Er spielt geradezu damit, mit den Möglichkeiten der flachen Abbildung der Fotografie wortwörtlich Tiefe und das heißt in der Wahrnehmung eine Dreidimensionalität zu suggerieren. Dazu gleich mehr. Denn der Ausstellungsrundgang beginnt in den, der großen Halle vorgelagerten kleineren Räumen, die geradezu klaustrophobische Wirkung entfalten, was etwas Intimes hat, und die sich am anderen Ende der Halle wiederholen. Hier betreten wir einen Medienraum, denn uns blinken Videos ebenso an wie uns der breite Tisch anzieht, auf dem die Bücher von und über Ruff liegen, in denen man stöbern oder den Einführungstext an der Wand lesen kann. In dem wird sein Herkommen aus der Becherschule thematisiert. Das waren Hilla und Bernd Becher, die an der Düsseldorfer Akademie lehrten und deren gewissermaßen strenge Fotoserien in Schwarz-Weiß über Industriebauten und ihre Zerbröckelung in der modernen Landschaft das Selbstbild der Bundesrepublik im Kern trafen und die in ihren Klassen diejenigen unterrichteten, die ihre Arbeit differenziert fortsetzten: Candida Höfer, Andreas Gursky, Thomas Struth und eben auch neben anderen Thomas Ruff.
So ist ihm als fotografisches Ausdrucksmittel die Serie geblieben, die er – und dahin weist der erste niedere Ausstellungsraum – mit den Interieurs begann, indem er die privaten und unspektakulären Räume seiner Freunde und Familie in Ausschnitten fotografierte, kleine Bilder auf 20,5 x 27,5 Zentimeter, aber in Farbe, was für Becherschüler etwas Neues war. Karg sind sie diese einem kleinbürgerlich vorkommenden Küchen- und Wohnzimmerecken, diese Flurgarderobe und Badezimmer, die einem viel eher an die Fünfziger Jahre erinnern als an die 70er, vielleicht weil die Einrichtung damals erstanden wurde?
Im Nebenraum dann Industriebauten, großformatig und von einer kühlen Häßlichkeit oder besser: Gesichtslosigkeit, die in den Achtziger Jahren geradezu erschreckend im Verhältnis zur Innovationsfähigkeit sind, für die diese Firmen stehen möchten. Auf der räumlich anderen Seite zeigen dann die fotografierten Architekturen der Basler Herzog & de Meuron ab 1990, wie man mit Oberfläche verkleiden und auch mit Licht gestalten kann. An deren Gebäude der Eberswalder Bibliothek hat Ruff die Außenfassade gestaltet, indem er Zeitungsfotos sequentiell anordnet und somit einen Friescharakter schafft, der von der Optik und vom Viereckigen des Gebäudes her an mexikanische Bauten der alten Kulturen denken läßt. Die von ihm ausgewählten Bilderwelten sind Teil unseres kulturellen Gedächtnisses, das hier visualisiert nach außen gekehrt wird.
Diese Ausstellung ist keine Retrospektive im klassischen Sinn, sie schlägt eher einen sichtbaren Weg durch das Dickicht der vielen Ansätze, die Thomas Ruff beschreitet. Denn, daß er ein Suchender ist, das wird bei den so unterschiedlichen Serien mit unterschiedlichen Inhalten und erst recht verschiedenartigen Verfahren im Blick deutlich. So hat er sein Leben lang selbst Zeitungsbilder gesammelt und eine Auswahl davon seit 1991 verarbeitet, indem er sie abfotografierte und auf 400 Prozent vergrößerte. Es sind Porträts, uns meist aus der Politik und Zeitgeschichte bekannte Personen zeigen, die durch das Raster der Zeitung und erneut fotografiert und auf Zeitungspapier von Ruff gedruckt, eine Unwirklichkeit erhalten. Bei den Bildern der Baader-Meinhof-Gruppe kommt einen unwillkürlich Richter mit seiner Malserie in den Sinn.
Porträts sind es dann auch, die Thomas Ruff Ende der Achtziger Jahre bekannt machen. Allein die Monumentalität auf 210 x 165 Zentimeter und die frontale Ausrichtung dieser Gesichter, wo einen diese überdimensionierten Köpfe in unsere im Verhältnis so kleinen Augen blicken, ist es, die verbunden mit relativer Ausdrucksleere, etwas Unwirkliches bei gleichzeitiger extremer Wirklichkeit der Buntfotografie schaffen und der auch das Porträt von S. Weirauch zugehört, das als Betitelung überall, nur nicht auf dem Katalog, gewählt wurde. Ruff hatte nämlich Freunde und Bekannte als Modelle genommen.
