Still und dramatisch schrill zugleich – Serie: „Hans Holbein d. Ä.: Die Graue Passion in ihrer Zeit“ als Landesausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart (Teil 2/2)

Hans Holbein d.Ä. (um 1465 – 1524),

Wir meinen – und das ist die einzige ’Kritik` -, daß man dies deutlicher durch eine Zäsur der Innentafeln hätte sichtbar machen können. Der Religionssichere, der Gläubige und der kunsthistorisch Bewanderte weiß das eh, und der, den wir gerne den kunstinteressierten Laien nennen, die Masse der Besucher, die erkennen dies dann, wenn sie an der rechten Seite eine Kleindarstellung des Altars an der Wand sehen oder auch die große geschnitzte Kreuzigungsgruppe, die zwar nicht ursprünglich zum Holbeinaltar gehörte, die einem aber ein sinnliches Beispiel dafür gibt, wie man sich das vorzustellen habe, mit den Flügeln und dem Schrein im Inneren. Vielleicht am bekanntesten beim Isenheimer Altar des Grünewald.

Wir folgen aber erst noch der Passion, wie sich Pilatus die Hände wäscht, die Kreuztragung, in der Rast, wobei man den Hannas sieht, wie er sich umblickt, und mit dem behandschuhten Finger auf Christus deutet. Tatsächlich ist in jedem Bild eine ganze Geschichte versteckt, und wenn wir uns auf die Passion bei dieser umfassenden und faszinierenden Ausstellung beschränken wollten, ist das schon viel zu viel, denn jede der zwölf einzelnen Stationen ist ein Kosmos für sich, wo man über die Gesichter genauso räsonieren kann wie über die Kleidung, zeitnah oder historisch angenommen, die Waffen, das Rüstzeug, die Kopfbedeckungen, die Grimassen.

Fehlt etwas? Das kommt darauf an. Seit wann kommt die Veronika ins Bild mit ihrem Veronikatuch mit und ohne Dornenkrone? Für Hans Holbeins Graue Passion sind Frauen bis zur Kreuzigung nicht vorgesehen. Die Christuskreuzigung also ein Mord unter Männern. Sicher. Und das gilt erst recht, wenn dann in den zwei Tafeln, die die Menschlichkeit betonen, wie nämlich Joseph von Arimathäa und Nikodemus liebevoll und besorgt den Leichnam vom Kreuz mittels Leiter herunterholen, während die Maria, die Mutter Gottes den Sohn unter dem linken Arm mit ihrer linken Hand hält und rechts seine herabhängende Hand faßt. Hinter ihr Johannes und links davon zwei weitere Frauen, wobei die eine Maria Magdalena mit dem Salbgefäß und die andere wohl eine der drei Marien ist.

Die nämlichen Frauen gibt es dann auch in der Grablegung, wo wir aber auf einmal stutzen, denn im vorherigen Bild hatten alle drei Frauen den stilisierten Heiligenschein, aber bei der Grablegung muß die linke Frau darauf verzichten, erschrecken wir, entdecken aber sofort, daß es ’nur` Helfer Joseph ist, der links wie eine Frau gekleidet steht, derjenige, der seine eigene Grabstätte für den Herrn zur Verfügung stellt, aus der er auf der letzten Tafel als Gottessohn und Herrscher aufersteht.

Auf die wunderbaren Vergleichsbeispiele jetzt in der Darstellung zu verzichten, darunter wieder einmal vereint die beiden Grünewaldtafeln aus Frankfurt mit den zweien aus Karlsruhe, darauf also zu verzichten, auf Dürer, auf Schongauer, auf van Eyck und die anderen, tut zwar weh, muß aber sein und sollte der letzte Anstoß sein, sich bis zum März des nächsten Jahres auf nach Stuttgart zu machen, denn da sehen Sie wirklich im Bild vom Toten Christus die Lebensauffassung einer Zeit. Hier dargeboten von Hans Holbein d.Ä., der sicher nach dieser Ausstellung ein höheres künstlerisches Renommee erlangt, wie Sie als Betrachter auch.

