Jedes dieser Instrumente hat eine tragische und spannende Geschichte. Hinzu kommen Geigen von Musikern des Israel Philharmonic Orchestra, das von Bronislaw Huberman 1936 gegründet wurde. Er gewann in Deutschland verbliebene Musiker für sein Orchester, was für sie zugleich Sicherheit vor dem Zugriff der Nazis bedeutete. Dann kam der Schock, als sie von der Ermordung der Juden in den Vernichtungslagern erfuhren. Ihre spontane Reaktion: sie wollten keine deutsche Musik, ja nicht einmal mehr Instrumente spielen, die in Deutschland hergestellt waren. Diese Geigen verkauften sie an Weinstein, der sie aufbewahrte und restaurierte. Es sind gewissermaßen die Waisen unter den Instrumenten mit dem wunderbaren Klang.
Aus diesen Geigen trafen Braunstein und Weinstein eine Auswahl von 16 Geigen, darunter 10 Geigen, welche die Berliner Philharmoniker zum Gedenken an die Opfer der Shoah spielen wollten und spielten. Für die Musiker, ein jeder ein Meister seines Fachs, war nicht entscheidend, ob die Geigen gut oder schlecht waren, sondern dass sie diese quasi als Überlebende des großen Verbrechens wieder zum Klingen brachten – symbolisch für die Seelen der Ermordeten.
Guy Braunstein, Daniel Stabrawa, Alessandro Cappone, Christophe Horak, Mate Szücs, Ludwig Quandt, Peter Riegelbauer und der israelische Cellist Zvi Plesser als Gast sowie weitere Mitglieder des Orchesters gaben ein bewegendes Konzert mit Werken von Gustav Mahler, Joseph Achron, Max Bruch, Johann Sebastian Bach, Samuel Adler und Ludwig van Beethoven. Die Krönung war die Uraufführung der Komposition »Violins of Hope« für Solo-Violine, Solo-Violoncello und Streicher von Ohad Ben-Ari. Das sechssätzige Werk spannt einen Bogen von Kriegsgräueln und Vernichtung über Trauer bis zur Hoffnung.
»Violinen der Hoffnung» nennt sich auch die Ausstellung, die die Berliner Philharmoniker im Foyer des Kammermusiksaals zeigen. Den Grundstock der Exposition bilden die 16 Geigen aus der Sammlung Amnon Weinstein mit ihren unglaublichen »Biographien«. Hinzu kommen Kleinodien wie die Jugendgeige Albert Einsteins aus dem Berliner Musikinstrumentenmuseum, eine Geige des Pädagogen Max Rostal aus der Universität der Künste und eine 16 Zentimeter lange Miniaturgeige des Pariser Geigenbauers Jacques Hakkert, mitgebracht von seinem Enkel Uri Kupferschmidt aus Haifa.
Der Kurator Albrecht Dümling, bekannt durch seine spektakuläre Ausstellung »Das verdächtige Saxophon« trug höchst interessante Geschichten zusammen – von Geigen, Geigern und Geigenbauern. Eine »Abteilung« ist den jüdischen Konzertmeistern des Berliner Philharmonischen Orchesters gewidmet: Tossi Spivakowsky (1926-1927), Szymon Goldberg (1930-1934), Michel Schwalbé (1957-1986), Leon Spierer (1963-1993), Kolja Blacher (1993-1999) und Guy Braunstein (2000-2013). Die dramatischste Biographie hat Szymon Goldberg, der von den Nazis vertrieben, von der japanischen Armee von 1942 bis 1945 interniert war und der nach der Befreiung eine große Karriere als Virtuose, Pädagoge und Orchesterleiter durchlief, aber vom Berliner Philharmonischen Orchester unter Herbert von Karajan nicht wieder eingestellt wurde.
»Wenn man von den Opfern der Nazis spricht, darf man von den Tätern und den Profiteuren nicht schweigen», sagt Roman Scoblo, Präsident des Verbands Jüdischer Ärzte. Kunstraub war ein besonders perfides kriminelles Betätigungsfeld der Hitler, Göring und Co. Neben Millionen Gemälden, Plastiken, Graphiken, Büchern und Autographen sowie kunsthandwerklichen Gegenständen plünderten, stahlen und requirierten die Nazis zehntausende Flügel, Klaviere, Cembali, Geigen, Celli und andere Instrumente. Die Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust (1998) forderte Maßnahmen zur Suche und Rückgabe geraubter Kunstwerke. Noch tun sich deutsche Museen schwer, Raubkunst zu identifizieren und zu restituieren. Den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gelang es ohne weiteres, 5 100 Kunstwerke an die 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone enteigneten Wettiner zur Wiedergutmachung von »DDR-Unrecht« zurückzugeben. Aus jüdischem Kunstbesitz wurden 410 Werke restituiert. Weitgehend unaufgeklärt, von der Jewish Claims Conference mißtrauisch hinterfragt, ist auch die »Leihgabe« wertvoller Geigen, die Mitglieder des Berliner Philharmonischen Orchesters auf Geheiß Hitlers »oft aus einem großen Fundus wählen konnten«, wie Misha Aster in seinem Buch »Das Reichsorchester« (2007) berichtet. Die heutige Musikergeneration hat mit jener Zeit nichts mehr gemein, doch bleibt die Aufklärung von Kunstraub eine Sache ohne Verjährung.
