Sparen – wozu eigentlich?

Nun hat auch Deutschland sein Sparpaket. 80 Milliarden Euro sollen bis 2014 eingespart werden. Gespart wird vor allem bei Sozialausgaben: Hartz-IV-Empfängern sollen das Elterngeld und der aus Steuergeldern bezahlte Rentenversicherungsbeitrag gestrichen werden. Der Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger fällt weg. Arbeitslose verlieren die für zwei Jahre gezahlten Zuschläge beim Übergang vom Arbeitslosengeld I ins Arbeitslosengeld II. „Wer arbeitslos ist oder wird, fällt schneller auf Hartz IV-Niveau, bekommt kein Elterngeld mehr und verliert weitere Rentenansprüche”, fasst Verdi die massiven Kürzungen im Sozialbereich von mehr als 30 Milliarden Euro zusammen.(1) Die Arbeitslosenversicherung soll künftig ohne Darlehen und Zuschüsse auskommen, so dass eine Erhöhung des Beitragssatzes wahrscheinlich wird. Bundesbeamte sollen 2011 auf Weihnachtsgeld verzichten. Zudem sollen hier bis 2014 bis zu 15.000 Stellen gestrichen werden. „Die bisher gemachten konkreten Vorschläge betreffen nur die unteren Einkommen." (2)

Das deutsche Sparprogramm folgt den Spuren anderer Länder. Beispielsweise hatten schon zuvor die Regierungen u. a. von Griechenland, Spanien, Portugal, Irland, Rumänien und Großbritanniens ihr Volk auf „Jahrzehnte des Leidens” eingestimmt. Die Sparvorschläge ähneln sich nicht nur in dem Ziel, die Neuverschuldung drastisch abzubauen, sondern auch in der Art und Weise, wie gespart wird. Drei Punkte stehen im Vordergrund:

  • Senkung der Staatsausgaben durch Kürzung indirekter Löhne (Sozialausgaben).

  • Erhöhung der Steuereinnahmen durch Heraufsetzung von Massensteuern wie Mehrwertsteuer, Benzinsteuer, Getränkesteuer oder durch Einführung neuer Steuern (z.B. Brennelementsteuer).

  • Maßnahmen zur Verbesserung der internationalen Konkurrenzfähigkeit, um durch Eroberung von Weltmarktanteilen eine beschleunigte Akkumulation, verbunden mit einem höheren Steueraufkommen zu ermöglichen. Dazu zählen Einschränkungen beim Kündigungsschutz, Verlängerung der Lebensarbeitszeit, Verschärfung der Konkurrenz unter den Lohnabhängigen. Die Profitrate des Landes soll durch eine drastische Anhebung der Mehrwertrate steigen.

Es sind diese drei Ansatzpunkte der Sparpolitik, die Gewerkschaften und Linkspolitiker zum Urteil veranlassen, die Sparvorschläge seien „ungerecht” (IG-Metall), sie würden „einseitig die Schwachen belasten”, statt „starke Schultern angemessen zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen” (Frank Bsirske von Verdi), oder es würden jetzt die „Arbeitnehmer, Rentner und Familien für die Zockerei der Banken zur Kasse gebeten” (Klaus Ernst).

Fragen wir tiefer: Wem dienen die Sparprogramme, mit denen „Jahrzehnte des Leidens” verknüpft sein sollen. Warum sollen wir sparen, wenn sich der Staat verschuldet? Sparen – wozu eigentlich?

Das Sparparadox

Die Arbeitsproduktivität nimmt von Jahr zu Jahr zu, etwa um 2%. Also könnte die Gütermasse und mit ihr der Lebensstandard von Jahr zu Jahr steigen. Warum also sparen? Warum „Jahrzehnte des Leidens”, wenn die Arbeitsproduktivität wächst?

Die Krise der zurückliegenden zwei Jahre bestand in einer Überproduktion, also in einem Zuviel an Waren. Produktionskapazitäten wurden stillgelegt, Produkte teilweise mit Staatsunterstützung vernichtet (Abwrackprämien für Autos). Also gerade keinen Mangel, einen Überfluss an Produkten haben wir. Sparen ist güterwirtschaftlich gesehen etwas Widersinniges, eine Paradoxie.

Die Regierung verkauft ihr Sparprogramm mit den Worten: „Auch Deutschland hat in den letzten Jahren über die eigenen Verhältnisse gelebt”.

