Mit einer Ausnahme. Denn während Don Quijote de la Mancha den Herausforderungen der Neuzeit mehr schlecht als recht mit Hilfe seines Gefährten Sancho Pansa Paroli bietet, bleiben ihm doch seine Träume als Rückzugsgebiet. Illusionen, die ihm Erfüllung versprechen, je mehr sich seine Suche nach Liebe und Freundschaft als erfolglos erweist. Genau dies ist der Ansatzpunkt, an dem Choreograf Eugenio Scigliano sein Feuerwerk der überschwänglichen Leidenschaft zünden kann. In einem bunten Kaleidoskop tief empfundener Sinnlichkeit, das die 18 Tänzerinnen und Tänzer der Compagnia Aterballetto in immer neuen Variationen und Formationen in der Vorstellung des alternden Ritters freisetzen.
Kraftvolle Leichtfüßigkeit
Unglaublich, mit welcher kraftvollen Leichtfüßigkeit sie die Gefühlswelt des tragischen Antihelden in eine gleichsam schwerelose Traumlandschaft verwandeln. In einen von der tristen Alltäglichkeit abgehobenen Kosmos der Illusionen, in dem – wie sollte es anders sein – noch genügend Raum ist für eine Begegnung mit „seiner“ von ihm stets hoch verehrten Dulcinea. Diesmal bei gitarrenzarten Klängen klassischer spanischer Musik, im Unterschied zu den sonst eher wuchtigen elektronischen Effekten des finnischen Komponisten Kimmo Pohjonen.
Besonders bemerkenswert, dass Scigliano allen Tänzerinnen und Tänzern der Compagnia solistische Rollen zuweist und damit die Einzelauftritte in den Rang choreografischer Kabinettstücke erhebt. Von den asketisch dreinschauenden Kapuzenmönchen über die in burleskem Überschwang auftretende Landbevölkerung bis hin zu den erotischen Flamenco-Passagen der Huren und Zuhälter. Eine zauberhafte Kulisse nicht nur für die Vorstellungswelt des gealterten Don Q.
Humorvolle Leichtigkeit
Den zweiten Höhepunkt des Abends bildet ein choreografisches Meisterstück von Mauro Bigonzetti, einst langjähriger Leiter der Compagnia und nun deren Chefchoreograf. Ebenso überschwänglich und spritzig wie „Don Q.“, orientiert sich sein Stück „Rossini Cards“ jedoch nicht an einer Rahmenhandlung. Vielmehr macht sich das Werk zur Aufgabe, dem Wesen der Musik Rossinis in ihrer humorvollen Leichtigkeit Tribut zu zollen.
Wenn beispielsweise eine skurril anmutende Tischgesellschaft an einer langen Festtafel dem Gourmet Rossini mit ruckartigen synchronen Bewegungen ihre choreografisch-kulinarische Reverenz erweist. Oder ein Liebespaar mit seinen beiderseitigen Verführungskünsten in nicht zu überbietenden körperlicher Leidenschaft einen wahren Triumph der Sinnlichkeit zelebriert. Diesmal zu den Klängen von einschmeichelnder Rossini-Klaviermusik, einfühlsam vorgetragen von Bruno Moretti.
Entsetzensschreie und Jubel
Den humoristischen Höhepunkt seiner musikalischen Rossini-Collage setzt Chefchoreograf Bigonzetti jedoch mit der abschließenden Ouvertüre zu Rossinis Oper „Die diebische Elster“. Ein urkomisches choreografisches Finale mit schwarzweiß gekleideten Vogelwesen, die in wildem Ungestüm den Bühnenraum erobern und dabei eine tänzerische Einheit bilden mit der schwungvollen musikalischen Vorgabe.
Um dann schließlich ein jeder auf seine Weise in den Orchestergraben hinabzustürzen – bis auf einen von ihnen, der bereits zu Beginn durch seinen überraschenden Absturz das Publikum zu Entsetzensschreien veranlasst hatte. Nun jedoch ist es der vorbehaltlose Jubel, der bei Standing Ovations dem Tänzerinnen und Tänzern entgegen brandet. In der Tat: ein furioser Tanzabend!
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Der Tanzabend der Oper Bonn fand statt im Rahmen der Reihe „Highlights des Internationalen Tanzes“.