Nicht weniger unter die Haut als die Werke im Kammermusiksaal ging die szenisch-dokumentarische Aktion »Refidim Junction« der israelischen Komponistin Magret Wolf. Das Stück, 2012 im Mainfrankentheater Würzburg uraufgeführt, wurde von den Berliner Symphonikern am Befreiungstag im Kesselhaus der Kulturbrauerei gespielt. Es beruht auf Briefen zweier jüdischer Frauen, der Kauffrau Perl Margulies aus Essen und der Dichterin Marianne Rein aus Würzburg. Sie führen über Jahre leidenschaftliche, quälende Dialoge mit den Briefpartnern und mit dem eigenen Ich, dies verkörpert von Sängerinnen, die die Seele der Figur artikulieren – eine höchst interessante und eindrucksvolle Form. Was sich als Konflikt mit dem Ehemann oder dem Freunde (manchmal künstlich) aufbaut, wird unlösbar durch die Entrechtung und Isolierung der Juden in Deutschland. Aus der Unterdrückung durch den Nazistaat gibt es fast kein Entrinnen. Marianne wird nach Riga deportiert und ermordet. Perl erkämpft ein Visum nach England. Magret Wolfs Musik steigert die Erzählung ins Unerträgliche. Eine visuelle Steigerung erzeugen die an die Wand projizierten Nazigesetze und -vorschriften gegen die Juden, deren von 1933 bis 1945 2 000 erlassen wurden. Auf die Juden einschlagen durfte jeder, der wollte. Die Behörden übertrumpften einander in Schikanen und Repressalien. Das Reichssicherheitshauptamt als Sicherheitsbehörde zum Beispiel konfiszierte Schreibmaschinen und Fahrräder oder entzog den Juden Steuerermäßigungen – nicht etwa das Finanzministerium.
Mit den Schauspielerinnen Charlotte Sieglin und Britta Scheerer sowie Katja Beer, Sopran, und Judith Beifuß, Mezzosopran, fanden Kai Christian Moritz (Regie) und Ulrich Pakusch (musikalische Leitung) eine vollendete Besetzung. Die Berliner Symphoniker, mehr in klassischer Sinfonik geübt, spielen Wolfs Musik subtil und präzise. Die Geschichte ist so schlimm, dass das Spielen nach Meinung der Musiker gar keinen Spaß machen kann. Das Stück wird als nächstes auf dem Jerusalem Festival im Mai von den Berliner Symphonikern aufgeführt. In Deutschland hat sich noch kein weiteres Theater gefunden.
Hingegen erfreute sich das Konzert der Berliner Philharmoniker des Patronats von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. In Anwesenheit des israelischen Botschafters Yakov Hadas-Handelsman und hochbetagter Holocaust-Überlebender eröffnete er die Veranstaltung. Im Gegensatz zu anderen Rednern dieser Tage vergaß Steinmeier nicht die Befreiung des Lagers durch die Rote Armee und schlug sodann den Bogen zur Aufnahme diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel vor 50 Jahren. Zwischen beiden Ländern sei eine »wunder«-bare Freundschaft entstanden. Die Violins of Hope mahnen »Nie wieder! Nie wieder dürfen wir zulassen, dass jüdische Mitbürger sich in unserem Land bedroht fühlen müssen. Und nie wieder dürfen wir zulassen, dass andere den Boden bereiten für neuen Antisemitismus und Ausländerhass.« Zu vermissen war in der Rede des Außenministers der Aufruf zu Frieden, Entspannung und Völkerverständigung, zum Gewaltverzicht in den internationalen Beziehungen. Wie unerfüllt ist doch der Schwur von Buchenwald: »Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.«
Violinen der Hoffnung, bis 22. Februar im Foyer des Kammermusiksaals, Montag bis Freitag 15-18 Uhr, Sonnabend und Sonntag 11-14 Uhr.