Andere Musikfreunde genießen Orchesterkonzerte oder Opern im Radio oder im Fernsehen. In den Großstädten bieten Konzert- und Opernorchester musikalische Freudenfeuer und spritzige Aufführungen. Die Programme werden meist ein- bis zweimal wiederholt, zum Teil auch als Neujahrskonzert.
In Berlin spielt das Rundfunk-Sinfonieorchester nach guter Tradition im Konzerthaus am Gendarmenmarkt die Neunte von Ludwig van Beethoven unter Leitung von Marek Janowski und mit dem berühmten Rundfunkchor Berlin. Mit französischem Esprit gestalten die Berliner Philharmoniker drei Konzerte, in deren Mittelpunkt Anne-Sophie Mutter, ein »Genie auf der Geige« (Karajan), stehen wird. Sie brilliert mit »Introduction et Rondo capriccioso« von Camille Saint-Saens und mit der Rhapsodie »Tzigane« von Maurice Ravel. Höhepunkt ist Maurice Ravels Poeme choreographique »La Valse«.
Im Konzerthaus werden am Silvesterabend und am Neujahrstag unter Leitung von Michael Sanderling Sonne, Mond und Sterne musikalisch angebetet: zum Beispiel der Jupiter in Stücken von Wolfgang Amadeus Mozart und Gustav Holst. Ferner erklingen der »Sonnentanz« von Edward Elgar, der »Abendsterne«-Walzer von Joseph Lanner und natürlich die Ouvertüre aus »Frau Luna« von Paul Lincke. Der Startrompeter Gabor Boldoczki spielt das »Lied an den Mond« von Antonin Dvorak, bearbeitet für Trompete und Orchester, und den 3. Satz aus Johann Nepomuk Hummels Trompetenkonzert Es-Dur.
Unter dem Motto »Johann Strauß, Vater, Sohn und Tochter Johanna« dirigiert Lior Shambadal schwungvolle Weisen mit den Berliner Symphonikern im Kammermusiksaal der Philharmonie. Wer Tochter Johanna ist, kommt erst im Konzert heraus. Das Orchester der Komischen Oper spielt am Silvesterabend (natürlich) zweimal das Musical »My Fair Lady« und am 1. Januar unter Leitung von Generalmusikdirektor Henrik Nanasi sein Neujahrskonzert »Rossinissimo!« mit »halsbrecherischen« Koloraturen und frechen Texten von Gioachino Rossini. Die Staatsoper belässt es bei »La Traviata« von Verdi am Silvesterabend und bei der »Zauberflöte« von Mozart zu Neujahr – auch festlich. Die Deutsche Oper spielt Silvester »La Boheme« von Puccini. Am 1. Januar zeigt das Staatsballett »Der Nußknacker« von P.I.Tschaikowski.
Ein Clou ist das Silvester- und Neujahrskonzert, das das Deutsche Symphonie Orchester Berlin (DSO) gemeinsam mit dem Zirkus Roncalli im Tempodrom veranstaltet. Hier reizt die Synchronisation der Musik mit den Kunststücken der Artisten – für Kinder und Familien ein Gaudi. Ihr Debüt geben in diesen Konzerten sowohl der Brite Alexander Shelley, Chefdirigent der Nürnberger Symphoniker, und der italienische Bassbariton Luca Pisaroni als auch der weltberühmte russische Clown Michail Usow und die Artisten Aime Morales aus Venezuela und Zdenek Supka aus Prag. Gespielt werden Werke von Mozart und Rossini, von Dvorak, Elgar und Bernstein. Kurios ist der Ursprung der Zusammenarbeit des Orchesters mit dem Zirkus Roncalli. Als das Tempodrom im Jahre 2003 den Silvesterabend irrtümlich sowohl an das DSO als auch an Roncalli vergeben hatte, hätte es beinahe ein Unglück gegeben. Aber beide entschlossen sich zu einem gemeinsamen Programm. Aus der Notlösung ist eine schöne Tradition geworden, die sich nun zum 13. Male bewährt. Künstler sind eben Erfinder.
Neujahrskonzerte geben auch Orchester wie das Neujahrsorchester mit Meret Becker und Tim Fischer oder die Philharmonie der Nationen unter Justus Frantz im Konzerthaus, aber hervorzuheben sind nicht weniger als neun Neujahrskonzerte der Volkssolidarität Berlin mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg. Sie werden tausende Mitglieder und Freunde der Volkssolidarität ins Konzerthaus führen.
So weit schön und gut. Aber dann kommt der Punkt, an dem es den werktätigen Menschen schüttelt – die Eintrittspreise. Sie liegen am Silvesterabend im allgemeinen zwischen 23 und 80 Euro. Eine Ausnahme ist die Volkssolidarität mit 19 Euro. Am günstigsten unter den Orchestern ist das der Komischen Oper am Neujahrstag mit 29 bis 49 Euro, und auch die Berliner Symphoniker sind mit 35 bis 60 Euro verhältnismäßig bescheiden. Doch wo bei den anderen die Preise bei 80 Euro aufhören, fangen sie bei den Berliner Philharmonikern erst an und reichen bis 250 Euro. Das ist nicht der Unterschied zwischen Arm und Reich, aber doch heben sich die Aristokraten deutlich von den anderen ab. Subventioniert sind sie alle außer den Berliner Symphonikern und – was wollen Sie? – die Konzerte sind fast alle ausverkauft. Kaufkräftige Besucher sind zumindest in Berlin genügend da. Und zu Silvester laden die von der Deutschen Bank, von Mercedes und BMW gesponserten Institute ihre Gönner und Partner ein. Daneben gibt es die Klasse derer, die sich kaum eine Kinokarte leisten können. Die bürgerliche Gesellschaft besteht aus Klassen. So gibt es eben die Zweiklassenmedizin und die Zweiklassenkultur. Realitäten, die sich schon einmal geändert hatten.