Genau Umgekehrtes trifft zu: Wir haben nicht über sondern unter unseren Möglichkeiten gelebt. Wir haben den Reichtum, der schon da war, gar nicht nutzen dürfen. Denn die Krise ließ Waren verkommen, die nicht absetzbar waren. Der Reichtum, der möglich gewesen wäre, wurde durch Kapazitätsstilllegungen verhindert.

Selbst wenn sich der Staat verschuldet, hat „Deutschland” noch längst nicht über seine Verhältnisse gelebt. Denn was der Staat gütermäßig verbraucht, muss er immer der laufenden Produktion entnehmen. Ohne Produktion kein Staatsverbrauch. Die Aufteilung des neu produzierten Reichtums zwischen Staat und Gesellschaft setzt den Reichtum als gegebene Größe voraus. Es kann nur das verteilt werden, was schon da ist. Nimmt sich der Staat durch wachsende Neuverschuldung mehr, dann bekommt die Masse der Gesellschaft natürlich weniger. In diesem Fall sind es nicht „wir Deutschen”, die über den Verhältnissen leben, sondern es ist nur der Staat, der durch exzessive Ausgaben die Menschen beschränkt.

Schuldenfetisch

Die Staatsschulden selbst stellen keine Beschränkung dar. Denn ihnen stehen Guthaben in exakt der gleichen Größe gegenüber. Guthaben und Schulden saldiert sich zu Null. Das ist auch der Grund, warum der Staat, wenn er sich verschuldet, niemals auf Kosten künftiger Generationen leben kann. Seine künftigen Zinszahlungen sind zugleich Zinseinnahmen, von denen die künftigen Besitzer der Staatsanleihen profitieren. Die reichen Kinder von heute, die unter anderem die Staatspapiere ihrer Eltern vererbt bekommen, werden als Kuponschneider von der täglichen Arbeit künftiger Lohnabhängigen leben. Das „Generationenargument” ist ein Täuschungsargument. Es soll die Seelen der Elterngenerationen einfangen, um deren Widerstand gegen das Sparen moralisch zu brechen.

Aller Schuldenfetisch verschwindet, sobald man die Sache güterwirtschaftlich betrachtet: Würde man die Schulden beseitigen, dann wären auch die entsprechenden Forderungstitel ungültig, ohne dass die Gesellschaft wirklichen Reichtum verlieren würde. Die vorhandene Gütermenge wäre davon nicht betroffen.

Wäre die Gesellschaft anders organisiert, gäbe es kein Schuldenproblem. Schulden und die dazugehörenden Forderungen dienen weder der unmittelbaren Güterproduktion, noch der Konsumtion. Sie bilden ein notwendiges Element nur, wenn kapitalistisch produziert und verteilt wird. Wenn die Lohnabhängigen und Erwerbslosen mit den Sparprogrammen auf „Jahrzehnte des Leidens” eingestimmt werden, dann geht es allein darum, die kapitalistische Wirtschaftsordnung samt den sie tragenden besitzenden Klassen zu retten.

Bürgerlicher Horror vor dem Staatsbankrott

Das erklärt auch, weshalb die Staaten alles unternehmen, den Staatsbankrott, d. h. die eigene Zahlungsunfähigkeit zu verhindern. Folgendes Risikopotential wäre damit für die kapitalistische Ordnung verbunden:

 Erstens würden die besitzenden Klassen, die über die Staatsschuldtitel Zinsen vom Staat beziehen, ihr Vermögen ersatzlos verlieren. Solche Geldkapitalisten wären in dem Maße verschwunden, wie sie ihr Vermögen in solchen Staatstiteln angelegt hatten.

  • Zweitens würde das Bankensystem zusammenbrechen. Damit wäre der Kredit weitgehend beseitigt. Das Kapital in Industrie und Handel könnte nicht mehr als Kapital fungieren. Es würde in eine Schockstarre fallen. Mit der Vernichtung des Privatkredits hätte sich das Vermögen der Geldkapitalisten vollends aufgelöst. Daraus folgt: Die beiden Klassen des Kapitals hörten während dieser Zeit auf zu wirken.

