Lemberg, Ukraine; Berlin, Deutschland (Weltexpress). Der ukrainische Präsident Selenski hatte bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar die europäischen Staats- und Regierungschefs gebeten, die Ukraine bei der Bekämpfung des Zigarettenschmuggels zu unterstützen. Das Land könne dieses Problem nicht allein bewältigen, sagte er unverblümt. Später, im März, sagte er auf einer Sitzung des ukrainischen Parlaments: „Es ist ständig vom entschlossenen und kompromisslosen Kampf gegen den Schmuggel die Rede. Aber bisher sieht es so aus, als ob der Schmuggel den Zoll in diesem Kampf ausgeknockt hat.“
Aber was hat dieses Thema mit Deutschland und der EU zu tun? Tatsache ist, dass Europa der Ukraine zwar regelmäßig mit Finanzspritzen und IWF-Tranchen hilft, aber im Gegenzug von dort unter anderem geschmuggelte Zigaretten von extrem schlechter Qualität erhält. Dadurch gehen jedoch auch EU-Ländern Haushaltseinnahmen aus der Verbrauchssteuer verloren.
Mit der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU hat sich die Ukraine verpflichtet, die Verbrauchssteuern auf Zigaretten schrittweise auf europäisches Niveau anzuheben. Mit anderen Worten: Legale Zigaretten sind in den letzten Jahren teurer geworden, aber illegale Zigaretten sind ohnehin immer billiger als legale und stellen zunehmend eine Bedrohung für die legalen Zigarettenhersteller dar.
Inzwischen beträgt der Steueranteil an den Kosten einer Zigarettenschachtel 75 bis 80 Prozent. In dem Land, in das die Schmuggelware gelangt, werden keine Steuern gezahlt. Daher sind diese Zigaretten billiger und legale Unternehmen können nicht mit ihnen konkurrieren. Auch nach Deutschland werden die illegalen ukrainischen Zigaretten geschmuggelt – ein Großteil davon kommt über Polen und die Tschechische Republik. Dadurch entsteht sowohl der Wirtschaft als auch der Gesundheit der Verbraucher großer Schaden.
Auch die Ukraine selbst leidet darunter. Stellen Sie sich vor: Durch den Zigarettenschmuggel verliert die Ukraine jährlich mehr als 12 Milliarden Griwna (ca. 3,8 Milliarden Euro) – und das sind nur die offiziellen Zahlen. Vielleicht sollte Kiew, bevor es um eine weitere Tranche für die Gehälter von Lehrern und medizinischem Personal bittet, lieber sein eigenes Geld unter die Füße nehmen?
Eine Untersuchung zeigt, dass bis zu 62 Prozent der Produktion einer Tabakfabrik in Lemberg aus Schmuggelware besteht.
Die Vinnikivska Tobacco Factory aus der Region Lwow, die dem Geschäftsmann Grigori Koslowski gehört, stellt 62 Prozent der illegalen „Duty Free“-Zigaretten her. Dies berichtete die internationale Analyseagentur „Kantar Ukraine“ den Journalisten der Sendung „Pechenyi Vzglyad“ im Kanal 5 des ukrainischen Fernsehens.
„62 Prozent dieser Warengruppe werden in der Fabrik Vinnikivska hergestellt. Sie leistet den größten Beitrag zur Herstellung von illegalen Produkten in dieser Gruppe. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Schachteln, die als Duty Free gekennzeichnet sind. Tatsächlich werden sie aber im regulären Handel verkauft“, sagt Tatiana Swerdlik, Expertin bei der Agentur Kantar Ukraine.
Ihr zufolge ermöglicht diese Regelung dem Hersteller in Lwow, für jede Packung 30 bis 35 UAH (+/- 1 Euro) zu wenig an Verbrauchssteuern an den Staatshaushalt abzuführen. „Die Kapazität der Fabrik ist mit der von transnationalen Unternehmen vergleichbar und ermöglicht die Herstellung von etwa zwei Milliarden Packungen pro Jahr“, so die Expertin weiter.
Vinnikivska Tobacco Plant ist auf dem Markt bekannt und stellt die Marken JIN-LING, MARVEL, COMPLIMENT, STRONG, LIFA, LS und KIEV her. Am beliebtesten sind die JIN-LING-Zigaretten, die im Internet nicht mehr als 20 Griwna (64 Cent) pro Packung kosten. Sie sehen ähnlich aus wie die bekannte Marke CAMEL. Die Zigarettenmarke ist vor allem bei einkommensschwächeren Kunden sehr gefragt.