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Info:

Ausstellung bis 20. März 2011

Katalog: Hans Holbein D.Ä., Die Graue Passion in ihrer Zeit, hrsg. von Elsbeth Wiemann, Verlag HatjeCantz 2010

Wie verhält es sich mit dem Vergleich von Ausstellung und Katalog? Zwar lassen sie sich im eigentlichen nicht vergleichen, denn Anschauung, das Anschauen von Originalen im Museum läuft auf einer anderen ästhetischen Schiene ab und findet in anderen Gehirnregionen statt als das Lesen und Betrachten von Bildern in Katalogen. Und dennoch hat man immer wieder das Gefühl, hier bessert der Katalog, der ja auf Erläuterungen und das Durchdringen der Kunst mit Kennerschaft angelegt ist, eine Ausstellung auf und immer wieder passiert es auch, daß man erst durch den Katalog mitbekommen hat, welche Kleinodien sich in Allerweltsausstellungen verbergen. Dieses dicke, umfangreiche und schöngedruckte Begleitbuch zur Hans Holbein Ausstellung, von dem möchten wir sagen: Es ist genauso gut wie die Ausstellung und das ist viel!

Es beginnt mit einer Einführung in das Leben und das Werk des älteren Hans Holbein, dem sein Zweitgeborener Hans d.J. die Schau gestohlen hat, so wie sein Bruder Sigmund nie an den Bruder Hans d.Ä. herankam, ja ihn gerichtlich zwingen mußte, ihm die Hilfsdienste zu bezahlen. Unsereiner wäre froh, er könnte so malen wie dieser Sigmund und auch des Jüngeren Bruder Ambrosius gefällt. Letztlich kennt man aber als Maler und als Mensch nur Hans Holbein d.J., nicht nur weil er die Großen der Zeit porträtierte, mit denen er befreundet war, also nicht nur Maler war, sondern als Renaissancemensch politisch-gesellschaftlich mitten im Lebenstand. Hier nun erfährt man, daß nicht mal das Geburtsdatum von Hand d.Ä. bekannt ist und immerhin die Spanne von 1460-70 umfaßt, was eben auch bedeutet, vor oder schon in Augsburg geboren, was Lebensmittelpunkt wird. Aber was Frühwerk, was Meisterschaft, was Spätwerk, was von ihm eigenhändig, von der Werkstatt, die er umfangreich besaß, von den Söhnen, was vom Bruder gemalt wurde, davon wissen wir wenig und auch das beliebte Rätseln der Händescheidung, wer also den Pinsel oder den Stift führte, führt dann nicht weiter, wenn es eben nicht um Originalität und den eigenen Strich, sondern um die perfekte Imitation einer gemeinsamen Linie geht.

Erstaunlich dann auch Gegenüberstellungen mit Rogier van der Weyden auf Seite 18/19, wo man sofort die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede in den Porträts sieht. Dabei ist das nur der Anfang, denn der Katalog hat natürlich die Graue Passion zum Hauptinhalt. Alles, was Sie wissen wollen, eben auch die aufwendige Restaurierung wird erläutert und der eigentliche Katalog, der auf Seite 163 beginnt, zeigt bis S. 427 fast immer in Ganzseitenabdrucken die vielen Vergleichsbeispiele, die in der Ausstellung glänzen. Hier werden sie auch für den Laien oder den halben Kunstkenner zusätzlich durch die Worte in den Kontext der Ausstellung gebracht.

Kunst zum Hören: Hans Holbein d.Ä., Die Graue Passion, HatjeCantz Verlag 2010

Wir mögen diese Reihe, die einem mit dem Bild vor Augen im Ohr das Geschaute erläutert, sowieso. Weil nicht nur die Gehirnforschung sagt, das doppelt besser hält, sondern weil der kunsthistorische Blick eben Dinge sieht, die man mit ungeschultem Auge leicht übersieht oder deren Bedeutung man nicht erkennt. Aber diesmal hat sich der Verlag selbst übertroffen. Das ist eine besonders gelungene Fassung, was vielleicht auch daran liegt, daß die Thematik der Passion trotz der vielen Vergleichsbeispiele eine gemeinsame bleibt und von daher die CD mit ihren 23 Hörbeispielen, die auf 39 Seiten zu sehen sind, eine abgerundete Komposition ergeben. Es muß nicht an den ersten Bildern, das sind eben die Passion, aller erläutert und erklärt werden, sondern vieles, was auch für die Passion gilt, kommt dann erst bei Schongauer, Dürer oder Einzeldarstellungen aus der Passion dran. Sehr gelungen und sehr zu empfehlen.

www.staatsgalerie.de

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