Elsoff, Westerwald, Deutschland (Weltexpress). Bernd Paschel sprach mit der erfolgreichen TREC-Reiterin Birgit Schuster, die seit 1977 auf dem Pferd sitzt und als Reitlehrerin und Pferdewirtin mittlerweile zu der Erkenntnis gelangt ist, dass die artgerechte Haltung das wichtigste Kriterium ist für das Wohlergehen des domestizierten Pferdes. Sie übernahm 2007 den Christinenhof bei Elsoff im Westerwald und investierte viel Arbeit und Geld in eine nachhaltige artgerechte Anlage, die mit Fug und Recht vorbildlich genannt werden darf. Der Christinenhof erhielt verschiedene Auszeichnungen, die das unterstreichen.
Paschel: Liebe Birgit, wir kennen uns jetzt schon über 25 Jahre als Sportpädagoginnen. Du warst früher umstritten in Deiner Pferdehaltung, weil Deine Pferde rund um die Uhr, Sommer wie Winter, auf der Koppel standen und Du trotzdem sehr erfolgreich im Orientierungsreiten warst.
Das Denken ändert sich zum Glück, aber langsam, nicht wahr?
Schuster: Ja, trotz vieler züchterisch erzeugter Varianten, bleibt das Pferd ein Herden-, Flucht- und Steppentier mit all seinen Bedürfnissen. Daran erinnert man sich anscheinend wieder.
Paschel: Jetzt hast Du einen Hof bei Elsoff im Westerwald, der fünf Sterne von der LAG hat.
Alle Achtung, wie kriegt man fünf Sterne?
Schuster: Die Laufstall-Arbeitsgemeinschaft (LAG) ist ein Verein, der sich zur Aufgabe gemacht hat, die Pferdehaltung in Gruppen, mit ganzjährigen Auslauf, voranzutreiben. Die LAG zeigt die Grundbedürfnisse einer artgerechten Pferdehaltung auf. Der Verein hat einen Bewertungsbogen für die Pferdehaltung entwickelt mit dem er Haltungssysteme bewerten und miteinander vergleichen kann. Der Schwerpunkt der Vereinsarbeit liegt in der Schulung von Inspekteuren und in der Bewertung von Stallanlagen. Vergleichbar mit den Sternen im Hotelgewerbe bedeutet ein Stern, dass die Pferdehaltung auf einem guten Weg ist, fünf Sterne sind dann das Maximum. Wichtig bei der Bewertung ist die räumliche Trennung der verschiedenen Funktionsbereiche. Ruhebereich, Fressplatz, Tränke, Wälzplatz sollen möglichst weit voneinander getrennt sein. Spätestens alle drei Jahre wird der Stall von den Inspekteuren neu kontrolliert. Neben der Bewertung findet auch eine Beratung statt.
Auf dem Christinenhof konnten viele Grundbedürfnisse der Pferde für eine artgerechte Haltung umgesetzt werden, deshalb wurde der Bewegungsstall mit fünf Sternen ausgezeichnet. Trotzdem wird weiterhin an Verbesserungen gearbeitet zum Beispiel: Überwachung der Heuqualität, Grünkompost als Einstreu, Integration von Rehepferden, Barhufverträglichkeit des Auslaufbodens, Umgang mit älteren Pferden, Gewichtskontrolle,… Langweilig wird es also nicht!
Paschel: Hast Du ein Konzept für Dein Futtermanagement?
Schuster: Das ganze Jahr über stehen den Pferden 24 Hektar extensiv bewirtschaftete gräser- und kräuterreiche Wiesen zur Verfügung. Ab Juni, sobald das Gras hoch genug ist und genügend strukturierte Rohfaser bietet, bekommen die Pferde als zusätzliches Ballastfutter statt Heu noch Haferstroh angeboten.
Auch im Winter haben die Pferde rund um die Uhr einen Zugang auf die Wiesen. Dort finden sie dann überständiges Gras, Laub oder verblühte, aber sehr nahrhafte Brennnesseln oder andere Kräuter. Eine natürliche Wiesen-Quelle sorgt auch dort für frisches Wasser.