  • Drittens wäre dem Staat in dieser Schockstarre des Kapitals die ökonomische Grundlage entzogen. Verschulden könnte er sich nicht mehr, weil er durch seinen Bankrott das Vertrauen bei den Kreditgebern vollständig eingebüßt hatte. Steuern bekäme er kaum noch, weil die Wirtschaft stockt. Über seine Beamten, darunter Soldaten, Polizisten, Richter etc., könnte er ohne Bezahlung kaum noch verfügen. Er wäre ebenso gelähmt wie die Kapitalistenklasse.

Die Risiken für die kapitalistische Ordnung reichten bis hin zur vorübergehenden Auflösung kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse. Daher der Horror vor einem Staatsbankrott. Deshalb unternimmt der Staat im Vorfeld alles, um seine eigene Pleite zu verhindern.

Maßnahmen gegen den Staatsbankrott: Verschuldung an den Kapitalmärkten ”¦

Um ihren Staatsbankrott abzuwenden, nahmen die Staaten umfangreiche Kredite an den Kapitalmärkten auf. In dem Maße, wie die Verschuldung wuchs, wuchsen aber auch die Zweifel, ob die Staaten ihre Kredite zurückzahlen können. Seit Herbst 2008, dem Höhepunkt der Krise, wuchs die Angst vor Staatsbankrotten und erreichte im Frühjahr 2009 einen ersten Höhepunkt. Es traf zunächst die schwächsten Staaten, denen die Kreditmärkte weitere Kredite verweigerten. Ungarn fand 2008 kaum noch Käufer für seine Staatsanleihen. Nicht anders erging es Lettland im Oktober 2009, der Ukraine 2009 und Island 2008. Hätten andere, nicht ganz so schuldenkranke Staaten unter Einbeziehung des IWF nicht interveniert, wären die Länder längst Pleite.

Im März/April 2010 schnappte dann die Schuldenfalle in der Eurozone zu und traf zunächst den griechischen Staat, der im April und Mai Anleihen von mehr als 20 Milliarden Euro am Kapitalmarkt refinanzieren musste, das Geld dort aber nicht mehr bekam. Da die hohen Risikoaufschläge für Kredite der anderen „Pigs-Staaten” (eine etwas bösartige Bezeichnung für die bonitätsschwachen Länder Portugal, Irland, Griechenland und Spanien) eine dramatische Ausweitung der Schuldenkrise signalisierten, verabschiedeten die Euro-Länder nach langem Hin und Her ein 750-Milliarden-Euro-Rettungsprogramm für die gefährdeten Staaten.

All die bisherigen Beinahe-Staatsbankrotte sind nur die Spitze eines Eisbergs. Bereits Ende 2009 sah die Ratingagentur Moody’s das Risiko von Zahlungsausfällen wachsen. Die Kreditqualität schwinde. Vor allem die USA und Großbritannien müssten überzeugende Pläne zur Reduzierung der Defizite vorlegen, ansonsten könnten sie bereits 2011 ihre Bonitäts-Bestnoten einbüßen, erklärte der bei Moody’s für die Ländereinstufung verantwortliche Pierre Cailleteau. Die Kapitalmärkte könnten beginnen, „das Undenkbare zu denken” und sich mit der Frage zu beschäftigen, ob erstmals auch „reiche Staaten” an ihrem Schuldendienst scheitern könnten. (3) Dies gilt auch für das besonders hoch verschuldete Japan, nur dass hier infolge der hohen Inlandsverschuldung eine geringere Abhängigkeit von den internationalen Kreditmärkten besteht.

”¦ Politik der Geldfälschung ”¦

Selbst für diese großen Staaten wuchsen die Schwierigkeiten, die Etatlücken und den Refinanzierungsbedarf für fällig werdende Altschulden durch Kreditaufnahmen am Kapitalmarkt zu decken. Es drohten Risikoaufschläge bis hin zu einer Verweigerung der Finanzmärkte, die benötigten Kredite zur Verfügung zu stellen. Um den kritischen Punkt einer sich anbahnenden Pleite hinauszuschieben, warfen die Notenbanken ihre Gelddruckmaschine an, und kauften mit den frisch gedruckten Papierzetteln die Staatsanleihen, die die Finanzmärkte wegen des schwindenden Vertrauens in die Staaten nicht mehr haben wollten. Das Kaufprogramm der amerikanischen Notenbank Fed für US-amerikanische Staatsanleihen belief sich auf 300 Milliarden Dollar, das der Bank von England auf 200 Milliarden Pfund; dies entspricht 25 % der insgesamt ausstehenden britischen Staatsanleihen.