Später, Mitte der 90er Jahre modifizierte er diese Porträts und ging wohl damit auch auf die geäußerte Kritik an der Seelenlosigkeit seiner Porträts ein. Er überlagerte in Schwarzweiß seine Bilder, indem er mal Mann, mal Frau, mal zwei Frauen etc. übereinander ablichtete, was bei der Größe von 51,5 x 38,7 Zentimeter und dicht an dicht gehängt diesen Fotografien etwas Unheimliches gibt, denn es blicken einen mehrere Wesen aus den Fotos an, die individuelle Identität ist verwischt, das spürt jeder Betrachter, auch wenn er von dem technischen Vorgang nichts weiß, den er aber am Wandtext nachvollziehen kann.
Unser persönlicher Favorit in dieser Ausstellung wurde eine Spielerei von Thomas Ruff, in der er fotografische Mittel der Vergangenheit neu belebt: der Stereofotografie, die wir mit den Spezialbrillen als 3 D-Verfahren kennen. Hier hat er Kästen gebaut, in denen schräge Spiegel die speziell aufgenommenen Buntfotografien, beispielsweise der Alpen, die rechts und links sichtbar sind, in unseren Augen, gehen wir dicht an die Mitte des Kastens heran und nehmen Nasenfühlung auf, zusammenbündeln und uns eine räumliche Alpenlandschaft suggerieren, die unten, wo wir sie sehen, überhaupt nicht vorhanden ist, sondern nur als Spiegelung unsere Augen täuscht. Das ist toll und wird an verschiedenen Gegenständen in sechs Kästen unten und zweien oben durchexerziert. Und so sind wir auch endlich bei der Tiefe des Oberflächenfotografen Thomas Ruff angelangt.
Denn die große Halle ist dann voll der großformatigen neuen Arbeiten, die zwei Quellen hat. Satellitenaufnahmen der Archive von NASA, Cassini genannt, wo Aufnahmen des Saturn und seiner Monde Grundlage sind, die Ruff 2008 bearbeitete und die der Eso, die er um 1990 zum verdichteten Sternenhimmel aufblähte, den kein Auge je gesehen hat, der aber mit den modernen Methoden herholbar ist. Ein Gefühl von Unendlichkeit beschleicht einen dann schon und eines der Tiefe des Weltraumes auch. Die zweite Gruppe – im absolutem ästhetischen Gegensatz – nennt sich Zycles, ab 2008, und sind vom Elektromagnetismus des 19. Jahrhunderts beeinflußt. Hier läßt Ruff ein Computerprogramm ablaufen, das nach mathematischen Berechnungen ein grafisches Liniengewirr auf die Fläche wirft, das unsere Augen durch Farbschlieren und Windungen als ein räumliches Gebilde sehen, obwohl es nur eine flache und sehr große Fotografie ist. Bei dem Interesse für die Mittel der Vergangenheit und der Neugier, die die Arbeiten des Thomas Ruff bestimmt, kann man sicher noch weitere räumliche Überraschungen, also Tiefe erwarten, wo er selbst doch nur die Oberfläche abbildet. Schließlich ist Thomas Ruff erst 51 Jahre.
Trotz des schönen Schlußsatzes müssen wir etwas ergänzen. Denn wir vergaßen die Nachtbilder zu erwähnen, die in dieser Ausstellung den Surrealismus einziehen lassen. Da sind wahrscheinlich völlig harmlose Häuseraufnahmen durch die grünstichige Nachtgesichtigkeit zu etwas Unheimlichem geworden. Die Bilder wirken auch eher als gemalt, denn fotografiert. Und das eine, Nacht 8 I von 1992, sieht aus wie ein Abbruchhaus, was mit den Mitteln der Malerei für die Nachwelt geborgen wird, wenn es am nächsten Tag eliminiert wird. Also hat die Fotografie auch ihre Funktion des Bewahrenden hier doppelt erfüllt.
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Ausstellung:
bis 13. September 2009 in der Kunsthalle in Wien.
Katalog:
Thomas Ruff, Oberflächen, Tiefen, hrsg. von Kunsthalle wien, Gerald Matt, Texte Catherine Hg u.a. zweisprachig in Deutsch und Englisch, Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2009
Zwar bleibt der Katalog ein wirklicher Ausstellungskatalog, geriert durch die phantasievolle Gestaltung von Jonathan Hares & Cornel Windlin gleichzeitig zum Ableger der künstlerischen Methoden von Thomas Ruff, der für eine Fotoserie auf Zeitungspapier und Zeitungsdruck zurückgriff. So auch hier. Die Blätter sind viel dünner und man mußte oft beim Weiterblättern erst ein Blatt vom anderen lösen, das durch die Perforierung noch verbunden war. Das nichtweiße Papier ergibt auch beim Abdruck der Fotos eine andere, eine sanftere Wirkung, als wenn die Fotografien an der weißen Wand der Kunsthalle hängen. Die besondere Gestaltung macht dieses Buch auch in den Händen des Betrachters zu etwas Besonderem.
Reiseliteratur:
Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch
Tipp:
Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.
Anreise:
Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.
Aufenthalt:
Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien). Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.
Mit freundlicher Unterstützung von Air Berlin, dem Wien Tourismus, der Wiener Festwochen und diverser Museen und den Hilton Hotels Wien.