Seelen – und Druckerschwärze – Serie: „Edvard Much und das Unheimliche“ im Leopold Museum in Wien (Teil 1/4)

Edvard Munch, Geschrei, 1895, Lithografie mit Fettkreide und Tusche auf Papier, 35,3 x 25,3 cm, Munch-museet, Oslo

Was finden wir unheimlich? Sowohl das, was wir eigentlich kennen, was uns aber verfremdet dargeboten wird, wie auch das uns völlig Unbekannte, Angsteinflößende, wie aber auch die unsere Seelen und Empfinden mit Grauen erfüllende Grundsituationen wie dunkle Keller, dunkle Wälder, Schatten, Ausfall von Licht und so manches mehr. Unheimliches hat also auch immer mit Schwärze zu tun. Welch Wunder also, daß die Technik des Drucks, des Holzschnittes genau wie der Lithographie oder der Bleistift für die Wiedergabe von Unheimlichem besonders geeignet ist. Das zeigt auch diese Ausstellung, wenn wir das Schwarz-Weiß von Drucken mit den farbigen Gemälden vergleichen. Das können wir nämlich, weil der große Eingangsbereich im Untergeschoß des Leopold beides vereint. Fangen wir gleich mit dem Schrei an.

Als „Geschrei“ hat Munch diese Lithographie mit Fettkreide 1895 geschaffen und auf Deutsch betitelt. Der 1863 geborene Munch war damals schon in Deutschland bekannt geworden, denn nach den Pariser Jahren – wie es sich für einen angehenden Maler damals gehörte – kam es anläßlich einer Ausstellung seiner Werke in Berlin 1892 zu einem so großen Skandal, so daß sich sein Name in das kulturelle Gedächtnis der Stadt und der Malerei der Moderne festgrub und der Name Munch in aller Munde war und blieb, weshalb auch Munch erst einmal in Berlin blieb. Und nimmt man alles in allem, sind es auch diese 90er Jahre, die ihn fürderhin als „Maler der Moderne“ und als Vorbereiter des Expressionismus adelten, obwohl er noch bis 1944 lebte.

Diese Lithographie „Geschrei“ ist im heutigen Begriff minimalistisch gestaltet. Da sieht man rechts eine hügelige Landschaft mit Kirchturm und einem düsteren, den Horizont belastenden Himmel und einen Steg, der mit Geländer zum Meer, zur See führt und auf dem in der Ferne zwei wohlbehütete Spaziergänger des Weges gehen, während im Vordergrund eine Wesen, eine Frau, könnte aber auch ein anderes Geschlecht, gar ein Neutrum sein, in namenlosem Entsetzen den Mund aufsperrt, die Augen aufreißt und sich gleichzeitig den Kopf hält, beziehungsweise die Ohren zuhält. Weil sie das eigene Geschrei nicht aushält?! Es ist sozusagen der umschreib, der hier seinen Anfang nimmt. Und wenn Edvard Munch nur dieses eine werk geschaffen hätte, hätte er damit einer Zeit, die Sigmund Freud zu heilen versuchte, den Spiegel vorgehalten, einer Zeit und einer Gesellschaft, die sich gerade auf ihre bürgerliche Fassade etwas einbildete, sind wir doch noch in den Ausläufern der Gründerzeit, die eine neue Gesellschaftsschicht geschaffen hatte, die seelisch mit den materiellen Errungenschaften nicht Schritt halten konnte und so deutlich wie nie zuvor die Ängste in den Menschen schürte, allerdings nicht herkömmliche Angst vor Hunger, vor Kälte, vor Tod, sondern Ängste, die in den Menschen entstanden waren angesichts von Hybriden und dem technisch davongaloppierenden Jahrhundert mit seinen Fortschritten, dem der Mensch kaum nachkam.

Sicher, das spürten nicht alle, aber es spürten die Sensiblen und die sensiblen Künstler, Dichter genauso wie Musiker und Maler konnten diesem Grundgefühl der Moderne Ausdruck geben, weshalb dieses „Geschrei“ zur Inkunabel der Moderne wurde, ihr Wesensausdruck auf einem Blatt Papier gedruckt wurde. Unheimlich sieht das aus, aber unheimlich ist stärker, warum das nicht alle fühlten und nicht alle schrien, sondern stellvertretend die Künstler und für diese stellvertretend Edvard Munch. Das spürten wohl auch die Kuratoren der Ausstellung, denn sie lassen die Museumsbesucher beim Herunterschreiten auf eine ca. 3 x 6 m Vergrößerung des Geschreis an der Wand blicken, bei der einem der Ausspruch von Brecht „unsichtbar wird die Dummheit, wenn sie genügend große Ausmaße angenommen hat“ einfällt, nur daß wir ’Angst` einsetzen und schon haben wir das unsichtbare, aber allgegenwärtiges Grundgefühl der Moderne: Angst.

Dieses Wort holt uns dann gleich in der Ausstellung ein. Denn „Angst“ ist das Gemälde von 1894 betitelt, daß in fahlen Farben auf nämlichem Steg denken wir, einen Trauerzug zeigt, den eine junge Frau mit Hut und einem grünlichen Gesicht anführt. Die Assoziation Trauer kommt nur durch die blassen Gesichtszüge und schwarz Bekleideten und Behüteten Herren. Was hier angst genannt wird, ist uns eher Starre und Wesenlosigkeit, wie auch die hinteren Gesichter nur noch Schemen sind. Wir finden nun mal, daß diese Gefühlsqualitäten bei der Lithographie von 1886 stärker herauskommen. Wenn dort dieselben Figuren und Gesichter uns aus schwarzem Grund anstarren – übrigens gelingt es Munch immer wieder ein Litho wie einen starren ungelenken Holzschnitt aussehen zu lassen mit diesen Kraftlinien – dann fühlen wir die Angst mit, fühlen mit diesen Namenlosen, aber nichts Gesichtslosen, dann aber wieder Körperlosen, schauen uns um und sehen die anderen Leute und die anderen Gemälde und sind in Sicherheit.

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Ausstellung: bis 18. Januar 2010

Katalog: Edvard Much und das Unheimliche, Christian Brandstätter Verlag 2009

Alfred Kubin Ausgaben

A.K. Die andere Seite: ein phantastischer Roman, Bibliothek Suhrkamp 2009

Das ist die neueste Ausgabe, es gibt in verschiedenen Verlagen ebenfalls Ausgaben von Rowohlt bis Fischer

Alfred Kubin, hrsg. von Annegret Hoberg, Prestel Verlag 2008

Du Engel Du Teufel. Emmy Haesele und Alfred Kubin – eine Liebesgeschichte von Brita Steinwendtner, Haymon Verlag 2009

Das lithographische Werk von Alfred Kubin, hrsg. von Annegret Hoberg, Hirmer Verlag 1999

Alfred Kubin und die Jahreszeiten, hrsg. von Hannes Obermüller, Bibliothek der Provinz 2008

„Außerhalb des Tages und des Schwindels“: Briefwechsel 1928-1952 von Hermann Hesse, Alfred Kubin und Volker Michels, Suhrkamp Verlag 2008

Internet: www.leopoldmuseum.org

Reiseliteratur:

Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005

Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.

Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007

Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007

Marco Polo, Wien 2006

Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch

Tip: Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.

Anreise: Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.

Aufenthalt: Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien, wobei Wien Mitte auch Zentrum der Viennale, des Filmfestes ist, das ab dem 22. Oktober die Stadt zur Leinwand macht. Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.

Mit sehr freundlicher Unterstützung von Air Berlin und den Hilton Hotels Wien.

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