Anica Dobra, Vuk Kostic, Fedja Sojanovic, Milena Dravic, Hanna Schwarnborn

Verleih: Alpha Medienkontor

Laufzeit: 106 Minuten

FSK: ab 12

Internet: www.liebeundandereverbrechen.alpha-medienkontor.de

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