Man muss sich das Ungeheuerliche klar machen: Die Notenbanken drucken Papierzetteln Geldnamen wie Dollar oder Pfund auf, verleihen sie dem Staat, der damit einkaufen geht. Die Papierzettel mussten nicht durch irgendeinen vorangegangenen Warenverkauf verdient werden. Sie sind nicht Zeichen eines wirklichen Warenwerts. Sie werden einfach hergestellt und verfälschen ökonomisch das bislang zirkulierende Geld. Die Notenbanken vollbringen diese Geldfälschung unter den seriös klingenden Decknamen wie „Monetarisierung der Staatsschulden” oder „Quantitative Easing”. (4)

In diese Politik der direkten Geldfälschung ist die EZB auf dem Höhepunkt der Euro-Staatsschuldenkrise Mitte Mai 2010 ebenfalls eingeschwenkt und kauft seither griechische, irländische, spanische und portugiesische Staatsanleihen.

Aber auch diese Politik, die nun von allen drei großen Notenbanken betrieben wird, hat ihre Grenzen. Wird übertrieben, droht ein Vertrauensverlust gegenüber den Notenbanken, der zu Währungsturbulenzen, galoppierender Inflation, Kapitalflucht und zu einem Mangel an Devisenreserven bis hin zu einem Zusammenbruch des Welthandels führen kann. (5)

”¦ und jetzt Sparprogramme

Die Staaten stehen mehr und mehr mit dem Rücken zur Wand. Auf ihnen lasten gewaltige Schuldentürme. Die Schuldenquoten der Industrieländer liegen in 2010 bei gut 97 % des BIP, die Defizitquoten bei mehr als 8 %. Ursache dafür ist die große Wirtschaftskrise, die trotz wirtschaftlicher Erholung noch längst nicht vorbei ist. Sie ist nur in einem neuen Stadium und auf einer anderen Ebene angekommen. Der weltweit schweren Überproduktionskrise in der Bauindustrie und im verarbeitenden Gewerbe folgte die Kredit- und Bankenkrise. Konsequenz davon waren einerseits gigantische Rettungsschirme, die die Staaten über ihre jeweiligen Finanzsektoren spannten, anderseits kostspielige Konjunkturprogramme und Direkthilfen für einzelne Unternehmen und Branchen.

Durch ihre Interventionen stoppten die Staat die einsetzende umfassende Entwertung von wirklichem Kapital in Industrie und Handel und von fiktivem Kapital (Kreditpapiere samt der daraus abgeleiteten Derivate). Auf diese Weise wanderten die Entwertungsrisiken in die Staatsbudgets und in die Bilanzen der Notenbanken. Nun sitzen die Staaten auf schwindelerregenden Schuldenbergen, die mit hohen Defizitquoten rasch wachsen.

Die Staaten, so wie sie sind, können nur auf kapitalistischer Grundlage agieren. Der Sprung hinüber in eine schuldenfreie Güterwirtschaft bleibt ihnen versperrt. Ihre einzige noch verbliebene Chance besteht darin, ihre Überschuldung durch eine gezielte Sparpolitik abzutragen, um auf diese Weise nicht nur ihren Bankrott zu verhindern, sondern auch Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Ihre Sparpolitik ist deshalb alles andere, nur keine zufällige, rasch vorübergehende Erscheinung. Sie ist die logische Konsequenz der Krisenpolitik. Auf welche Weise gespart wird, zeigen die angekündigten oder bereits verabschiedeten Sparprogramme. Es ist ein staatlich geführter Klassenkampf von oben, bei dem die Parallelen zur harten Brüningschen Sparpolitik von Anfang der 30er Jahre immer deutlicher hervortreten.

Anmerkungen:

(1) Verdi, Wirtschaftspolitische Informationen 1/2010: Reiche verschonen – Wachstum und Sozialstaat ruinieren. Zum Sparpaket der Regierung

(2) So der Kurzkommentar Jan Goebels, Autor einer soeben vom DIW vorgelegten Langzeitstudie zur Einkommensentwicklung, in: Der Tagesspiegel vom 16.6.2010.

(3) FAZ vom 16.12.2009

(4) Mehr zu dieser Geldfälschung findet der Leser in unserer Broschüre „Die kapitalistische Krise und was wir ihr entgegensetzen”, von G. Sandleben / J. Schäfer, S. 34f. Bestellung über die Redaktion.

(5) Ebenda, S. 35ff

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