Das Haferstroh wird ab November wieder durch Heu ersetzt. Die Futterumstellung vom Gras zum Heu findet sehr langsam statt, denn die Pferde können selbstständig wählen, ob sie lieber noch Gras fressen oder schon lieber ans Heu gehen möchten.
Erst Ende Dezember sind sie bei fast 100 Prozent Heu als Grundfutter angelangt. Und im März wächst schon wieder, wenn auch zaghaft, das neue Gras. Ich schätze mal, dass sie im März noch ca. 80 Prozent Heu fressen und schon 20 Prozent Gras. Im April sind sie dann bei mindestens 1:1 angelangt.
Gerade den älteren Pferden bekommt diese lange Zeit, in der sie Gras als Grundfutter erhalten, sehr gut. Das Grünfutter kann von Ihnen deutlich besser verdaut und verwertet werden als Heu, besonders wenn die Zähne nicht mehr so stabil sind.
Das im Winter verfütterte Heu wird auf zusätzlichen sieben Hektar betriebseigenem Grünland erzeugt. So kann eine gute Kontrolle und eventuell eine Beseitigung, vor allem von giftigen Pflanzen, wie etwa dem Jakobskreuzkraut oder der Herbstzeitlose, stattfinden. Diesen Winter war das Heu, laut der letzten Analyse nicht nur von guter Qualität, sondern auch zucker- und fruktanarm. Also bestens für Pferde geeignet.
Die Koppeln bieten das ganze Jahr über neben dem Gras auch noch eine Vielzahl an anderem Schmackhaften. Es gibt Bäume, Sträucher und Sauergräser an den Wasserquellen, die, je nach Jahreszeit, gerne genascht werden.
Das Kraftfutter spielt eher eine untergeordnete Rolle. Die meisten Pferde bekommen lediglich Mineralfutter. Bei uns gibt es dafür eine computergesteuerte Kraftfutteranlage der Firma Schauer. Neben Mineralfutter bieten wir noch ganzen Hafer, Pellets und Öl an. Vor allem im Winter können dann die Pferde sehr individuell versorgt werden. Gerade die älteren Pferde können so gut im Futter gehalten werden. Die Anlage verteilt das Futter bedarfsgerecht auf bis zu 20 Portionen am Tag. Zusätzlich gibt es an der Kraftfutterstation ein Selektionstor. Damit kann einzelnen Pferden der Weidezugang limitiert werden.
Beim Betreten des Standes wird das Pferd durch einen Transponder identifiziert. Mittels der eingegebenen individuellen Daten ermittelt der Computer die Futtermischung und die Futtermenge.
Paschel: Als ich Dich auf Deinem Hof besucht habe, ist mir aufgefallen, dass Deine Pferde total entspannt sind. Sie leben in der Herde, also Wallache und Stuten zusammen. Wie geht das?
Schuster: Ich denke, dass genügend Platz und ein uneingeschränktes Futterangebot das Wichtigste sind damit sich Pferde wohl fühlen. Eine genügend große Gruppe, damit jeder seinen besten Freund finden kann und ausreichender Liegeplatz bzw. Platz zum Unterstellen, tragen sicherlich auch zu einer guten Stimmung bei. Mit der gemischten Gruppe von Wallachen und Stuten habe ich gute Erfahrungen gemacht. Selten gibt es mal einen Wallach der sich nicht integrieren lässt, weil er zu „hengstig“ ist oder die Benimmregeln nicht kennt. Dieses Pferd muss sich dann einen anderen Stall suchen.
Paschel: Hengste hast Du also nicht?
Schuster: Auf dem Christinenhof gibt es nur eine gemischte Gruppe von ca. 25 Pferden. Weitere Gruppen oder Einzelboxen gibt es nicht. Deshalb ist eine Hengsthaltung nicht möglich.