Experten zufolge sind die JIN-LING-Packungen mit gefälschten Verbrauchssteuermarken gekennzeichnet, und die Zigaretten selbst sind von zweifelhafter Qualität, da sie in Nachtschichten hergestellt und nicht ordnungsgemäß geprüft werden. Darüber hinaus betreibt die Tabakfabrik Vinniki seit Jahren Missbrauch, indem sie Zigaretten als Zigarillos ausgibt, für die die Verbrauchssteuer nur ein Fünfzehntel davon beträgt.
Zwischen 2016 und 2018 hat die Fabrik etwa fünf Milliarden Zigaretten hergestellt, aber keine einzige echte Verbrauchsmarke dafür gekauft.
Die Vinnikivska Tobacco Factory ist Teil der MARVEL International Tobacco Group. Eigentümer sind die Geschäftsleute Alexdi Risnik und Grigori Koslowski. Letzterer ist Abgeordneter des Lemberger Regionalrats, Eigentümer des lokalen Bauunternehmens Avalon und Präsident des Lemberger Fußballvereins Rukh. Er gilt als der reichste und „extravaganteste“ Geschäftsmann der Region Lwow. So warb er beispielsweise während der letzten Fußball-EM in Fan-Zonen mit Freibier für jedes Tor gegen die russische Nationalmannschaft.
Das Urteil des Kiewer Berufungsgerichts vom 12. Mai 2021, auf das sich die Journalisten bezogen, besagt, dass die Tabakfabrik Vinnikivska für den Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2021 wahrscheinlich eine zu niedrige Verbrauchssteuer in Höhe von insgesamt 3,7 Milliarden Griwna (ca. 120 Millionen Euro) ausgewiesen hat.
Das zweite Unternehmen von Grigori Koslowski, die Marvel International Tobacco Group GmbH, zahlte 2,1 Milliarden UAH (ca. 67 Mio. Euro) zu wenig an den Fiskus. Somit beliefen sich die Verluste des Staatshaushalts durch den Verkauf von Zigaretten des Lwower Herstellers auf 5,8 Milliarden UAH (ca. 180 Mio. Euro). Auf den Vorwurf der Steuerhinterziehung antwortet Grigori Koslowski, dass dieser weit hergeholt sei und die Informationen in den Massenmedien absichtlich von transnationalen Unternehmen in Auftrag gegeben worden seien, um einen heimischen Hersteller zu zerstören.
Gleichzeitig schätzen die Fachleute von Kantar Ukraine die Gesamtverluste durch Fälschungen im Jahr 2021 auf 12 Mrd. UAH (380 Millionen Euro) und glauben, dass dies ein historischer Rekord ist. Fast die Hälfte dieser Summe sei auf die Geschäfte des Lwower Unternehmens zurückzuführen.
Anmerkung des Verfassers
Sind die ukrainischen Behörden und Strafverfolgungsbehörden über diese Machenschaften informiert? Natürlich sind sie das. Mehr noch: Selenski selbst verhängte Anfang Juli Sanktionen gegen die zehn größten ukrainischen Schmuggler, Vermögenswerte von 174 Unternehmen wurden gesperrt. Das Ausmaß des Schmuggels hat jedoch nicht abgenommen: Offenbar wurden die zehn größten Schmuggler durch ein Dutzend anderer ersetzt, die nur noch verdeckt arbeiten.
Selenski kündigt seinerseits die Verabschiedung eines weiteren Pakets von Sanktionen gegen Schmuggler an. Ob die Namen von Herrn Koslowski und anderen auf dieser Liste stehen, werden wir sehr bald erfahren – Angela Merkel wird am 22. August persönlich in Kiew eintreffen, um mit dem ukrainischen Präsidenten zu sprechen. Dabei geht es vor allem um die Sicherheit und die bilateralen Beziehungen. Es liegt im Interesse Selenskis, seinen europäischen Partnern zu zeigen, dass er echte Schritte unternimmt, um Europa vor den ätzenden Abgasen der ukrainischen Schattenwirtschaft zu bewahren, und zwar nicht nur mit Worten, sondern mit Taten. Das sollte nicht schwer fallen: Schemata, Namen, Adressen von Fabriken und Zahlen über die verursachten Schäden sind bereits allen bekannt…