Wenn da mal nicht schon der Virus des Unterschätzens ausgebrochen war: Tabellenführer Union Berlin verschlief die Anfangsphase des gestrigen Spiels total. Die mit lediglich zwei vorher erzielten Treffern keineswegs furchterregende Ahlener Sturmabteilung kam früh zu einigen guten Gelegenheiten und sorgte nach einem katastrophalen Schnitzer des ansonsten gut agierenden Michael Bemben für einen Paukenschlag nach fünf Minuten: Stürmer Marcel Reichwein erwischte das schlampige Zuspiel zurück zum Torwart, umkurvte Keeper Glinka über links und schob das Leder mit Übersicht zum 0:1 ins leere Unioner Gehäuse.
Stoisch blieben in der Folge nur die Fans, die sich in keiner Weise durch die Gästeführung aus der Ruhe bzw. der Begeisterung bringen ließen. Die Mannschaft selbst aber tat sich aber zunächst weiter schwer, einen geordneten Spielaufbau zu schaffen. Viele Stockfehler der Unioner ermöglichten den Gästen immer wieder die Möglichkeit zu schnellen Gegenstößen, vor allem über rechts durch den pfeilschnellen Cihan Özkara.
Ein anderer Gegner hätte hier vielleicht zugeschlagen, aber die Ahlener konnten ihre guten Ansätze zu Gelegenheiten nicht nutzen.
Nach ungefähr einer Viertelstunde erwachten die Hausherren dann so langsam aus ihrem Tiefschlaf. Einige zu unplatzierte Schüsse auf das Tor von Ahlens Keeper Sascha Kirschstein brachten noch keinen Erfolg dann aber war es soweit: Parensen passt nach einer unübersichtlichen Situation auf der linken Seite in die Mitte auf Mosquera, der weiter auf Mattuschka, und dieser schlenzt die Kugel ins rechte Toreck (24.). Ausgleich geschafft !
In der Folge ließ sich Ahlen von immer stärker werdenden Unionern mehr und mehr in die eigene Hälfte zurückdrängen und kam nur noch vereinzelt zu Möglichkeiten.
Folgrichtig fiel kurz vor der Halbzeit die verdiente Führung für Berlin: Patrick Kohlmann hebelt mit einem langen Ball die gesamte Ahlener Abwehr aus und Karim Benyamina vollstreckt mühelos mit einem genauen Schuss in die rechte untere Ecke (42.). Mit diesem Tor erzielte der, auch im kämpferischen Bereich an diesem Tage überragende, Goalgetter seinen 78. Pflichtspieltreffer für Union, mit dem er den bisherigen Berliner Rekordtorschützen Jacek Menzel auf Platz zwei verdrängt.
In der zweiten Hälfte standen die Gäste aus Ahlen erwartungsgemäß nicht mehr so tief in der Abwehr, denn sie mussten nach vorne etwas tun, um nicht am Ende wieder ohne Punkte da zu stehen.
Das ergab die erstaunliche Situation, dass das spielstärkere Team von Union Berlin vor allem durch Konter im eigenen Haus gefährlich wurde.
Aber ach, damit sind wir schon beim größten Problem der Mannschaft: Glänzende Einschußmöglichkeiten wurden gleich reihenweise vergeben: so von Mattuschka (71.) und Mosquera (52.) und (73.), der völlig freistehend Nerven zeigte und wohl nicht seinen besten Tag erwischt hatte. Die allergrößte Chance aber vergab der für die Schlussviertelstunde eingewechselte Kenan Sahin, der bis zum Torschuss alles richtig macht, dann aber den letzten Verteidiger mitten auf der Linie anschießt(92.)
Die gerauften Haare der Fans mussten später aufgefegt werden, so ein Ding muss einfach sitzen.
Doch im gleichen Augenblick, in dem man dies schreibt, fragt man sich: hätte ich es besser gekonnt? Jeder, der einmal selbst Fußball gespielt hat, kennt die vergebenen 1000-Prozenter, die einem noch wochenlang den Schlaf rauben können.
Am Ende konnten die Fans zufrieden sein, denn auch wenn es Union Berlin wieder einmal unnötig spannend gemacht hatte, waren die drei Punkte zurecht auf der Habenseite angekommen.
So fiel auch das Fazit von Trainer Uwe Neuhaus realistisch aus: “Wenn man nach dem Motto spielt: Wie mache ich mir das Leben selbst schwer, dann kommt so ein Spiel heraus. Wir hätten das dritte Tor machen müssen, das steht fest.“
So bleibt als einziger Wermutstropfen des Abends die Erkenntnis, dass man sich gegen stärkere Gegner noch steigern muss, soll die derzeitige Erfolgsserie anhalten. In der überfüllten Staßenbahn, auf dem Nachhauseweg, äußerten sich einige der so begeisterungsfähigen Union-Fans dagegen überraschend nüchtern. Tenor war, dass es noch 23 Punkte bis zum Nichtabstieg seien und ein direkter Aufstieg in die erste Liga wahrscheinlich zu früh käme.
Nun aber müssen die Verfolger St.Pauli und Kaiserslautern erstmal selber punkten. Es gibt für keinen bei Union einen Grund zum tiefstapeln, denn dass der Verein nach sieben Spieltagen ungeschlagen an der Spitze stehen würde, konnte man nicht unbedingt erwarten. Wenn Union Berlin es schafft, seine letztlich leicht zu korrigierenden Probleme in den Griff zu bekommen, dann geht nach oben viel. Und die Fans werden dann auch den Gedanken an Höheres wagen können.
Nächster Gegner der Eisernen ist am nächsten Freitag auswärts der MSV Duisburg, der gestern mit 0:1 bei RW Oberhausen unterlag.