Paschel: In Pfaffenwiesbach im Taunus, wo Du früher mit deinen Pferden lebtest und wir zusammen ausgeritten sind, waren die Wege oft geschottert mit Basalt. Damals war es einleuchtend für mich, dass man Hufeisen als Schutz verwendet. Ich habe im Gelände, wenn möglich, Wiesenwege bevorzugt. Heute reite ich absichtlich in Abhängigkeit vom Hufwachstum asphaltierte Wege, um den Abrieb des Hufes zu forcieren.
Mit der richtigen Hufbehandlung und genügend Anpassung halte ich Hufeisen mittlerweile für überflüssig. Wenn ich umstelle von Eisen auf Barhuf, brauche ich nach meiner Erfahrung unter Umständen ein halbes Jahr und länger?
Schuster: Ich denke, dass in manchen Fällen ein Hufschutz für eine beschränkte Zeit sinnvoll sein kann. Beispielsweise bei Verletzungen, unangepassten Haltungsbedingungen oder deutlich erhöhter Belastung bei einem Haltungswechsel, zum Beispiel aus einer Box in eine Gruppenhaltung oder wenn aus den gemütlichen Ausritten in bekannter Umgebung und mit bekannten (guten) Wegen mal ein längerer Wanderritt werden soll.
Will man nun sein Pferd barhufig laufenlassen, muss man auch die Haltungsbedingungen für einen gesunden Barhuf schaffen. Wer regelmäßig ins Gelände geht kommt an Schotterwegen nicht mehr vorbei. Je mehr und je länger beim Ausritt Schotterwege benutzt werden, desto mehr muss sich das Pferd auch im Auslauf auf solchem Untergrund bewegen. Die Bedingungen in vielen Offenställen mit Koppelgang sehen meist anders aus.
Die Hufexpertin Frau Dr. Strasser sagte schon in den 1990er Jahren „wer seinem Pferd keinen freien Auslauf bieten kann, sollte eben kein Pferd halten“.
Was bedeutet das nun? Wenn man nicht viele Pferde abschaffen möchte, weil sie mit den heutigen Haltungsbedingungen barhufig nicht zurechtkommen, dann muss man zuerst die Haltungsbedingungen ändern, um sie im nächsten Schritt von den Eisen zu befreien.
Paschel: Das ist ein logischer Schluss! Ein erster Schritt wäre, die Boxenhaltung abzuschaffen. Frau Strasser ist da sehr konsequent, die Hufe von Boxenpferden behandelt sie nicht, „weil man bei Pferden in Boxen die Hufsituation nicht verändern kann“.
Birgit Schuster: Ein zweiter Schritt wäre dann, die Haltungs- und Trainingsbedingungen so zu gestalten, dass das Pferd angepasst wird, auf hartem Untergrund und zuweilen auch Schotter zu laufen.
Auf dem Christinenhof müssen die Pferde auf unterschiedlichen Böden laufen. Es gibt Bereiche mit Pflastersteinen, Beton, Schotter, Lava, Sand, Geröll auf einer Wiese und natürlich auch Wiesenboden. Die harten und unnachgiebigen Untergründe sind in meinen Augen entscheidend für ein gesundes Hufwachstum. Daneben nützt es aber auch nur wenig, wenn die Pferde sich auf diesen Böden die Beine in den Bauch stehen, zum Beispiel vor der Heuraufe. Sie müssen sich auch auf dem unterschiedlichen Boden bewegen. Um herauszufinden wieviel Kilometer die Pferde laufen und wo sie am meisten Zeit verbringen, wurde bei uns verschiedenen Pferden zu unterschiedlichen Jahreszeiten ein GPS-Gerät umgehängt. Es kam heraus, dass die Pferde jeden Boden benutzten und zwischen 10 km im Winter und bis zu 16 km im Sommer pro Tag (24 Stunden) zurücklegten.
Bewegungsmangel ist bei Pferden heutzutage mehr noch als bei Menschen ein großes gesundheitliches Übel.
Paschel: Da stimme ich Dir natürlich voll zu als Sportlehrer-Kollege. Ich danke Dir sehr herzlich für dieses treffliche Schlusswort.
Weiterführende Informationen unter: http://www.christinenhof-bewegungsstall.de/