Der Film übernimmt auch die Ichform der Erzählung. Diese korrupte Sheriff und Serienkiller läßt uns an seinen Gedanken (ziemlich wenige), Gefühle (sehr viel und total durcheinander) und seinen Handlungen (sehr widersprüchliche, auch gute, meist ganz schlimme) teilhaben. Konkret bedeutet das, daß wir diesen Lou Ford die zwei Stunden Film vor Augen haben und seine unbewegte, leiernde Stimme höen, aber damit zurechtkommen müssen, daß wir die Wahrheit von Anfang an wissen, wenngleich dieser Sheriff in seiner Gemeinde als netter, zuvorkommender, sehr höflicher und hilfsbereiter Polizist erscheint. Diese öffentliche Maske fällt nach und nach. Zuerst werden nur Details seine Probleme bekannt, die er einerseits mit Frauen hat, aber auch innerhalb der Strafverfolgungsbehörde.
Der Film lief auf Englisch. Nein, auf Amerikanisch. Nein, auf ein Südstaatenamerikanisch, so daß der Verständlichkeit große Grenzen gesetzt waren (man hätte sich nur vorher das Einspielen per Kopfhörer auf Deutsch holen müssen!). Dies bezieht sich vor allem auf die Vielzahl der Kollegen und Geschäftspartner, die ihn schmieren, bei denen die Übersicht zu behalten nicht leicht ist. Denn obwohl er so beliebt ist, fällt schließlich auf, daß in seinem Distrikt besonders viel gemordet wird. Keine Einbuße bei der Verständlichkeit allerdings hatte man bei den Morden, die sadistisch und in einer Brutalität, die wir auf der Leinwand nicht sehen wollen – immer die Augen schnell zuzumachen, strengt an – , den Frauen galten, mit denen er zuvor zärtliche Liebesakte teilte, gemischt mit Porno und Schlägen zur Anheizung der Liebesglut. Wie es mit der Misogynie in seinem Film bestellt sein, war auch eine der Fragen, die sich insbesondere zur Gewalt häuften.
Lassen wir den Regisseur erst einmal etwas zur Vorgeschichte sagen: Dieser Lou Ford sei ein ganz schwacher Mann, das Ergebnis seiner psychischen und physischen Zerrüttung setze schon im Kindesalter ein. Lou Ford lebt im Schatten seines Vaters, in dessen Haus, in dessen Büchern, mit dessen Musik, aber er lebt dort nur noch als Zombie, denn die Welt, in der er in der Kindheit aufgewachsen ist, ist vom Vater selbst kontaminiert worden, der ihn als Kind mißbrauchte. Nun gut, besser, nun schlecht. Aber daraus muß ja nicht gleich ein Serienkiller erwachsen. Das Warum? ist aber nicht das Movens, warum Michael Winterbottom das Buch verfilmte. Denn dies zu ergründen, gar psychoanalytisch zu rechtfertigen, ist nicht Anliegen des Buches noch des Films. Es geht allein um die innere Perspektive, aus der heraus jemand das zerstört, was er eigentlich liebt, die beiden Frauen Amy (Kate Hudson) und Joyce (Jessica Alba), was folgerichtig dazu führt, daß es Selbstzerstörung ist, die sein Ziel wird. Er will gefaßt werden, sein Morden ist ein Weg zum eigenen Tod.
Warum die Gewalt, um die es geht, auch in Breitwandoptik so brutal auf die Leinwand gebracht wird, waren Fragen, die auch nach der Beantwortung durch den Regisseur immer weiter gefragt wurden, einfach weil ein Mitteleuropäer – und wir meinen, es seien sogar alle Menschen – sich so etwas Grauenvolles nicht gerne freiwillig anschaut, so lange man nicht selbst sadistisch veranlagt ist oder sadomasochistisch mit den Gemordeten mitleidet. Michael Winterbottom zeigte sich erstaunt über die vielen Nachfragen zu seinen Gewaltdarstellungen, die er beantwortet glaubt. Das ist durchaus richtig, zeigt aber die Irritation und den Widerwillen der Zuschauer auf. „Die Gewalt sollte schockierend sein. Lou war verliebt und schlägt sie zu Tode. Das muß auf die Leinwand, um das Grauenvolle zu zeigen. Nur, wenn sie einen Film machen und Gewalt als Unterhaltung hineinnehmen, ist das fragwürdig. Wenn jemand zu Tode kommt, soll das auch schon schockieren.“, meinte der Regisseur und ließ sich nicht darauf ein, daß man Gewalt unterschiedlich darstellen könne und diejenige, die man nur hört oder von der man hört, subtiler unter die Haut gehen kann. Nein, er bleibe dabei, pervers sei nur, Gewalt unterhaltsam darzustellen.
Winterbottom benutzt im Film bestimmte Musikstücke aber Versatz, also in Wiederholungen, genauso wie er Kindheitserinnerungen oder die Erinnerungsfetzen aus seinen Liebespielen immer wieder erinnern läßt. Auf die Nachfrage der vielen Verdoppelungen und Verdreifachungen war die Antwort sybillinisch, denn ihm ging es um den Rhythmus des Films genauso wie um den Wiedererkennungswert dieser Musik in bestimmten Zusammenhängen. Die treten auf, wenn er alleine in Vaters Umgebung die traurigen und gar so schönen Mahlerweisen hört, ein Lied vor allem, und aus der Oper „Norma“ die schluchzenden Töne in eine andere Welt überführen.
Höchste Zeit von den Schauspielern zu sprechen. Da die Hauptperson selber erzählt, kommt Lou Ford (Casey Affleck) auch dauernd vor. Wir erleben alle Schattierungen seines Wesens. Wie er schleimig sein kann beim Geschmiertwerden, Wie er verführerisch sein kann, wenn er eine Frau erobern will. Wie er brutal sein kann, wenn er sie abschlachtet. Keine Frage, daß dieser Schauspieler seine Sache sehr gut macht. Seine furchtbare Sache. Für Winterbottom war Affleck die Wunschbesetzung und er erwies sich als der Richtige: „ Er macht etwas, aber er denkt dabei über etwas anderes nach. Der Film ist seine Version. Er liebt Joyce oder Amy. Manchmal muß er sie umbringen. Dann ist er entspannter.“ Sein Film steht und fällt für ihn mit den Besetzungen: „Casey war also als erstes, Kate und Jessica als nächste und Bill Pullman, damit hatten wir ein gutes Team. Das sind tolle Charaktere. Viele Dialoge haben wir direkt aus dem Buch übernommen.“
Bei der Diskussion zeigt sich, daß viele der Fragen eigentlich dem Autor des Buches gelten, der längst tot ist. Dennoch bleibt unbefriedigend, daß der Regisseur außer, daß er die Worte des Buches und seinen Geist in Bilder umsetzen wollte, wenig beitrug zu Antworten, warum er dieses Werk als Regisseur schuf und warum sich jemand diesen Film anschauen soll. Daß der Film seinen Weg machen wird, ist eine andere Kiste. Das tuen Gewaltfilme immer. Gerade da aber fängt das Fragen an.
Originaltitel: The Killer Inside Me
Land: Großbritannien/UA 2010
Regie: Michael Winterbottom
Darsteller: Casey Affleck, Kate Hudson, Jessica Alba, Bill Pullman
Wertung: * * *